THE VILLAGE


Rot ist böse

Mr. Shyamalan mag's wieder doppelbödig

M. Night Shyamalan wurde nach The Sixth Sense in Hollywood voreilig als Widergänger Hitchcocks gefeiert. Aber seine Nachfolgewerke zeigten deutlich, dass dem neuen Gruselmeister der lange kreative Atem fehlte. Vergeblich versuchte er in Unbreakable und Signs das Erfolgsrezept seines eigenen Filmes zu kopieren. Und er war nicht der einzige. Nach The Sixth Sense wartete fast jeder Thriller aus Hollywood mit einem Last-Minute-Twist auf, der die innerfilmische Wahrheit kurz vor dem Abspann noch einmal auf den Kopf stellte.
Bei den wenigsten Nachahmungstätern ging die Verrätselungstaktik auf, die die Zuschauer - wie es bei The Sixth Sense geschehen war - ein zweites Mal ins Kino locken sollte. Auch The Village werden sich die wenigsten zweimal anschauen, obwohl auch hier mit einer finalen Plotwendung eine neue Bedeutungsebene eingezogen wird. Nichtsdestotrotz ist das ein Film mit nachhaltiger Wirkung.
The Village zeigt das Leben in einem abgeschiedenen Dorf Anfang des 19. Jahrhunderts. Schon in den ersten Bildern ist die Idylle von einem allgegenwärtigen Grauschleier durchzogen. Kinder entdecken beim Spielen eine rote Blume, reißen sie erschrocken heraus und vergraben sie hastig unter der Erde. Rot - das ist die böse Farbe. Sie lockt die an, von denen wir nicht sprechen. Im Wald, so heißt es, hausen sie. Ihr urtümliches Stöhnen hallt durch das Tal. Früher haben die Kreaturen das Dorf überfallen, jetzt herrscht friedliche Koexistenz, solange keiner der Dorfbewohner die Grenze zum Wald überschreitet. Die Angst vor "denen da draußen" schweißt die Gemeinschaft zusammen. Keiner kann heraus, alle sind aufeinander angewiesen - eine utopische Mustersiedlung, irgendwo zwischen amerikanischem Pionierpathos und Kibbuz-Sozialismus.
Regiert wird das Dorf vom Ältestenrat um den Schullehrer Walker (John Hurt). Sie sind die einzigen, die wissen, wie die Welt jenseits des Waldes aussieht. Den jungen Lucius (Joaquin Phoenix) drängt es danach, die Grenze zu überschreiten. Als er lebensgefährlich verletzt wird, will seine blinde Geliebte Ivy (Bryce Dallas Howard) den Weg durch den Wald wagen, um in der Stadt Medikamente zu besorgen.
Farbgebung und Setting sind bewusst schlicht gehalten, auch die Dialoge sind von bestechender Schlichtheit. Die Figuren sprechen mit intensiver Direktheit miteinander. Nach eigenen Aussagen ging es Shyamalan darum, sie als zutiefst unschuldige Wesen zu zeichnen. Auch wenn die Macher von Scary Movie 4 sich angesichts des gebotenen Zitatmaterials schon die Hände reiben dürften: die Unverstelltheit, mit der die Figuren agieren, hat im abgeschlossenen Kinoraum etwas unmittelbar berührendes. The Village ist weit mehr als ein gut gebautes Schauermärchen. Der Film funktioniert vor allem als Parabel, in der die Macht der Angst und die Sehnsucht nach einer heilen Welt, in er alles Böse nach außen delegiert werden kann, thematisiert wird. Wer in dem abgeschotteten Wehrdorf ein Bild für die Sehnsüchte amerikanischer Außenpolitik sieht, liegt auch nicht ganz falsch. Anders als in Shyamalans bisherigen Filmen eröffnet The Village Bedeutungsräume, die über den Selbstzweck der Verrätselung hinaus gehen und den spirituellen Hokuspokus auf der Leinwand mit der Realität außerhalb des Kinosaals verbinden.

Martin Schwickert
USA 2004 R&B: M. Night Shyamalan K: Roger Deakins D: Bryce Dallas Howard, Joaquin Phoenix, Adrien Brody, William Hurt