DIE ZEIT, DIE BLEIBT
Sinn am Ende Was tun, wenn der Tod absehbar wird? Francois Ozon begleitet die letzten Tage eines 30jährigen
Der Modefotograf Romain (Melvil Poupaud) bricht bei einem Foto-Shooting ohnmächtig zusammen und erfährt im Krankenhaus, dass er einen Hirntumor hat. Der Arzt räumt der Behandlung wenig Erfolgschancen ein, Romain entscheidet sich gegen OP und Chemotherapie. Drei Monate bleiben ihm noch.
Was tut man mit dieser Zeit? Die großen Abenteuer suchen, die das Leben bisher nicht geboten hat? Sich in die Arme der Freunde oder in den Schoß der Familie flüchten? Alte Rechnungen begleichen und überfällige Versöhnungen initiieren? Nichts dergleichen tut Romain. Zuerst wirft er den jungen, hübschen Lover (Christian Sengewald) aus der Wohnung, weil er allein sein und auch bleiben möchte. Der Versuch, den Eltern von seiner unheilbaren Krankheit zu berichten, scheitert an den eingefahrenen familiären Psychomechanismen, die den schwulen Sohn unterschwellig immer wieder ausgrenzen. Nur bei der Großmutter, die er auf dem Lande besucht, kann er sein Herz ausschütten. Die wunderbare Jeanne Moreau spielt die alte Dame, die für ihren Enkel mehr Zärtlichkeit und Verständnis aufbringen kann als dessen Eltern.
Auf der Rückfahrt nach Paris bekommt Romain von einer Raststätten-Angestellten (Valeria Bruni-Tedeschi) ein ungewöhnliches Angebot: Ihr Mann sei unfruchtbar und sie sind auf der Suche nach einem Erzeuger, der ihnen bei der Erfüllung ihres sehnlichen Kinderwunsches behilflich ist.
Je weiter seine Krankheit fortschreitet, desto mehr schottet sich Romain ab, verlässt kaum noch die Wohnung und ist gleichzeitig auf der Suche nach einem stimmigen Schlussakkord für das eigene Leben.
Die Zeit, die bleibt erzählt von dem schwierigen Versuch, dem eigenen Leben vor dem Tod noch einen Sinn abzuringen. Ozon geht dabei den Sentimentalitäten amerikanischer Sterbedramen gezielt aus dem Weg. Sein Romain ist alles andere als eine sympathische Identifikationsfigur. Ozon schildert seinen Helden als eitlen, selbstsüchtigen Zeitgenossen, und die Aussicht auf den baldigen Tod macht aus ihm nicht unbedingt einen besseren Menschen. Trotzdem stellt sich irgendwann eine widerwillige Vertrautheit zwischen Publikum und Protagonist her, und so ist Die Zeit, die bleibt auch ein Film, der mit dem Wandel der Zuschauerwahrnehmung spielt.
Martin Schwickert
Le temps qui reste F 2005 R&B: François Ozon K: Jeanne Lapoirie D: Melvil Poupaud, Jeanne Moreau, Valeria Bruni-Tedeschi
Das Interview zum Film
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