DIE KLEINE KRIMI-RUNDSCHAU (51. Lieferung)

Im Tal der Ahnungslosen


und hier die vorherige-Ausgabe

Im Januar hat der Journalist Joachim Käppner in der "Süddeutschen Zeitung" einen großen Artikel über den Zustand des Genres geschrieben. Unter der schönen Überschrift "Hängt ihn einfach niedriger" bemängelte Käppner nicht nur handwerkliches Unvermögen vieler Krimi-Autoren, sondern auch den Hang, dieses durch immer brutalere und absurdere Verbrechen zu kaschieren. Zudem werde diesen Metzelfantasien oft eine politische Haltung untergeschoben: "Gesellschaftskritik ist hier nichts als eine morbide Attitüde. Die Helden kämpfen gegen monströse, finstere Geheimdienstler und wen sonst noch, gegen Serienmörder. In Arne Dahls Thriller Böses Blut geht ein Ex-CIA-Agent um und quält seine Opfer mittels eines ausgetüftelten Marter-Apparates zu Tode, aus nicht näher erklärten Gründen. Um die Spur zu verwischen, richtet ein US-Killerkommando schließlich in Schweden ein Blutbad an. Diese Folter am Leser trägt, wie viele andere Skandinavienkrimis, Wesenszüge politischer Korrektheit und des Weltverbesserungswunsches, der Gesellschaften nicht fremd ist, die sich für besonders fortschrittlich halten."

Wir zitieren das so ausführlich, weil der Aufsatz (erschienen am 8.1.11 in der Wochenendbeilage der SZ) sowieso lesenswert ist. Und weil wir seit Jahren nichts anderes feststellen. Und darauf hinweisen möchten, dass den ca. 10 Krimis, die wir hier alle 2 Monate vorstellen, mindestens 30 unbesungene entgegenstehen, die uns eine derart schauerliche Leseerfahrung bescherten, dass wir nicht weiter drüber reden wollen. Von Arne Dahl etwa haben wir nicht ohne Grund in all den Jahren genau 1 Buch besprochen.

Nach dem schweren Einstieg fangen wir mit was einfachem an: Diogenes bringt einige Dashiell Hammett-Bände in preiswerten Hardcoverausgaben heraus. Das ist, auch wenn es einfach die alten Übersetzungen und Cover sind, schon mal nett, weil die Gesamtausgabe nur noch zu antiquarischen Preisen zu haben ist. Und als Hardcover machen sich die Diogenes-Formate nicht einmal schlecht. Zu haben sind jetzt wieder Rote Ernte (Hammetts furioser Erstling mit einer unglaublichen Leichendichte), Der Fluch des Hauses Dain (ein Roman, der seitenweise nur aus Dialogen besteht), Der gläserne Schlüssel (Hammetts Ausflug in die Politik), Der Malteser Falke (legendär durch die Hawks-Verfilmung mit Bogart, aber auch einfach nur eine echte Hardboiled-Perle) und der komödiantische Krimi Der dünne Mann.

Es ist nicht einfach im New York der späten Neunziger zu überleben, sogar wenn man einen festen Job hat. Diese Erfahrung machen drei junge Israelis, die ihre Hoffnung auf einen grandiosen Start in der "neuen Welt" schwinden sehen. Sie arbeiten als Mover bei der kleinen Umzugsfirma "Sababa Moving and Storage" und haben außer Rückenschmerzen und Blasen an den Händen recht wenig vorzuweisen. Zwar heißt "Sababa" übersetzt "Alles Paletti", aber in der Realität von Jonsy, Schlomi und Izzi läuft nichts auch nur annähernd glatt. Als sie eines Tages zwei wertvolle Spielautomaten in den Süden der USA transportieren sollen, wittern sie ihre Chance und brennen mit der Sore durch. Leider haben sie sowohl ihren Chef als auch den eigentlichen Besitzer der Automaten unterschätzt. Denn der gehört zur ukrainischen Mafia. So entspinnt sich eine wilde Verfolgungsjagd quer durch die Staaten. Die Jungs werden von ihrem Boss und dem Chef der Mafia gehetzt, hinter dem wiederum das FBI her ist. Assaf Gavron erzählt in Alles Paletti eine amüsante Geschichte über Freundschaft, Hoffnung und Verwirrung und walzt dabei genüsslich so manches Klischee auseinander.

