»THE BIG LEBOWSKI«

Gib mir die Kugel

Krimi & Bowling: Der neue Geniestreich der Coens


Das Interview zum Film

Daß ihn die Geldeintreiber der Mafia aufgrund einer Verwechslung zusammengeschlagen und mitsamt der gerade erst erworbenen Tüte Frischmilch in der Kloschüsssel fast ersäuft hätten - das hätte Jeff Lebowski (Jeff Bridges) gleichmütig als Schicksalsschlag akzeptiert. Aber daß einer dieser Mistkerle auf seinen Wohnzimmerteppich gepinkelt hat, weckt in dem erschlafften Gemüt des Althippies unvermuteten Widerstandsgeist. Schließlich hat der Teppich "den Raum zusammengehalten" wie Lebowski - genannt "The Dude" - immer wieder müde betont. Viel gab es da eigentlich nicht zusammenzuhalten in diesem verkifften Bungalow am Rande des Yuppie-Molochs L.A. Dude - der Held im neuen Geniestreich der Gebrüder Coen - ist ein orginalgetreues Relikt aus den 70ern: lange fettige Haare (auch im Gesicht), Schlabber-T-Shirt, gemusterte Shorts, Badelatschen - der schwergewichtige Gegenentwurf zum Rockefeller-Ideal. Für Dude ist alles schon seit mehr als einem Jahrzehnt unglaublich easy, der letzte Job liegt schon lange zurück, und wer ihn anschaut, sieht, daß der Mann sein Lebensziel, auf ewig unvermittelbar zu sein, längst erreicht hat. Die 80er hat er verkifft und die 90er hätte er wahrscheinlich hauptsächlich mit Bowling verbracht - wenn die Sache mit dem Teppich nicht passiert wäre.
Dude wurde mit dem "Big Lebowski" verwechselt - einem Millionär, der im Rollstuhl sitzt und sich gerne in den Westflügel seiner Villa zurückzieht. Wie in solchen Kreisen üblich, ist der Alte mit einer jungen Blondine verheiratet, die ihre Zehennägel grün lackiert und dessen Geld verprasst. Als Dude wg. Teppich mit Schadensersatzforderungen an seinen Namensvetter herantritt, wird er unversehends in kriminelle Machenschaften verstrickt. Eine krude Entführungsstory, die an dieser Stelle nicht aufgeschlüsselt werden soll, nimmt ihren Lauf. Sie dient ohnehin nur als Vorwand dafür, den schlaffen Helden an einem Panoptikum von illustren Zeitgenossen vorbeizuführen. Lebowskis Tochter Maude (Julianne Moore), eine feministische Avantgardkünstlerin, z.B. saust an einer Drahtseilkonstruktion aufgehangen bäuchlings durch den Raum, um Farbe auf der Leinwand zu verteilen. Besonders extravagant wirkt auch die vermeindliche Kidnapper-Combo (unter Leitung von Peter Stormare), die sich selbst als "deutsche Nihilisten" vorstellen und mit einem kastrationswütigen Frettchen Dude unter Druck setzen.
Dude und sein Freund Walther (John Goodman), ein zum Judentum konvertierter polnischer Katholik mit Vietnam-Erfahrung, versuchen nun selbst an den Geldkoffer heranzukommen und vermasseln alles recht gründlich. Aus Fargo , dem letzten Film der Gebrüder Coen, weiß man, was passiert, wenn sich Amateure im Kidnapping-Gewerbe betätigen. Die Coens haben den Handlungsort ihrer neuen Crime-Satire aus dem winterlichen Minnesota ins verschwitzte L.A. verlegt und die Erzählform den veränderten klimatischen Bedingungen angepasst. Folgte Fargo dramaturgisch straff und einigermaßen diszipliniert dem Krimi-Plot, verliert The Big Lebowsiki diesen immer wieder aus den Augen. Die Geschichte schlabbert herum, wie das verschwitzte T-Shirt, das Jeff Bridges trägt. Überhaupt Jeff Bridges - wie er diese Rolle so genial dahinschlampt, ist eigentlich oscarverdächtig. Manchmal hebt The Big Lebowski völlig ab und folgt den verkifften Phantasien seines Protagonisten: hier kann man z.B. die Welt aus der Perspektive einer Bowling-Kugel betrachten. Ohnehin kehrt die Geschichte immer wieder gerne zur Bowling-Bahn zurück, dort ist für Leute wie Dude und Walter die Welt noch überschaubar und geregelt. Außerdem ist es - wie die Coen-Brothers während der Berlinale-Pressekonferenz verdeutlichten - "die einzige Sportart, bei der man rauchen, saufen und sitzen kann".

Martin Schwickert