MIRA NAIR ÜBER »THE NAMESAKE«
Kulturelle Koexistenz
Über die Vorteile der Globalisierung, warum Zwangsehen glücklich machen und über »The Namesake«
Die Kritik zum Film
Mrs. Nair, "The Namesake" erzählt die Geschichte einer indischen Emigrantin, die im Gegensatz zu ihren Kindern in den USA nie wirklich Wurzeln schlägt. Entspricht das Ihrer eigenen Erfahrung?
Ich habe bisher zwölf Jahre in Kalkutta und 25 Jahre in Manhattan gelebt. Auch wenn ich selbst weitaus weniger traditionell erzogen wurde als Ashima, kenne ich vieles aus eigener Erfahrung. Ich habe zum Beispiel drei Jahre gebraucht, um zu lernen, wie man sich im Winter anzieht.
Wie erleben Sie Ihr eigenes Leben zwischen den Welten?
Ich lebe zwischen drei Kontinenten: Manhattan, Uganda, wo mein Mann herkommt, und Neu Dehli. Ich empfinde das als ungeheures Privileg. Es ist ja heute nicht mehr wie in den 70ern, wo ein Telefongespräch einmal im Monat die einzige Möglichkeit zur Kommunikation war. Für mich wäre es sehr schwierig, mich für einen Ort zu entscheiden. In Manhattan sind alle besessen von ihrer Arbeit. Das ist eine Kultur, in der nur Leistung zählt. Die Leute sagen kaum noch "How are you?". Sie fragen immer nur: "Was hast du gemacht?"
Und in Indien?
Wenn ich in Indien bin, ist es völlig egal, wie erfolgreich mein letzter Film war oder welches Essay ich geschrieben habe. In der Kultur, aus der ich komme, lernt man, sich selbst immer an den Schluss zu setzen. Und diese Selbstlosigkeit ist in der Gesellschaft sehr hoch angesehen. Das ist ein sehr großer Unterschied zum Westen, wo die Leute überhaupt nicht wissen, was ich meine, wenn ich von Selbstlosigkeit spreche.
»Namesake« zeigt ein sehr positives Bild einer arrangierten Ehe, über die in der westlichen Gesellschaft immer die Nase gerümpft wird...
Ich selbst könnte nie in einer arrangierten Ehe leben, aber als Filmemacherin hat mich die Idee, sich nach der Hochzeit in einem Fremden zu verlieben, sehr fasziniert. In meiner Familie gibt es einige arrangierte Ehen und sie sind unglaublich glücklich. Für die Eltern ist die Hochzeit eines ihrer Kinder ein schrecklicher Verlust und deshalb suchen die Eltern nach anderen Familien, die zu ihnen passen. Ich glaube in den meisten Fällen hält eine arrangierte Ehe länger als eine Liebesheirat.
In Ihrem Film geht es um den Konflikt zwischen Tradition und Moderne. Verschwimmt dieser Konflikt im Zeitalter der Globalisierung nicht zunehmend?
Heute wandert die Intelligenz nicht aus, um sich in einem anderen Land niederzulassen. Jetzt geht man für ein paar Jahre ins Ausland, um Erfahrungen zu sammeln, und kommt wieder zurück nach Indien, weil wir nun alles in unserem eigenen Land machen können. Indien ist eine sehr elastische Gesellschaft, ein Land der kulturellen Koexistenz. Die Frauen tragen morgens ein kurzen Rock und Spaghettiträger und abends einen Sari. Einfach so.
Werden die Traditionen dadurch verwässert?
Das Äußere wird sich ändern, aber die Menschen sind sehr verwurzelt. Es ist eine sehr alte Kultur und die Leute kehren immer wieder gerne zu ihr zurück. Wir lernen in Indien sehr viel mehr über die Welt, als die Welt über uns lernt. Als ich 1976 in die USA kam, kannte ich jeden Beatles-Song und wusste alles über den Vietnamkrieg. Aber junge Leute in Minnesota haben oft noch nicht einmal die amerikanische Ostküste gesehen. In den USA gibt es, im Gegensatz zu Indien, eine große Inselmentalität.
Trotzdem scheint es, dass die amerikanische Gesellschaft Emigranten und ihre Kultur besser integrieren kann als etwa Europa, wenn man an die Ausländerfeindlichkeit in Deutschland oder die brennenden Barrikaden in der Pariser Vorstadt denkt.
Ich würde da eher an Kanada denken, wo die multikulturelle Gesellschaft eine zentrale politische Forderung ist. Die Leute in den USA verstehen erst langsam, dass die ganze Vitalität ihres Landes auf den Immigranten basiert. Ich wünschte die Erkenntnis würde sich auch in Europa durchsetzen. Ich finde es beleidigend, mit welcher Ignoranz die Menschen in Europa mit den Emigranten umgehen. Ich war während der WM in Afrika und alle waren dort für Frankreich, weil das französische Fußballteam zur Hälfte aus Afrikanern besteht. Das ist die Zukunft und daran kommt niemand vorbei.
Interview: Martin Schwickert
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