Die kleine Krimi-Rundschschau 57. Folge


und hier die vorherige-Ausgabe

Bei Gabriella Wollenhaupt kann man sich seit 1993 blind darauf verlassen: Ihre relativ freche Reporterin Maria Grappa stolpert alle paar Monate über ein lokales Problem in Dortmund, verkracht sich ein bisschen mit Medienkollegen, die lieber Quote als Qualität wollen, und deckt dabei mindestens ein völlig abstruses Verbrechen auf, das es so sicher nicht gegeben hat. Diesmal geht es um den bulgarischen Straßenstrich, ein Edel-Bordell als Investment für fiese Geldsäcke und Snuff-Schweinkram im Internet. Grappa lässt die Puppen tanzen steht dabei immer auf der richtigen Seite, kämpft für Frauenhäuser und Hurenselbsthilfe, verteilt die Bösen schön gerecht über die verschiedenen Volksgruppen und gesunden Menschenverstand und gutes Herz auch mal in die alteingesessenen Bäckersfrau. Ob eine Ex-Nutte bei ihr arbeiten dürfe? Wenn sie sich die Hände wäscht. So sind Westfalen. Etwas seltsam sind allerdings ihre kulinarischen Vorlieben: Käsebrötchen mit Pommes. Und Grappas Hang, selbst mit dem Messer an der Kehle noch einen Witz zu machen.

Die toten Frauen von Juárez orientiert sich an den realem unaufgeklärten Frauenmorden im Norden Mexikos. Leider hat sich der Amerikaner Sam Hawken für seinen Debütroman ein bisschen viel vorgenommen und vertrödelt die erste Buchhälfte mit der Beobachtung eines Gringo-Boxers, der sich für Schaukämpfe zusammenschlagen lässt. Dann liegt der Boxer im Koma, eine Frau ist verschwunden, und der Polizist, der bisher nur Nebenfigur war, übernimmt eine Handlung, die recht übersichtlich am Ende die Bösen präsentiert, die schon in der ersten Buchhälfte verdächtig waren. Weil die Tristesse in einem mexikanischen Kaff zwischen korrupten Cops und Drogendealern recht gut getroffen ist, liest sich das recht flott. Der Plot und seine Auflösung aber sind hanebüchen.

Einen gemeinsamen Krimi haben Claus-Ulrich Bielefeld und Petra Hartlieb schon hinter sich. Da rauften sich der Berliner Kommissar Thomas Bernhardt (sehr komisch) und die Wiener Chefinspektorin Anna Habel über einen Eisenbahnfall zusammen. In Bis zur Neige geraten sie nun über guten Wein aneinander (weißen, abweichend vom Cover). In Wien wird ein Bio-Winzer umgebracht, in Berlin ein Edel-Kneipier, der den Stoff exklusiv importierte. Ist das Zufall? Oder hat es was zu sagen, dass der Berliner Kriminaler früher mit dem Opfer zusammen im Hegel-Seminar an der Uni saß? Lange laufen die Fälle parallel und der Spaß liegt in den unterschiedlichen Arbeitsweisen und Schauplätzen. Aber dann treffen sich die Ermittler doch wieder und reiben ihre Temperamente aneinander. Das machen sie so glaubwürdig, dass man am Ende hofft, in ihrem gemeinsamen Hotel wäre nur noch ein Zimmer frei.

Spenser ist seit 1973 der Privatdetektiv in Robert B.-Parkers umfangreichster Krimi-Serie. Wortkarg, hartgekocht und ebenso innig mit der Unterwelt befreundet wie mit einer Psychologieprofessorin bringt er in knappsten Dialogen die schiere Gewalt und die auch ziemlich verletzenden Reibereien in der sogenannten normalen Gesellschaft zusammen. In Bitteres Ende scheint es lange nur um einen Beischlafschwindler zu gehen, der unausgefüllte Oberklassefrauen erst beschläft und dann erpresst. Ein Anruf beim mörderischen Freund Hawk und ein paar gebrochene Nasen klären das. Vorübergehend. Wenn nur die Frauen, die im Vergleich zu ihren Männern viel selbstbestimmter erscheinen, ihre Finger von dem Schwindler lassen könnten. Einige Leute sterben, Spenser sitzt an einigen Theken, guckt in einige Abgründe und überlässt am Ende den Täter den Selbstheilungskräften der Schattenwelt. Mehr Gerechtigkeit braucht kein Mensch. Sechs Spenser-Romane des 2010 verstorbenen Autors warten noch auf ihre Veröffentlichung.

