JOEL UND ETHAN COEN ÜBER »THE BIG LEBOWSKI«

Chandler in Schlappen

Nikolai Nikitin sprach mit Joel und Ethan Coen


Der Film zum Interview

Ihr benutzt teilweise Raymond Chandler als Vorlage. Wieso ausgerechnet Chandler?

Ethan: Die beiden Protagonisten sind vage an Personen angelegt, mit denen wir befreundet sind. Dieser eine Typ, den wir kennen, bezeichnet sich tatsächlich als "der Dude" in der dritten Person, und er raucht viel Pot. Es war irgendwie verlockend, diesen Doperaucher in das Zentrum einer Chandler-Story zu stellen. Chandlers Geschichten haben sehr viel mit L.A. zu tun. Der Protagonist "trippt" durch L.A. und lernt dabei mehrere Leute kennen, die emblematisch für die Stadt sind.

Ihr habt mal gesagt, daß ihr noch beim Drehen am Script schreibt. Daß ihr Euch in Sackgassen begebt und wieder aus ihnen herausfinden müßt.

Joel: Bei "Big Lebowski" ist es irgendwie komisch, weil der Plot, wie in vielen Chandler-Geschichten, teilweise überflüssig wirkt. Er scheint eine Entschuldigung zu sein, um den Helden auf seine Reise zu schicken. Ebenso wie bei Chandler ist der Plot extrem kompliziert, gleichzeig ist er den anderen Umständen gegenüber sekundär. Chandler interessiert die Handlung nicht allzusehr. Es war für uns also gar nicht so schlimm, wenn man am Ende des Tages feststellt, daß man irgendwo gelandet ist, wo man nicht mehr rauskommt.

Ethan: Obwohl es bei den Nihilisten schon schwierig wurde. Wir wußten irgendwann nicht genau, wie wir sie loswerden sollten

Joel: Wir wußten zwar essentiell, wie der Film enden sollte, aber wir wußten nicht, wie wir da hin kommen sollten. Du entwickeltst Konstruktionen und weißt irgendwann nicht, wie du sie auflösen sollst. Aber bei jedem Script gibt es sowieso verschiedene Probleme. Bei "Hudsucker" wußten wir nicht, wie wir aus seinem Fall rauskommen sollten "Blood Simple" hingegen war ein Beispiel eines ziemlich komplizierten Plots, dem man aber auch folgen mußte. Es gab eine Mördergeschichte, der Zuschauer sollte Informationen erhalten, die die Charaktere nicht hatten. Die Handlung mußte also in ihrer Ausführung relativ deutlich sein.

Für mich ist Bowling eigentlich der passivste Sport, den es gibt, er ist aber gleichzeitig sehr agressiv, dekonstruierend. Seht Ihr da eine Verbindung zu Euren Filmen?

Joel: Auf diese Frage war ich nun gar nicht gefaßt.

Ethan: (lacht)

Joel: Jemand hat gesagt, daß unsere Filme entweder lakonisch oder hysterisch sind. Vielleicht hat das eine Beziehung dazu.

Ethan: Ich sage Dir, wo das mit dem Bowling herkommt. Wie Du sagst, hat es etwas sehr passives. Du sitzt da und redest die meiste Zeit über. Deshalb war es für uns vorteilhaft bei einer Story um drei Typen, die da rumhängen und labern. Dafür ist es ein guter Kontext, und es ist visuell sehr interessant. Deshalb war es attraktiv für uns. Aber dieses ganze Dekonstruktionsding, ich weiß nicht, "that's food for thoughts".

Eine Fehleinschätzung Eurer Werke scheint die Einstellung zu sein, daß Ihr Parodien dreht.

Ethan: Ja, irgendwie verstehen wir das nicht. Die Leute lachen und denken, es ist ein Veralberung. Wenn Du über die Charaktere lachst, mußt du sie herablassend behandeln.

Joel: Es ist etwas impliziert darin, etwas eine Parodie zu nennen. Nämlich daß du die Storyform durchdringen mußt, wobei das nie die Ambition ist. Die Storyform ist interessant, ab einem gewissen Level bist du in sie versunken. Du willst vielleicht etwas anderes damit nachen. Manchmal macht es Spaß, den Erwartungen zuwiderzulaufen.

Die Deutschen erschienen im Film als politisches Statement. Die rechte Bewegung ist in Deutschland ein wichtiges Thema.

Ethan: Das hatten wir nicht im Sinn. Das ist in den Staaten kein Ding.

Joel: Die Idee, daß sie Nihilisten sind, erwuchs aus der Tatsache, daß man einen Antagonisten für Walter schaffen mußte. Er ist so an der Ideologie interessiert. Das, was ihn am meisten stören würde, wäre ein Charakter ohne jegliche Ideologie.

Was ist mit Eurer Schauspielerwahl? John Goodman ist offensichtlich. Ihr habt gesagt, daß Ihr die Rolle etxra für ihn geschrieben habt, ebenso Steve Buscemi. Ab welchem Zeitpunkt kam Julianne Moore bzw. Jeff Bridges dazu?

Ethan: Julianne kam hinzu, als wir das Script schon beendet hatten. Wir schaffen immer eine bestimmte Anzahl von Charakteren in einem Buch mit bestimmten Schauspielern im Hinterkopf, ohne zu wissen, wer die anderen Rollen spielen soll. In diesem Fall waren es eben John Goodman und Turturro, Jon Polito, Steve Buscemi und Sam Elliott.

Und wie war es mit der Rolle von John Turturro als Jesus Quintana? War sie so geschrieben, wie er sie gespielt hat?

Ethan: (lacht) Wie er es spielt? Ich glaube niemand kann es so schreiben, wie er es spielt.

Joel: Wir wollten aus ihm einen hispanischen Päderasten machen, weil wir dachten, das wäre etwas, was John Spaß beim Spielen bereiten würde. Aber es ist immer eine Überraschung, was John macht.

In "Fargo" fehlen mir die surrealen Momente.

Joel: "Fargo"ist der einzige Film, in dem wir keine Traumsequenz hatten. Es gab da einige Debatten an einem bestimmten Zeitpunkt. Erinnerst Du Dich?

Ethan: Ja, Frances Charakter wollten wir einen Traum verschaffen, aber mit dem ganzen naturalistischen Feeling des Films...

Joel: Hier ist es ein Bestandteil des Genres, daß der Held einen übergezogen kriegt und ins Reich der Träume, in ein Delirium abgleitet.

Wann habt Ihr diese Traumsequenzen geschrieben?

Ethan: Wir schreiben eigentlich in der Reihenfolge. Als wir zu diesen Szenen kamen, haben wir sie geschrieben. Wir haben in beiden Träumen Bowling als Jeffs Lieblingsbeschäftigung in den Mittelpunkt gestellt, das schien angemessen.

Darin kommt ein schwarz-weiß karierter Fußboden vor...

Ethan: Das war nicht im vorhinein festgelegt, sondern entstand aus der Location, in der wir drehten. Das Haus des Millionärs, in dem wir drehten, hatte so einen Fußboden. Und es schien uns sinnvoll, da der Traum vorher Erlebtes vom "Dude" verarbeiten sollte. Außerdem hatte das Ganze so einen glänzenden Dekolook eines Busby Berkeley.

Ich war fasziniert von der Kameraarbeit von Roger Deakins. Besonders von den Szenen im Bowlingcenter, beispielsweise die Aufnahmen aus der Bowlingkugel heraus.

Joel: Bei der angesprochenen Szene war eine lautlose 35mm Kamera auf einem Rotary befestigt. Das Loch wurde später im Computer hinzugefügt.