DIE KLEINE KRIMI-RUNDSCHAU (55. Lieferung)

Männer mit Macht


und hier die vorherige-Ausgabe

Wir kennen keine leicht gängige oder legale Methode, die TV-Serie Boss hier anzuschauen. Sie läuft auf dem US-Bezahlsender "Starz", wo man sie unter "Video on demand" ordern könnte (mit einer US-IP-Adresse). Wir wissen nur: Seit den "Sopranos" hat es keine so durchkomponierte, immer wieder mit Plottwists überraschende TV-Serie und einen so finsteren Serienhelden mehr gegeben wie Tom Kane (großartig: Kelsey "Frasier" Grammer), den fiktiven Bürgermeister von Chicago, der an einer unheilbaren degenerativen Hirnkrankheit leidet und die Macht einfach nicht abgeben will. Er kämpft gegen Gewerkschaftler, Parteifreunde, die eigene Frau, und wenn es nützlich ist, opfert er eiskalt die eigene Tochter. Grammer spielt diesen Finsterling (dessen Name nicht umsonst an Orson Welles' übergroßen "Citizen Kane" erinnert) mit düsterer Erbarmungslosigkeit, ein King Lear in Chicago, in den USA berühmt-berüchtigt für ihren politischen Sumpf und ihre Skandale (Obamas Karriere begann in Chicago). Ausgedacht hat sich das Farhad Sarfinia (der hat das Drehbuch geschrieben zu Meld Gibsons Apocalypto), das ästhetisch-dramaturgische Konzept ist von Gus van Sant, inszeniert werden die Folgen von Regisseuren wie Mario van Peebles oder van Sant selbst. Mit durchweg großartigen Schauspielern besetzt, wird in aller Härte das politische Geschäft zelebriert, zynisch, rücksichtslos und jederzeit auf Kosten der Bevölkerung. Hier werden unliebsame Geschäftspartner lebendig in Fundamente einzementiert, hier wird Sex als Lockmittel verkauft, und der kleine schwarze Drogendealer ist eigentlich ein Ausbund an Moral - verglichen mit den alten Männern, die die Stadt in der Hand haben. Acht durchweg geniale Folgen sind mit der ersten Staffel in den USA gerade versendet worden, eine zweite ist vom Sender in Auftrag gegeben worden.

Solide Story, gut erzählt, mäßig spannend, und mit dem Schuss Wahnsinn versehen, den ein Mainstream-Krimi heute braucht: Eismord von Giles Blunt ist der fünfte Roman um den depressiven kanadischen Cop Cardinal, der es hier mit ein paar enthaupteten Leichen zu tun bekommt. Auch die Nebenfiguren - comiczeichnende Indianerin auf dem Kriegspfad, jüdischer FBI-Ermittler aus New York - sind in der richtigen Mischung aus Klischee und Witz so geraten, dass man sich in dem Buch gleich zu Hause fühlt. Auch weil der eigentliche Hauptdarsteller in allen Blunt-Krimis (die Schneelandschaften Kanadas) sich nicht verändert hat.

Was ist bloß mit Sandra Lüpkes los? Jahrzehntelang schickte sie ihre Ermittlerin Wencke Tydmers über Nordseeinseln, rund um Hannover oder auf die Externsteine, und immer kamen dabei leicht lesbare, schlanke, nette Krimis mit etwas Kolorit und einem Hauch Wildfang heraus. Aber seit kurzem haben Sandra Lüpkes Romane um die Hüften etwas zugelegt, an "Wichtigkeit" und an Gehabe. Taubenkrieg ist etwa 320 Seiten lang und handelt von Rockerkriegen, alten Stasi-Leuten und dem Alltag des Profilens, Unterkategorie Sequenzanalyse. Immerhin ist Frau Tydmers die erste deutsche Serien-Profilerin. Gleichzeitig will die Sprache poetischer werden, und so stolpern naseweise Ermittler, die aus ihrem Soziologiestudium radebrechen, über atmosphärische Sätze wie "Ein Tatort braucht keine Leiche, um schrecklich zu sein." Dafür erfahren wir wie im Schulfunk, wie ein Motorclub funktioniert, wo der Patch hin kommt und was ein Road-Captain tut.

