TRAFFIC
Verlorene Posten
Steven Soderberghs Sittengemälde der amerikanischen Drogengesellschaft
dazu das Interview mit Steven Soderbergh
Traffic - das sind zuerst einmal drei Orte, drei Welten, drei Geschichten, parallel erzählt und fast ohne direkte Berührungspunkte. Was haben der ehrenwerte Richter aus Ohio, die High-Society-Mutter aus San Diego und der Polizist an der mexikanischen Grenze gemeinsam? Vielleicht, dass sie mit einem gewissen Ernst an ihr eigenes sauberes Leben glauben und an die Unverletzbarkeit ihrer persönlichen Integrität.
Gerade durch seine moralische Unnachgiebigkeit qualifizierte sich Richter Wakefield (Michael Douglas) für die Berufung zum obersten Drogenfahnder der Vereinigten Staaten. Sein Land führt Krieg gegen die Drogen, und der Präsident hat Wakefield als neuen Feldherren auserkoren. Auf höchster Ebene werden hier Fahndungserfolge hochgejubelt, bilaterale Verhandlungen in die Wege geleitet, Szenarien gegen die Kartelle entwickelt und verworfen. Die politische Maschinerie läuft auf Hochtouren, nur dass eigentlich keiner der Verantwortlichen mehr an den Erfolg des Mission glaubt.
Während Wakefield in Washington auf Dinnerpartys Hände schüttelt, experimentiert seine Tochter Caroline (Erika Christensen) zu Hause in Cincinnati zum ersten Mal mit Koks und Heroin. Bald schon sieht sich der integre Richter mit seinem ganz eigenen privaten Drogenkrieg konfrontiert.
Helena Ayala (Catherine Zeta-Jones) fällt aus allen Wolken, als ihr Mann verhaftet wird. An den Reichtum und das High-Society-Leben in San Diego hatte sie sich schnell gewöhnt. Von den illegalen Drogengeschäften des Gatten wusste sie nichts. Ihre moralische Empörung mischt sich mit massiven Existenzängsten. Helena erwartet gerade ihr zweites Kind, alle Konten sind eingefroren und die Schuldeneintreiber der Drogenmafia werden schon ungeduldig. Wenn sie den liebgewordenen Lebensstandard nicht verlieren will, muss sie selbst die schmutzigen Geschäfte ihres Mannes weiterführen.
Mexiko ist das Einfallstor für den Drogenhandel in die USA. Politik und Justiz sind längst korrumpiert, und die Arbeit des Polizisten Javier (Benico Del Toro) wird immer mehr zur Farce. Gerade hat er mit seinem Kollegen einen Drogentransport gestoppt, da fahren die gut bewaffneten Soldaten von General Salazar (Tomas Milian) vor und übernehmen die Ladung. Salazar ist der Gewährsmann der amerikanischen Drogenfahnder. Javier lässt sich auf eine Zusammenarbeit mit dem undurchsichtigen Militär ein und entdeckt, dass der General seine Macht nur benutzt, um ein konkurrierendes Kartell auszuschalten. Für Javier wird die persönliche Integrität zur lebensgefährlichen Angelegenheit.
Mit Traffic zeichnet Regisseur Steven Soderbergh ein hochkomplexes Sittengemälde des internationalen Drogenhandels. Er bringt das Kunststück fertig, alle politischen und moralischen, persönlichen und globalen Aspekte des Themas in eine mehrdimensionale Geschichte mit über 110 Sprechrollen zu verpacken - ein kompetentes politisches Statement und gleichzeitig spannendes Unterhaltungskino. Dabei kommt Soderbergh ohne die üblichen Heldenklischees des Politthrillers aus - Traffic ist von geradezu programmatischer "Heldenlosigkeit". Im Schatten der Drogenmächte verlieren alle Hauptfiguren ihre moralischen Prinzipien und ein wenig auch sich selbst. Von der naiven Luxusmutti zur eiskalten Geschäftsfrau ist es ein kurzer Weg, und Catherine Zeta-Jones bringt den tödlichen Opportunismus ihrer Figur präzise auf den Punkt. Wenn Michael Douglas als prinzipientreuer Richter auf der Suche nach seiner Tochter durch die Elendsquartiere von Cincinnati streift, wird die kriminalisierende Drogenpolitik der USA in wenigen prägnanten Szenen ad absurdum geführt. Traffic verfällt nie in naheliegenden Zynismus, sondern schaut der politischen Realität nur genau ins Auge. Soderbergh nimmt sein Thema ebenso ernst, wie seine Zuschauer. Ein Einspielergebnis von 86 Millionen Dollar in den USA zeigt, dass das Publikum diese Ernsthaftigkeit zu schätzen weiß.
Martin Schwickert
USA 2001 R: Steven Soderbergh B: Steven Gaghan K: Steven Soderbergh alias Peter Andrews D: Michael Douglas, Catherine Zeta-Jones, Benicio Del Toro
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