Die kleine Krimi-Rundschschau 56. Folge

Zeitungskriege


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Der Mord des Jahrhunderts behandelt nicht nur einen wahren rätselhaften Todesfall in New York im 19. Jahrhundert. Paul Collins beschreibt anhand der unterhaltend zusammengestellten Fakten auch einen Zeitungskrieg, der gnadenlos ausgetragen wurde zwischen William Randolph Hearst und dem alten Pulitzer, die den Mord an dem Immigranten Guldensuppe benutzten, um sich in immer wilderen Schlagzeilen zu übertreffen. Hearst, der sich den Zeitungskrieg (der andeutungsweise in Orson Welles' Citizen Kane nachgestellt wurde) insgesamt vier Millionen Dollar kosten ließ, hatte anschließend die Boulevardpresse mit all ihren hässlichen Auswüchsen erfunden. Er ließ seine Truppe selbständig ermitteln (einmal beschlagnahmte man einen potentiellen Tatort, um ihn der Konkurrenz vorzuenthalten), führte eigene Verhöre durch und lieferte das Urteil gleich mit. Dass es dabei um mehr geht als nur einen völlig vermurksten Mordprozess, erklärt Collins in einem abschließenden Kapitel: Berauscht von der eigenen Macht, zettelte Hearst anschließend fast alleine den amerikanisch-kubanischen Krieg an und forderte vom Kriegsministerium die Genehmigung, mit einer eigenen kämpfenden Truppe einzugreifen. Das, immerhin, wurde ihm verweigert.

Das wäre doch nun wirklich nicht nötig gewesen, dass eine Hausfrau aus Hagen Agatha Christie nochmal erfindet. Und mit James Bond ins Altersheim steckt. Aber was Marlies Ferber in Null Null Siebzig: Operation Eaglehurst mit Rollatoren und USB-Sticks in südenglischer Kleinstadt-Atmosphäre und den ergrauten Zonen eines alternden Ex-Geheimagenten anfängt, ist dann doch ein nettes Debüt geworden. Nicht so übermäßig stilvoll wie Gilbert Adairs Klassiker-Reprisen, aber auch nicht so zwangslustig, wie Deutsche oft bei Hommagen werden. Der Grundton ist eher schmunzelnd, auch wenn, bei mehreren Morden und Altersbeschwerden überall nicht überraschend, auch ein paar düstere Gedanken aufkommen. Am Ende aber darf der anfangs arg tattrige James seinen Rollator einmotten und mit einer unverwüstlichen Miss Marple Händchen halten.

Historische Kriminalromane haben sich zu einem recht breit gefächerten Subgenre entwickelt, und die meisten sind sterbenslangweilig. Die Hälfte der Handlung vergeht mit Namedropping, was nichts weiter erfordert als ein halbwegs zuverlässiges Geschichtsbuch, die andere Hälfte besteht aus meist öden Handlungsverwicklungen, deren konstruierte Zusammenhänge glaubwürdiger werden sollen, weil sie in historische Fakten eingebunden sind. Dass die meistens auch nicht stimmen, steht auf einem anderen Blatt. Der Spinnenmann des Autorenduos Terje Emberland und Bernt Rougthvedt ist geradezu ein Prachtexemplar dieser neuen Gattung der literarischen Einschlafhilfen. Ein junger Reporter ist den Machenschaften eines deutschen Polizeioffiziers in Norwegen auf den Fersen. Der hinterlässt überall Tote und ist offensichtlich auf der Suche nach einem kleinen Bild. Der Held macht derweil Erfahrungen mit lockeren Damen mit "glänzenden Schamlippen" und tapert dermaßen im Dunkeln, dass man die Osloer Polizei versteht, die ihm kein Wort glaubt. Weil alles Anfang der 30er spielt und weil der Deutsche ein Nazi ist und weil das alles mit der beginnenden Judenverfolgung in Deutschland zu tun hat, erzeugt dieser Historien-Krimi Bedeutsamkeit, die ihm nach der literarischen Gestaltung einfach nicht zusteht. Anders gesagt: Das Buch ist ausgesprochen langweilig.

Vermutlich ist Andrea Maria Schenkel Schuld daran, dass mittlerweile jede dritte gefühlte Leiche nach einem historischen Vorfall nochmal neu umkommt. Was sie mit Tannöd und Kalteis anfing, ist inzwischen meist eher ärgerliche Mode, Finsterau aber folgt immer noch dem originalen Schenkel-Modell: Gut schreiben ist alles. Da steht eine erschöpfte Wirtsfrau und will ihre Kneipe zuschließen. Noch ist nichts passiert und schon hat die Autorin uns eingefangen. Nur wenige Seiten weiter stecken wir mittendrin in einem längst vergessen Mordfall. Wieder multiperspektivisch und wieder gegen den Zeitablauf, erzählt Andrea Maria Schenkel scheinbar unbeteiligt, am Rande der Herzlosigkeit von sprachlosen Menschen und was sie sich gegenseitig antun.

