IRINA PALM
Die wichsende Witwe
Eine brave Hausfrau verdient sich auf ungewöhnliche Weise was dazu
Hostess gesucht" steht auf dem Schild des zwielichtigen Etablissements. Maggie (Marianne Faithful) hat keine Ahnung, was das bedeutet. Die Witwe hatte sich bisher in einem spießigen Londoner Vorort vergraben. Aber nun braucht Maggie Geld. Der Enkelsohn ist krank. Die Behandlung in einer australischen Klinik kostet 6000 Pfund, und auf dem Arbeitsamt haben sie die ungelernte Hausfrau gleich durchgewunken.
Geschäftsführer Miki (Miki Manojlovic) schaut sich die Hände der Bewerberin an. Sie sind nicht schön, aber zart. Darauf kommt es an in diesem Job. Und schon sitzt Maggie vor einem Loch in der Sperrholzwand, durch das triebgestaute Herren ihren Penis stecken. Die junge Kollegin weist sie kaugummikauend in die Arbeit ein. Gleitgel in die Handflächen. Erst langsam und dann schneller rubbeln. Rechtzeitig das Kleenex zur Hand. Fertig.
Man muss sich dazu das Gesicht von Marianne Faithful vorstellen, in dem sich ehrliches Erstaunen mit unterdrücktem Abscheu fein abgewogen mischen. Unbestreitbar ist dies einer der genialsten Besetzungscoups der jüngeren Kinogeschichte: Faithful, die Ikone der Swinging Sixties, in deren Gesicht und Stimme sich das wilde Leben ihrer Generation tief eingeschrieben hat, in der Rolle einer braven Hausfrau, die als "beste rechte Hand Londons" Karriere macht. Denn die Männer stehen Schlange vor der Kabine, auf der mit geschwungener Schrift der verheißungsvolle Künstlername "Irina Palm" angebracht ist.
Auf der anderen Seite hat sich die "wichsende Witwe" (Selbstbezeichnung) häuslich eingerichtet: Thermoskanne, Stullendose und ein Familienfoto an die Wand genagelt. Aber auch in der Ejakulationsroutine ist noch Platz für echte Gefühle. Miki, der wortkarge, melancholische Clubeigentümer, lernt Maggie nicht nur als profitable Angestellte schätzen. Natürlich kommt die Sache irgendwann raus und den Nachbarinnen am Bridge-Tisch fällt das Gesicht runter, als Maggie genüsslich und detailliert von ihrem Job erzählt. Der Sohn, für den sich die Mutter manuell engagiert, ist zutiefst empört. Dennoch hat man das Gefühl, dass man die Geschichte auch weniger dramatisch hätte erzählen können, ohne etwa dem Enkel ein todbringende Krankheit anzudichten.
Aber abgesehen davon hält sich der belgische Regisseur Sam Gabarski (Der Tango der Rashevskis) an das britische Understatement-Gebot, und Marianne Faithful versieht ihre Figur mit einer wunderbar spröden Grazie, die jegliches Abdriften ins Spekulative im Keim erstickt.
Martin Schwickert
GB 2007 R: Sam Gabarski B: Martin Herron, Philippe Blasband K: Christophe Beaucarne D: Marianne Faithfull, Miki Manojlovic, Kevin Bishop
Das Interview zum Film
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