Houston ist im Rauch einer Atombombe verglüht, und danach sieht Amerika irgendwie anders aus. Die christlichen Fundamentalisten übernehmen die Macht, ihre Sittenpolizei hält in den Football-Stadion Autodafés ab, Sozialhilfe wird nur noch über die Kirchen ausgezahlt, und in Jerusalem sind US-Truppen stationiert, denn seit eine Neutronenbombe Teheran mit einem Schlag entvölkerte, ist die Lage im Nahen Osten noch bedrohlicher geworden. In diesem Setting lässt der Kanadier Elliott Hall seinen Fall Den ersten Stein spielen: Ein Bischof wurde nackt und tot in einem Zimmer gefunden, um ihn herum jede Menge Koks und eine erlesene Pornosammlung. Das ist dem Privatermittler Felix Strange (sic!) zu offensichtlich, und er beginnt im Milieu der militanten Jesuslover zu ermitteln. Der Krimi selbst ist pures Hardboiled-Klische (leidender Held, kesse Mieze, öffentliche Shootouts) aber das originelle und mit viel Wut vorgetragene Szenario hilft über die Schwächen des Plots hinweg.

Martin Suter gilt als einer der erfolgreichsten Schriftsteller deutscher Zunge. Er schrieb viele Managergeschichten und schlüpfte mit seinen Stories und Romanen in alle Genres. Jetzt ist der Serien-Krimi dran. Allmen und die Libellen etabliert einen verarmten Dandy mit einem rätselhaften gualtemaltekischen Butler, der vom Kunstdieb aus Überlebenstrieb zu einem High-Brow-Ermittler mutiert. Suters Schnösel-Held klaut eine "Libelle", eine wertvolle Glasbläserarbeit, schläft mit einer reichen Tochter und enttarnt schließlich einen Versicherungsbetrug immensen Ausmaßes. Das ist zum Teil eine nette Arsène Lupin-Parodie, zum Teil arg expressionistisch aufgejazzt. Falls er damit weitermacht, sollte Suter etwas weniger literarisch protzen und etwas besser auf seine Nebenfiguren aufpassen.

Die Judenbuche von Annette von Droste-Hülshoff ist Schullektüre und seit 1842 Deutschlands erster Krimi. Jetzt haben 19 Autoren die Geschichte vom erschlagenen Juden und dem schon im Original nur vermuteten Täter weitergeschrieben. Renommierte Krimi-Autoren wie Friedrich Ani, Doris Gercke oder Frank Göhre, normale Literaten und einige Bielefelder von Mechtild Borrmann bis Sabine Ernst erzählen mal die Original-Geschichte weiter, mal neue Geschichten von toten Juden, deutscher Schuld und dörflichem Druck. Ein ausführliches Nachwort ordnet die Texte in die Literaturgeschichte ein und macht das Buch zu einem Must für den Deutschunterricht.

Manchmal hat man beim Lesen von Jonas Winners Psychothriller Davids letzter Film das Gefühl, in ein Filmseminar geraten zu sein, da oft intensiv über Filme diskutiert wird. Passt aber gut, denn es geht ja um den Journalisten Florian Baumgartner, der einen Artikel über seinen Jugendfreund David Mosbach schreiben soll, einen umstrittenen Regisseur. Doch David ist seit Tagen verschwunden. Bei seiner Recherche im winterlichen Berlin findet Florian Beunruhigendes über seinen alten Freund und dessen Werke heraus, und dann schaltet sich auch noch das LKA ein. Winner, der auch Drehbücher geschrieben hat, entwirft in seinem Romandebüt ein kühles Szenario über Manipulation, Hardcore- und Snuff-Filme und Freundschaft. Das liest sich flüssig und recht spannend und kommt mit nur zwei Toten aus.