Sylvia Rafael. Mossad-Agentin schildert den Werdegang einer jüdischen Südafrikanerin, die für den Mossad einige Operationen ausführte, über die die Autoren Moti Kfir und Ram Oren offenkundig nur auszughaft berichten. Faszinierend genug wird die Jagd des Mossad auf die Mitglieder der palästinensischen Terrortruppe "Schwarzer September" geschildert und Rafaels Beteiligung an der legendär versiebten Mossad-Aktion in Lillehammer. Die offenkundige Absicht der Autoren, nur ausgewählte und modifizierte Wahrheiten zu verbreiten machen das Buch zu einer Mischung aus Sachbuch und Spionageroman. Als kleines Geschichtsbuch zum Nahost-Konflikt taugt es ebenso wie zur Erinnerung daran, dass der spätere Nobelpreisträger Arafat jahrelang ein lupenreiner Terrorist war.

Irgendwie ist der Kölner Regio-Krimi-Verlag emons auf "Mystery im Münsterland" als Sparte verfallen. Jetzt schickt Fantasy-Autor Alfred Bekker sogar einen unsterblichen Elbenkrieger auf die Jagd nach einem Traumdämon ins heutige Westfalen. Vielleicht ist Branagorn aber auch bloß ein stabiler Schizophrener, der gern mit einem Schwert herumläuft und immer da auftaucht, wo jemand unschuldige Besucher von Mittelalter-Märkten oder -Konzerten umbringt. Der Teufel von Münster hat ein interessantes Setting, aber leider verbockt Bekker von der historisierend umständlichen Sprache des ermittelnden Elben bis zu den mal knackig mal selbstzweifelnd gedachten Äußerungen seiner normalen Menschen ungefähr jeden dritten Satz. Die gewünschte Irritation, hinter der normalen Durchgeknalltheit könne etwas Dämonisches stecken, und komische Gewandunsgträger, die im Internet für neuheidnische Rituale werben, könnten unabsichtlich dem Bösen dienen, stellt sich einfach nicht ein, wenn etwa ein Pseudo-Satanist Timothy Winkelströter heißt.

Sanok, ein Städtchen in Galizien im Herbst 1896. Eines Morgens wird die furchtbar zugerichtete Leiche eines Ratsherrn in einer Gasse gefunden. Die latent abergläubische Bevölkerung glaubt, dass ein Werwolf aus den nahen Karpaten sein Unwesen treibe. Dieses Gerücht erhält umso mehr Nahrung, als es nicht bei einem Toten bleibt. Ein junger Hauslehrer sowie ein mit dem Brotherrn des Pädagogen befreundeter und zufällig zu Besuch weilender, tatkräftiger Wiener Professor glauben anderes und fahnden mit Wissenschaft und Verstand nach dem Mörder. Die Bestie von Sanok von Bartlomiej Rychter ist ein historischer Kriminalroman, der ohne historische Persönlichkeiten auskommt und dafür aber recht authentisch vom Leben in der Provinz der k.u.k.-Monarchie zwischen Tradition und Moderne erzählt. Kulturelle Besonderheiten werden in erläuternden Anmerkungen der Übersetzerin erklärt. Die Kriminalhandlung fällt dagegen ab. Obwohl eigentlich gut erzählt wird sie leider bis auf wenige Ausnahmen selten richtig spannend und entwickelt kaum Tempo.

Gerade läuft ein Dokumentarfilm in den Kinos, der uns erklärt, hinter der Einführung der ungesunden Energiesparlampe stecke eine Verschwörung. In Traudl Büngers Lieblingskinder bekommt es Tochter Rosalie scheinbar genau mit der Verschwörung zu tun, als sie das Verschwinden ihres alten Vaters aufklären will. Der hat sich schon immer für jedes Gerücht interessiert, sammelt Belege für jede abweichende Ansicht und hat ihr die Schulzeit vermiest, weil sie von ihm angespornt Referate darüber hielt, dass die CIA AIDS erfunden hat. Später kam heraus, dass das nicht stimmt und sie wurde lieber Staatsanwältin statt Journalistin. Jetzt aber ist Vater weg, in seinen Aktenbergen klaffen Löcher, und beim Nachforschen kommen Weltbilder ins Rutschen. Rosalie deckt mit Aktennotizen und Schaubildern die komplizierte Verflechtungen der echten Glühbirnen-Mafia seit Thomas Edisons Zeiten auf (die begrenzte Haltbarkeit ist ein perfide eingebauter Makel), Rosalie entdeckt vergessene Momente der Kindheit mit dem Nachbarsjungen, Rosalie fängt ein Krösken mit eben dem an, der heute im Rollstuhl im Nebenhaus sitzt und Vaters letzter Kontakt zur Realität war. Längst hat sich der Krimi-Plot in eine Art Märchen verwandelt. Bruchlos schlittern Rosalie und Tobias von der Geschichte über die Gegenwart in eine wunderbare ferne Stadt, deren Sprache 200 Wörter für Obstkuchen kennt. Krimi-Leser steigen da vermutlich aus. Dafür düpiert die Autorin auch die Literatur-Leser, die den Plot längst als Tarnung erkannt haben, und schaltet auf den letzten Seiten wieder auf Rätsel-Thriller um. Ist Tobias ein Agent von "Phöbus"?

