STEFAN AUST ÜBER »DER BAADER MEINHOF KOMPLEX« Alles halb so schlimm Stefan Aust über sein Interesse am Thema und warum der Rechtsstaat sich eigentlich ganz anständig verhalten hat. Die Kritik zum Film
Herr Aust, warum hat Sie das Thema RAF in den letzten vierzig Jahren nicht mehr los gelassen? Das ist zum einen ein biografischer Zufall. Ich habe Mitte der Sechziger gemeinsam mit dem Bruder des "Konkret"-Herausgebers Klaus Rainer Röhl eine Schülerzeitung gemacht. Nach dem Abitur habe ich dann bei der "Konkret" angefangen und dort Ulrike Meinhof kennen gelernt, die die Kolumnen schrieb. Von 1966-69 war ich dadurch sehr nah an den Ereignissen dran. Als ich dann zum NDR wechselte, habe ich dort aufgrund meiner guten Kontakte zur Szene viele Beiträge zu dem Thema gemacht. Meine erste Sendung war über die Befreiung von Andreas Baader und Gudrun Ensslin. Und irgendwann wollte ich es einfach genau wissen und habe mich drei Jahre in die Akten zu vertieft. Was kann ein Film leisten, was Ihr Buch schon nicht geleistet hat? Ein Buch kann natürlich viel mehr Geschichten erzählen, Zusammenhänge herstellen und den Dingen auf den Grund gehen. Dafür kann ein Film die Bilder liefern. Und Bilder sind in einem gut gemachten Film viel stärker als alles, was Sie mit irgendeiner anderen Art von Journalismus ausdrücken können. Aber ein Film lässt durch die Macht der Bilder auch keine Zweifel zu. Sind Sie da bei der recht widerspruchsvollen Geschichte der RAF auch auf Grenzen gestoßen? Ja, einer der interessantesten Punkte für mich sind die Abhörmaßnahmen in Stammheim. 1977 haben die Behörden eingestanden in drei Fällen rechtfertigenden Notstandes die Gespräche mit Angehörigen und Verteidigern abgehört zu haben. Aufgrund dieser zugegebenen Abhörmaßnahmen habe ich für mein Buch Materialien zusammen getragen, die darauf hin deuten, dass nicht nur in diesen drei Fällen abgehört worden ist, sondern etwa auch während der Schleyer-Entführung. Und dann fragt man sich, wo sind die Abhörbänder der Todesnacht geblieben sind? Das ist im Film nicht zu sehen.. Warum war die Zeit jetzt erst reif für diesen Film? Vielleicht musste so viel Zeit vergehen, bis man diese Handlungen mit einer gewissen Rücksichtslosigkeit ins Bild setzen kann. Brigitte Mohnhaupt sagt zu den Mitgliedern der zweiten RAF-Generation: "Hört auf sie zu sehen, wie sie nicht waren. Sie waren nie Opfer." Ist das das Credo des Films? Die RAF hat ihre große politische Wirkung nicht entfaltet als sie im Untergrund war und ihre Bomben geworfen hat. Da war die Ablehnung auch in weiten Teilen der Linken recht groß. Sie sind erst zu diesen mythischen Figuren geworden, als sie im Gefängnis waren, wo sie sich selbst zu Opfern des Staatsapparates stilisiert haben. Als die Mitglieder der Nachfolgegruppe den Tod von Baader, Raspe und Ensslin auch als Mord ausgelegt haben, ist Brigitte Mohnhaupt der Kragen geplatzt und dann hat sie diesen Satz gesagt. Die Szene ist deshalb so wichtig, weil sie zeigt, mit welch unglaublicher Verlogenheit von Seiten der RAF die Kampagne über die Stammheimmorde betrieben worden ist. Gab es in der Entwicklung einen Punkt, an dem man den Schalter hätte umlegen können? Es hat mehrere solche Punkte gegeben, aber der wichtigste liegt für mich im Stammheim-Prozess, als Ulrike Meinhof wenige Tage vor ihrem Selbstmord über die Möglichkeit und Unmöglichkeit des Ausstiegs redet. Im Gerichtsaal vor den anderen Angeklagten und der Öffentlichkeit zu sinnieren, warum es nicht möglich ist auszusteigen, war so viel wie der Ausstieg selbst. Dass der Richter ihr hier das Wort entzogen hat, anstatt aufzuhorchen - das ist für mich die schlimmste Szene überhaupt. Ist die unerbittliche Härte der RAF ein typisch deutsches Phänomen? Ich glaube, dass es in den Ländern mit einer faschistischen Vergangenheit, also Italien, Deutschland und Japan, ganz besonders brutal gewesen ist. Das hängt vielleicht damit zusammen, dass die Entmenschlichung hier Tradition hat, gerade weil die Väter-Generation sich so unfassbar verhalten hat. Und welche Bedeutung hat die RAF heute noch? Es war die größte Herausforderung, die der deutsche Rechtsstaat bewältigen musste. Und man muss sagen, dass die BRD ihre Rechtsstaatlichkeit relativ gut bewahrt hat. Das hätte sehr viel schlimmer kommen können. Schauen Sie sich heute an, wie die Amerikaner mit dieser Herausforderung umgehen: Sie schaffen sich Guantanamo an. Und Guantanamo ist etwas anderes ganz als Stammheim. Interview: Martin Schwickert
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