Ende 2010 starb Robert B. Parker. Jetzt erscheint sein letzter Spenser-Roman Trügerisches Bild bei uns. Spenser verliert einen Klienten bei der Lösegeldübergabe für ein gestohlenes Bild. Das Gemälde und der Klient werden in die Luft gesprengt. Ohne Auftrag ermittelt Spenser weiter und hat schon nach ein paar Seiten mehr trockenen Dialog abgeliefert als andere Serien-Ermittler in 10 Bänden. Der Plot zieht sich etwas abstrus in Richtung Nazi-Beutekunst und kriminelle Impulse bei Nachkommen von Holocaust-Opfern, aber Spensers Gespräche könnte man glatt vom Blatt auf die Bühne stellen.

Den Einwort-Titel hat Jonathan Hayes' neuer Roman Tortur sicher deshalb, weil der Stieg-Larsson-mäßiger klingt als "A Hard Death". Es geht um einen Gerichtsmediziner, der im korrupten und versumpften Florida tief in die Drogenmafia und allerlei sonstige Ausbeutung hineinstolpert. Hayes dreht seinen Lesern gern den Magen um: Schön eklige Passagen voller Wasserleichen bei der Obduktion, ultracoole Hinrichtungen unter Schwerstkriminellen und zynische Menschenverachtung bis zur Bulimie bei Superreichen - alles drin. (Aus dem Amerikanischen von Christine Gaspard. Knaur, München 2010, 526 S., 9,99)

Eigentlich wollte Hasi nur aus dem Sexshop raus. Nicht mehr Nachtdienst schieben, Wix-Kabinen auswischen und das Trinkgeld auf dem Straßenstrich verjubeln. Aber dann machte Christoph Strasser aus Sexshop eine so wild in den Zeiten vor- und zurückspringende Räuberpistole, dass man der abgeranzten Milieu-Schilderung von überall hinterm Bahnhof schon fast einen Kunstvorbehalt entgegen bringt. Dabei tarnt das Gehupfe nur den dünnen Plot: Hasi dreht ein Ding, das Ding geht schief, Hasi kriegt schwer Ärger. Das ist schön hoffnungslos, und wer seine Vibratoren bisher im Erotik-Baumarkt kaufte, kann ja wegen des fleckigen Ambientes mal mit spitzen Fingern reingucken.

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Dashiell Hammett: Rote Ernte, Der Fluch des Hauses Dain, Der gläserne Schlüssel, Der Malteser Falke alle bei Diogenes als HC, je 10,- / Assaf Gavron: Alles Paletti Aus dem Hebräischen von Barbara Linner. Deutsche Ausgabe: Luchterhand Literaturverlag 2010, 512 S., 11,- / Elliott Hall: Den ersten Stein Deutsch von Barbara Ostrop. Dtv, München 2011, 350 S., 15,40 / Martin Suter: Allmen und die Libellen Diogenes, Zürich 2011, 197 S., 18,90 / Günther Butkus/Frank Göhre (Hg.): So wie du mir. 19 Variationen über die Judenbuche von Annette von Droste-Hülshoff. Mit der vollständig abgedruckten "Judenbuche" von Droste-Hülshoff und einem Nachwort von Walter Gödden. Bielefeld, Pendragon 2010, 302 S., 12,95 / Jonas Winner: Davids letzter Film DTV, München 2011, 352 S., 8,95 / Robert B. Parker: Trügerisches Bild Aus dem Amerikanischen von Frank Böhmert. Pendragon, Bielefeld 2011, 214 S., 9,95 / Jonathan Hayes: Tortur Aus dem Amerikanischen von Christine Gaspard. Knaur, München 2010, 526 S., 9,99 / Christoph Strasser: Sexshop Ubooks, Augsburg 2010, 251 S., 9,95