Das Watt ist ein unwirtlicher Ort. Gut geeignet, um Leichen verschwinden zu lassen. Blöderweise hat das bei dem Lehrer aus Bochum nicht geklappt, der seine Schüler bei einer Freizeit zur Wanderung von Norddeich nach Norderney trieb. Die verstörten Schüler kommen allein zurück. Die Lehrerleiche wird anderswo angetrieben. So fängt Ostfriesenangst von Klaus-Peter Wolf an. Mit geschickten Spannungsschnitten treibt der gelernte Tatort-Autor den kleinen Fall zu einer großen Hetzjagd auf. Die Leiche wurde nämlich erschossen. Und ist gar nicht der Lehrer. Der liegt plötzlich woanders tot herum, was die Schüler nicht aus dem Tatverdacht entlässt. Ein möglicher Täter taucht auf, ein flüchtiger Sexualstraftäter, den die verstörten Friesen plötzlich überall sehen und lynchen möchten. Natürlich treffen sie den falschen ... und so weiter. Wolf kriegt Land und Leute passgenau hin, sein Ostfriesland ist traditionsbewusst, aber nicht touristisch aufgehübscht, und wenn seine Polizisten Fehler machen, erhöht das nur ihre Glaubwürdigkeit.

Lukas Hartmann schreibt eigentlich historische Romane. Sein Räuberleben gehört aber hierher, weil es darin um einen echten Räuber geht, der Ende des 18. Jahrhunderts im Schwarzwald und im Elsass sein Unwesen trieb, und um einen Oberamtmann, der den "Hannikel" jahrelang verbissen jagt. Und um dessen Schreiber, der beim Protokollieren der Hatz allmählich bemerkt, wie schlimm es ganz allgemein um die Welt steht, und wie wenig damit gewonnen ist, einen Missetäter hinzurichten. Eng an den überlieferten Archivalien entlang erzählt Hartmann in stets glaubwürdigem Ton von einer Welt, in der Gut und Böse noch so fest verteilt scheinen wie reich und arm. Hannikel wird nicht zum Sozialrevolutionär, sein Häscher nicht zum reaktionären Monster des Systems, und Hannikels Sohn nicht zur Hoffnung auf moderne Menschlichkeit. An seinem Lebensende aber notiert der Schreiber, da größte Unglück sei wohl, dass sein Landstrich 15000 Soldaten mit Napoleon gegen Russland schicken musste, von denen nur ein paar hundert zurück kamen. Das mit den Untaten Hannikels zu vergleichen überlässt Hartmann uns.

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Gabriella Wollenhaupt: Grappa lässt die Puppen tanzen grafit, Dortmund 2012. 223 S., 8,99 / Sam Hawken: Die toten Frauen von Juárez Aus dem Englischen von Joachim Körber. Tropen bei Klett-Cotta, Stuttgart 2012, 317 S., 19,95 / Claus-Ulrich Bielefeld & Petra Hartlieb: Bis zur Neige Diogenes, Zürich 2012. 472 S., 16,90 / Robert B. Parker: Ein Fall für Spenser - Bitteres Ende pendragon, Bielefeld 2012. Aus dem Amerikanischen von Emanuel Bergmann. 216 S., 9,95 / Moti Kfir & Ram Oren: Sylvia Rafael. Mossad-Agentin Aus dem Hebräischen von Ruth Achlama. Arche, Zürich 2012, 333 S., 21,95 / Alfred Bekker: Der Teufel von Münster emons, Köln 2012, 271 S., 10,90 / Bartlomiej Rychter: Die Bestie von Sanok Aus dem Polnischen von Lisa Palmes, DTV, München 2012, 366 S., 9,95 / Traudl Bünger: Lieblingskinder Kiepenheuer & Witsch, Köln 2012. 256 S., 18,99 / Klaus-Peter Wolf: Ostfriesenangst Fischer, Frankfurt 2013. 480 S., 8,99 / Lukas Hartmann: Räuberleben Diogenes, Zürich 2012. 346 S., 22,90