Interview mit Laura Poitras Der Whistleblower Die Dokumentarfilmerin Laura Poitras über Bürgerrechte, Edward Snowden und »Citizenfour« Der Film zum Interview An welchem Punkt wurde Ihnen das Ausmaß der Enthüllungen klar? Anfangs ist mein Verstand in zwei Richtungen gegangen. Einerseits sagte ich mir, dass das eine große und auch gefährliche Sache wird. Und traf deshalb gründliche Sicherheitsvorkehrungen. Ein anderer Teil in mir dachte, dass es eine Falle oder vielleicht auch nur irgendein Spinner sein könnte. Warum hat Snowden die Daten nicht an Wikileaks weitergegeben? Snowden wollte nicht derjenige sein, der auswählt, welche Informationen veröffentlicht werden. Er wusste, dass nicht alle Daten von öffentlichem Interesse waren und dass manches davon auch geheim bleiben sollte. Er wollte, dass professionelle Journalisten verantwortlich darüber entscheiden, was in welcher Form veröffentlicht wird. "Ich bin hier nicht die Story" sagt Snowden in Ihrem Film und ist sich der Medienmechanismen, die durch Personalisierung vom eigentlichen Thema ablenken, sehr bewusst. Snowden wollte sich outen. Das hatte er schon beschlossen, bevor wir uns überhaupt getroffen haben. Ihm war es wichtig, dass er seine Motivationen selbst artikulieren konnte. Andernfalls hätte der Propagandaapparat der US-Regierung die Sache in die Hand genommen. Wird Snowden in Ihrem Film nun doch noch zur Story? Ich bin eine visuelle Journalistin und ich drehe Filme, die anhand von einzelnen Menschen größere Zusammenhänge deutlich machen. Meine Filme haben sich mit den gesellschaftlichen Veränderungen nach Nine-Eleven auseinandergesetzt. Dazu gehört ein Sicherheits- und Überwachungssystem, das in einer noch nie dagewesenen Größenordnung ausgebaut wurde, ohne dass dies für die Gesellschaft transparent gemacht wurde. Erst ein "Whistleblower" hat uns darauf hingewiesen, was die Regierung hier macht. Wir leben in einer Gesellschaft, in der viele Menschen via Facebook ihr Privatleben öffentlich machen. Man muss sich immer vor Augen führen, dass nur ein Schalter umlegt werden muss - und die ganzen Informationen, die wir preisgeben, können gegen uns verwendet werden. Das, was Facebook an Informationen gesammelt hat - davon konnte die Stasi nur träumen. Im Moment sind wir noch sehr naiv und haben keine Vorstellung davon, wohin uns die technologische Entwicklung führen wird. Wir geben eine Menge Information in die Hand privater Konzerne, ohne wirklich zu wissen, was sie damit machen. Und diese Informationen sind für die Geheimdienste ein riesiges Geschenk. Ist es nicht eine bittere Ironie, dass Snowden nun ausgerechnet in Russland im Exil ist - ein Land, das ja alles andere als ein Vorbild in Sachen Transparenz ist? Das sehe ich genauso. Aber wir wissen auch, dass Russland nicht sein beabsichtigtes Reiseziel war. Er hat sich in vielen Ländern um politisches Asyl bemüht und vielleicht kommt da in näherer Zukunft ja noch etwas in Bewegung. Aber immerhin ist er dort noch in der Lage, sich mit Journalisten zu treffen und an der Debatte teilzunehmen. Das ist nach wie vor sehr wichtig für ihn. Sie selbst sind vor einigen Jahren nach Berlin umgezogen... Ich bin an der US-Grenze über viele Jahre unzählige Male festgehalten worden, so dass ich mich nicht mehr in der Lage sah, meine Quellen und mein Material vor dem Zugriff der Behörden schützen zu können. Deutschland hat sehr starke Gesetze zum Schutz der Privatsphäre und außerdem eine Community, die sich gegen die Überwachung zur Wehr setzt. Die historische Erinnerung daran, welche Auswirkung staatliche Überwachung haben kann, ist speziell in Ostdeutschland noch sehr präsent. Die naive Haltung "Ich habe ja nichts verbrochen, also kann mir nichts passieren" findet man in Deutschland weitaus seltener als in den USA. Es gibt hier ein sehr starkes Bewusstsein davon, was passieren kann, wenn eine Regierung ihren Überwachungsapparat gegen die Bevölkerung richtet. Interview: Martin Schwickert
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