Wenn Wissenschaft und Trivialliteratur aufeinander treffen, ist das Ergebnis oft nicht schön. Wir erinnern uns zum Beispiel an Dr. Karlheinz Steinmüller und seine Unsinns-Behauptung "Star Trek ist keine sozialistische Utopie. An Bord der Enterprise frönen Kirk und seine Crew notorisch einem urkapitalistischen Laster: Sie pokern" (gegeben 1997 in "Unendliche Weiten. Star Trek zwischen Unterhaltung und Utopie" für stattliche 19,95 DM). Ganz so blöd sind die Autoren von Im Anfang war der Mord. Juden und Judentum im Detektivroman nicht, aber es knirscht ganz schön. Die Idee, eine Materialsammlung zum Thema "Juden im Krimi" anzulegen, ist ja durchaus unterhaltend und spannend. Sogar der Titel ist drollig. Man darf ihn nur nicht erklären wie Herausgeberin Anna-Dorothea Ludewig es tut, die meint, der allwissende Gott der Bibel mache ja jeden Detektiv überflüssig. Dabei hatte Gott gerade vom ersten Mord der Bibel keinen blassen Schimmer und musste hilflos herumraten: "Wo ist dein Bruder Abel?". Die folgenden Kapitelchen, nach Autoren und Figuren gegliedert, werden auch nicht viel besser. Ed McBain etwa wird bescheinigt, seinen jüdischen Helden Meyer Meyer "ohne Tiefgang, aber auch ohne (anti-)jüdische Klischees" zu schildern: "Ein Rückschluss auf den Umgang McBains mit dem Judentum ist vor diesem Hintergrund gleichwohl kaum möglich." - abgesehen von dem wichtigtuerisch überflüssigen "gleichwohl": Doch! Offenbar hatte McBain ein entspanntes Verhältnis zu Juden und zum Judentum. Dashiell Hammett wird abgewatscht, weil im Malteser Falken Casper Guttman wie ein Klischeejude beschreibt (nirgendwo im Buch steht, dass er Jude sei), dafür wird der Trivialschreiber und "Tatort"-Autor Peter Probst seitenweise abgefeiert. Ein "Exkurs: Film" widmet sich ausschließlich "Pfarrer Braun", der ARD-Chesterton-Verwurstung mit Ottfried Fischer, und mehreren "Tatort"-Folgen, wie überhaupt das ganze Büchlein eine öffentlich-rechtliche Schnarchnasigkeit verbreitet: Bieder abgeguckt, dafür aber auch nicht einen einzigen Gedanken enthaltend, der einen bierseligen Sonntagabend überleben würde. Dass die widersprüchlichste, übergroße jüdische Figur der jüngeren Krimigeschichte, Isaac Sidel, erdacht und beschrieben in immerhin zehn überragenden und gefeierten Bänden von Jerome Charyn, nicht vorkommt, ist da fast so unwichtig wie die Tatsache, dass der Verlag auch noch die Paginierung im Buch verhunzt hat.

Erstaunlich, wie Jutta Profijt ihren toten Autodieb und gespenstermäßigen Hobby-Detektiv Pascha von Band zu Band weiter ausbaut und zur schnoddrigen Schreibe immer noch ein paar echte Informationen und Gedanken in der Handlung unterbringt. Bei Kühlfach Betreten verboten!, dem vierten Band gibt es einerseits wieder wertvolle Hinweise zum Prozedere in der Gerichtsmedizin, und andererseits einen verzwickten Fall mit mehreren möglicherweise toten Kindern, deren Geister Pascha derart auf den Geist gehen, dass er jede Menge türkisch-deutsche Verbrechen aufklärt, nur um die Bande wieder zurück in ihre komatösen Körper zu kriegen. Sprachlich benimmt sich Pascha dabei rotzfrech inkorrekt und tappt in jedes Tussen-, Döner- und Sauerkraut-Klischee, inhaltlich aber kommt ganz unangestrengt heraus, dass fies sein nicht von den Genen kommt.

Fast vermurkst hätte Andreas Hoppert, im Hauptberuf Sozialrichter, den neuen Fall seines Serien-Anwalts Marc Hagen, diesmal Mordverdächtiger. Allzu locker wischt der in Schwanengesang mal eben genialisch das Fernsehkrimi-Scheinargument vom 99%-DNA-Profil-Beweis weg, allzu ausführlich kommen Bielefelder Ecken, Kneipen und Tankstellen vor, die schon in Detmold, Hopperts Arbeitsplatz, keiner mehr kennt, und gleich zwei Anwälten überdrehtes Dallas-Serien-Fantum anzudichten, hätte fast zur Blödsinnsvorverurteilung geführt. Mit Gewissensbissen ringt sich Hagen zur Sterbehilfe an einer final krebskranken Frau durch, nur, um kurz danach zu erfahren, dass sie kerngesund war und er in eine komplizierte Intrige gelockt wurde. Dass es in der auch um Nazi-Euthanasie geht, zeigt, dass Hoppert immer noch gut konstruiert. Sogar Dallas und vor allem die Episode "Schwanengesang", spielt eine wichtige Rolle.