Martin Compart ist Lektor und Autor und vorwiegend zornig. Im Alter ergibt sowas Pulp-Romane wie Die Lucifer Connection, in denen Compart ununterbrochen über die Welt lästert und dafür seine Hauptfigur, einen seltsam blass bleibenden KGB-Killer mit deutschem Wohnort, benutzt. Gefehlt hat bei all den Lästereien vor allem ein gnädiger Lektor, der den Sermon etwas eingedampft und die schlimmsten Schreibfehler eliminiert hätte: Wenn man schon auf Alt-Kanzler Schröder schimpft, sollte man nicht von "Gert" schreiben.

Manchmal geht sowas schnell. Gestern noch ein Star-Journalist, heute schon ein Krimi-Autor. Oder ein Hilfs-Detektiv. Berni Mayer war Chefredakteur bei MTV und schreibt jetzt. Siggi Singer war Zweitjournalist bei einer Musikzeitschrift und arbeitet nach deren Schließung nun in Mandels Büro als Ermittler und Grammatikmörder. Weil es gefällt ihm, ebenso einfallsreich wie umgangssprachlich zu sein, aber dem Berni geht die kreative Puste manchmal schon nach drei Sätzen aus. Der Titel setzt, auf Müllers Büro anspielend, auf wiedererkennbaren Unernst, aber die Erzählhaltung, Siggi berichten und kommentieren zu lassen, was sein mit ihm gefeuerter Ex-Chef, "der Mandel" so treibt, setzt eher auf ein richtiges Klassik-Gefühl. Dazu gehört auch die schöne Auftraggeberin, die ihren Gatten, einen alternden Punk-Rocker, überwachen, aber möglicherweise auch ermorden lassen will. Und viel undurchsichtiger Hintergrund mit Szene-Witzen, Rechtsextremisten und Detektiv-Kursen bei der IHK.

Einmal durch die Hölle und zurück ist nicht nur ein bescheuerter Titel (im Original: "Wild Thing") sondern wahrscheinlich auch der Krimi mit den meisten Fußnoten. Josh Bazell setzt darin seinen hochgelobten ersten Teil Schneller als der Tod fort, für den es den Deutschen Krimipreis gab. Der zweite Teil ist leider völlig aus dem Ruder gelaufen. Die Hauptfigur, Arzt und-Ex-Mafiakiller, landet in einer Expedition als Aufpasser. Die Expedition will ein Loch Ness-ähnliches Monster finden, und nicht alle Beteiligten werden die etwas hanebüchene Auflösung erleben. Dazwischen gibt es viele nette Dialoge (ein herrliches Streitgespräch mit einem Evolutionsgegner, der danach den Raum und das Buch als umfassend Gedemütigter verlassen muss), ein bisschen pubertären Sex, Erinnerungen an Vietnam, ein Blick auf eine öde Kleinststadt, deren einzige Attraktion das Gerücht ist, ein Monster lebe im angrenzenden White Lake - und zu allem Fußnoten! Seitenweise. Sogar ein endlos langes Nachwort erläutert noch, an welcher Stelle des Textes auf welche reale Begebenheit Bezug genommen wurde. Josh Bazell scheint seinem eigenen Buch nicht getraut zu haben; zu Recht. Wenn er einfach fabuliert, ist der gelernte Arzt und Autor ein guter Unterhalter. Wenn er uns belehren will, nervt er ziemlich. Erstaunlich: Das Buch erscheint hier Monate vor der US-Veröffentlichung. Noch erstaunlicher: Vorne steht drin, dass die deutsche Ausgabe inhaltlich von der US-Version (die, wie gesagt, noch nicht vorliegt) leicht abweicht. Sollte er das wunderbare Kapitel, in dem die durchgeknallte Republikaner-Ikone Sarah Palin auftaucht und erklärt, warum Jesus einen halben Chromosomensatz hatte, nur für die deutsche Version geschrieben worden sein? Das wäre schade.

Am Anfang verschwindet ein Laptop mit unwichtigen Daten. Und Charles den Tex kann in Password zum dritten Mal beweisen, dass er zu den wenigen Autoren gehört, die halbwegs richtig über IT-Themen schreiben können. Dann verschwindet die Freundin des ermittelnden Unternehmensberaters aus dem Knast, in den sie am Ende von Die Zelle geriet, und den Tex kann seinen Helden erst lange verwirrt herumstolpern lassen, bis sich endlich ein Fall abzuzeichnen beginnt. Der führt dann mitten in den Frauenhandel und zur osteuropäischen Mafia und den Tex kriegt es hin, seine Kenntnisse so unterzubringen, dass sie die Handlung nicht bremsen.

