DER BAADER MEINHOF KOMPLEX

119 Schüsse

Nach "30 Jahre Deutscher Herbst" bis "40 Jahre 1968" gibt´s nun »Der Baader Meinhof Komplex«.

Genauso wie Stefan Austs Buchvorlage kommt auch Eichingers Film mit dem Gestus des Standardwerks daher. Zehn Jahre deutsche Geschichte, von der Erschießung Benno Ohnesorgs am 2.Juni 1967 bis zur Liquidierung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer am 19.Oktober 1977 in 150 Kinominuten - da bleibt kaum Zeit zum Atemholen.

Eben noch hat Rudi Dutschke (Sebastian Blomberg) die Herzen der Zuhörer mit seiner Rede gegen den Vietnamkrieg entflammt, da stehen Andreas Baader (Moritz Bleibtreu) und Gudrun Ensslin (Johanna Wokalek) auch schon im Keller und mischen die Brandbombe für das Frankfurter Kaufhaus "Schneider" zusammen.

Im Schweinsgalopp rast der Film von einer Radikalisierungsetappe zur nächsten, und dennoch stimmt jedes Detail. Akribisch wurden sogar die Nummernschilder der Fluchtwagen recherchiert und zeithistorische Fotos aus dem Bildergedächtnis der Bundesrepublik filmisch nachgestellt. Mit diesem Genauigkeitsfimmel will der Film sich unangreifbar machen gegen zeitgenössische Besserwisserei.

Auf der anderen Seite versucht er die Zeitgeschichte der 70er ins Popcorn-Format hineinzupressen. Gefangenenbefreiung, Waffentraining, Banküberfälle, Festnahmen, Großfahndungen, Bombenanschläge, Geiselnahmen - die Geschichte der RAF ist voller Ereigniskarten, da kann man auf klassische Dramaturgieentwürfe und Identifikationsfiguren getrost verzichten. Denn auch darauf achten Eichinger und sein Regisseur Uli Edel peinlichst genau: Dass Baader, Ensslin, Meinhof & Co nie auch nur in die Nähe der Heldenschemata des Mainstreamkinos geraten.

Moritz Bleibtreu mimt den Baader als charismatischen Kotzbrocken, der sich eher mit vaginalorientierten Schimpftiraden als durch politische Scharfsinnigkeit durchsetzt. Martina Gedeck hingegen taucht hinab in die von Widersprüchen gequälte Ulrike Meinhof, die ihre bürgerliche Existenz samt Kindern für den bewaffneten Kampf aufgegeben hat und in Stammheim aus der Gruppe herausgemobbt wird.

Die Terrorakte selbst werden schonungslos in Szene gesetzt. Nadja Uhl schießt als Brigitte Mohnhaupt dem Bankier Ponto beim Hausbesuch kaltblütig in den Kopf, und die 119 Schüsse, die die RAF-Mitglieder auf die Begleitmannschaft Hanns Martin Schleyers abgefeuert haben, werden in voller Anzahl ins Bild gesetzt. Da bleibt kein Platz für Romantisierungen, könnte man meinen, aber wie die abgebrühte Generation "Joystick" auf die Gewaltorgien reagiert, kann man nicht wissen. Der Baader Meinhof Komplex ist nicht mehr (aber auch nicht weniger) als eine aufwändig verfilmte Chronologie der Ereignisse der zehn bewegtesten Jahre in der Geschichte der BRD. Hier geht es um das Abbilden und nicht um das Interpretieren der Geschichte.

Dass in der Form des Abbildens auch schon die Interpretation steckt, wird mit einer dramaturgischen Treibjagd durch die Historie geschickt kaschiert. Persönliche Motivforschung und Psychologisierungen bleiben außen vor. Dabei liegen doch gerade dort die interessantesten Fragen, auf die man nach vierzig Jahren vielleicht doch einmal gerne eine differenzierte Antwort gefunden hätte.

Aber wie es in den Köpfen von Baader, Meinhof und Ensslin aussah, dafür interessiert sich der Film per Selbstdefinition nicht. "Menschen definieren sich nicht durch das, was sie sagen, sondern über das, was sie tun", gibt Eichinger zu Protokoll.

Nur: Das, was die RAF getan hat, wusste man auch schon ohne den Film und darüber hinaus hat Eichingers Der Baader Meinhof Komplex erschreckend wenig zu sagen.

Martin Schwickert

D 2008 R: Uli Edel B: Bernd Eichinger, Stefan Aust K: Rainer Klausmann D: Martina Gedeck, Moritz Bleibtreu, Johanna Wokalek


Das Interview zum Film