Die Praxis des Allgemeinmediziners Marc Schlosser läuft blendend. Nicht zuletzt, weil er sich für alle seine Patienten Zeit nimmt. Bei ihm wird niemand einfach abgefertigt. 20 Minuten bekommt jeder, der zu ihm kommt. Er lässt subtil den Kumpeltypen raushängen, wenn er den Kranken durchaus zugesteht, dass es sicher kein Problem ist, mal einen über den Durst zu trinken. Insgeheim hat er sich schon lange davon verabschiedet, Gutes zu tun. Wie er mit einem gepflegten Zynismus seine Patienten und deren Wehwehchen auseinandernimmt, das lässt sich wunderbar lesen. Immer wieder gibt es fantastische Beschreibungen der Patienten und deren Körper, vor denen Schlosser sich ekelt. Eines Tages sitzt Ralph Meier, ein bekannter Schauspieler, in der Praxis und wirbelt gehörig Staub auf. Er hat gehört, dass Doktor Schlosser Aufputschmittel verschreibt, wenn es nötig sei. Die beiden sind sich sofort sympathisch, und es entwickelt sich eine Freundschaft, die nur knapp anderthalb Jahre dauern wird, denn nach diesen anderthalb Jahren ist Ralph Meier tot. Zwischen dem Kennenlernen der beiden und dem Tod des Schauspielers liegen einige verhängnisvolle Treffen und ein gemeinsam verbrachter Urlaub im Sommerhaus mit Swimmingpool, wo die beiden Familien der Männer sich intensiver kennenlernen als ihnen lieb ist. Es wimmelt nur so von schicksalsträchtigen Begegnungen, Entscheidungen und Ahnungen. Das alles wird aus der Sicht eines Menschen geschildert, der schon lange aufgehört hat, etwas an Menschen zu finden, die nicht zu seiner Familie gehören. Was einen wirklich gefangen nimmt, das ist die Weltsicht von Marc Schlosser und aus welchen Beweggründen heraus er Entscheidungen trifft.

Es riecht stellenweise streng nach Judenbuche in Sabine Schulze Gronovers Debüt Todgeweiht im Münsterland, schon weil es historisierend mit einem Totschlag unter Bauerssöhnen anfängt, die vor ein paar Jahrhunderten wegen unschicklicher Männerliebe von ihren Familien verstoßen wurden. Einer liegt seitdem unter einem Baum verbuddelt, der Nachfahre des Mörders schreibt einen historischen Krimi darüber, der Lektor seines Verlags glaubt fest an eine Weissagung, in vier Tagen sei er selber tot, und die Autorin, die sich womöglich als eine Nebenfigur verkleidet hat, türmt unterschiedslos alte Fehden, an den Haaren herbeigezogene Mystery auf unpassende Schnoddrigkeit und westfälisch drögen Satzbau: "Er erwiderte auf meinen Ausbruch" schreibt der Lektor etwa mitten im Showdown, wofür er sich im echten Leben bestimmt sofort erschossen hätte.

Schöner Morden in Ostwestfalen-Lippe packt 30 Stories zusammen, die vom Möhnesee bis Münster, von Porta Westfalica bis Paderborn spielen und von verdienten Verlagsautoren, ansässigen Schriftstellern und dem Verlagschef selbst geschrieben wurden. Seit dem wunderlichen Skandal um einen Hermannslauf-Krimi sollte der eigentlich darauf gekommen sein, so einen Omnibus gleich mit den Fremdenverkehrsämtern abzustimmen oder den Geschichten wenigstens Wanderkarten beizugeben. Und, bei aller westfälischer Eintracht: Münster gehört eindeutig nicht zu OWL.

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Paul Collins: Der Mord des Jahrhunderts Aus dem Amerikanischen von Carina Tessari. Irisiana by Random House, München 2011, 431 S., mit Abb. und Apparat, 19,99 / Marlies Ferber: Null Null Siebzig: Operation Eaglehurst DTV, München 2012, 271 S., 10,30 / Terje Emberland/Bernt Rougthvedt: Der Spinnenmann Aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs und Andreas Brunstermann. Osburg Verlag, Berlin 2011, 287 D., 19,95 / Andrea Maria Schenkel: Finsterau Hoffmann und Campe, Hamburg 2012, 16,99 / Anna-Dorothea Ludewig (Hg.) Im Anfang war der Mord. Juden und Judentum im Detektivroman be.bra, Berlin 2012, 181 S., 29,95 / Jutta Profijt: Kühlfach Betreten verboten! DTV, München 2012, 319 S., 10,30 / Andreas Hoppert: Schwanengesang Grafit, Dortmund 2012, 314 S., 9,99 / Herman Koch: Sommerhaus mit Swimmingpool Deutsch von Christiane Kuby. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2011, 346 S., 19,99 / Sabine Schulze Gronover: Todgeweiht im Münsterland Emons, Köln 2012, 175 S., 9,90 / Günther Butkus (Hg.): Schöner Morden in Ostwestfalen-Lippe Pendragon, Bielefeld 2011, 413 S., 12,95