Polizistengattin Rita Falk überrascht mit ihrer bayerischen Provinzkrimiserie immer wieder. Echte Menschen, nachvollziehbare Motive, gedämpfter Exotismus und ein sehr vorsichtiger Hang zur Originalität heben die drei Romane aus der Masse. Auch bei Schweinskopf al dente geht es erstmal um den Stress des armen Dorfpolizisten, der wegen seiner Erfolge bisher plötzlich zum Kommissar befördert wurde, was zuhause aber kaum einer goutiert, was wiederum ihn wurmt. Erst später liegt ein Schweinskopf im Bett des Richters, und alle wittern die Mafia am Werke.

Bei all den auf Krimis spezialisierten Großverlagen und ihrer großen Lektorenschar ist es fast ein kleines Wunder, dass ausgerechnet der kleine Argument Verlag in seiner ariadne kriminalroman-Reihe die Bücher der Französin Dominique Manotti herausbringt. Da müsste sich jeder Verlag die Finger nach lecken (Argument macht nicht mal Hardcover daraus und bringt Manottis Werke als preiswerte Taschenbücher heraus!). Einschlägig bekannt ist ein Polizeiroman der ganz harten Sorte. Hier herrscht keine Revierseligkeit, keine verlogene TC-Serienromantik, hier reichen sich Politik, Korruption und stumpfe Gewalt die Hände. Viele kleine Geschichten breitet Manotti in diesem Buch aus, die alle mit einem Polizeirevier am Rande einer Problemzone der Stadt zu tun haben. Da brennt ein illegal besetztes Haus ab, in dem angeblich gedealt wurde, da werden junge, überforderte Polizisten losgeschickt, deren Einsätze regelmäßig in Prügelorgien enden, weil sie nichts anderes kennen als Hass und Gewalt. Da verabredet sich ein ganzes Kommissariat zu Falschaussagen vor Gericht, Cops arbeiten als Zuhälter, vergeben Auftragsmorde. Als der junge Polizist Ivan vor Gericht steht und seine Falschaussage macht, sieht er den Gerichtsaal voller Kollegen: "Die Atmosphäre schnürt Ivan die Luft ab, überwältigt ihn: all diese Männer, die ihm ähneln, dieselbe körperliche Robustheit, dieselbe Art zu gehen, zu reden, eine Mischung aus Komplizentum mit der Obrigkeit und Verbitterung, weil sie sich von īdenen da draußenī nicht gemocht fühlen. Warmer Konkon und Gefangensein. Ein Hauch von Kommissariat weht durch den Gerichtssaal. Es gibt kein Entkommen." Dass hinter der ganzen Polizeigewalt die Politik steht, dass hier ein namenloser Innenminister die Spirale der Gewalt gegen Ausländer in Gang setzt, ein Innenminister, der gerne Präsident werden möchte und deshalb die Stimmen der Rechten braucht und damit Sarkozy wie aus dem Gesicht geschnitten ist - auch das macht Manottis Buch zu viel mehr als nur intelligente Unterhaltungsware.

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Giles Blunt: Eismord Aus dem Englischen von Eberhard Kreutzer. Droemer, München 2011, 412 S., 19,99 / Sandra Lüpkes: Taubenkrieg DTV, München 2011, 317 S., 14,90 / Martin Compart: Die Lucifer Connection Evolver Books, Wien 2011, 395 S., 16,80 / Berni Mayer: Mandels Büro Heyne, München 2011, 336 S., 8,99 / Josh Bazell: Einmal durch die Hölle und zurück Aus dem Amerikanischen von Thomas Gunkel und Malte Krutzsch. S. Fischer, Frankfurt 2011, 411 S., 18,95 / Charles den Tex: Password Aus dem Niederländischen von Stefanie Schäfer. Grafit, Dortmund 2011, 443 S., 19,99 / Rita Falk: Schweinskopf al dente DTV München 2011, 240 S., 14,90 / Dominique Manotti: Einschlägig bekannt Aus dem Französischen von Andrea Stephani. Argument, Hamburg 2011, 250 S., 12,90