DIE KLEINE KRIMI-RUNDSCHAU (50. Lieferung)

Verräter wie wir


und hier die vorherige-Ausgabe

Knapp 170 Seiten lang dauert das erste Gespräch - und damit ist die Geschichte in John le Carrés neuem Roman Verräter wie wir noch keineswegs in Gang gesetzt. Ein englisches Pärchen sitzt in einem Keller und berichtet zwei Geheimdienstlern von einem Tennismatch, das sich in ihrem Urlaub ereignet hat und in dessen Verlauf ihr russischer Tennispartner einiges zu erzählen hatte, was "die Sicherheit Englands" berührte. Dass es fortan weniger um diese ominöse Sicherheit als vielmehr um das Schicksal des Russen geht, ahnt man, wenn man sich in le Carrés Romanen umgetan hat. Auch dass sie schon seit langem kein gutes Ende nehmen, ist bekannt. Und wie es im letzten seiner Romane darum ging, wie die Geheimdienste eine Operation versieben, stehen sie hier wenigstens teilweise auf der "guten" Seite und scheitern an der ganz normalen Korruption. Verräter wie wir hat viel mehr mit Mafia und Bankenkrisen zu tun als mit Politik - soweit letztere in erstgenannten nicht aufgeht.

Nun ist es aber genug. Jutta Profijt bringt mit Kühlfach zu vermieten ihre ausgelassene Geister-Krimi-Trilogie zu einem lustigen Ende. Ein neuer Chef hat das Leichenschauhaus übernommen und will es profitabel machen. Ein maskierter Gauner klaut Haut und Augen von den Lagerleichen, ja manchmal verschwinden ganze Vorgänge, aber der spukende Ermittler Pascha kriegt die neue, schöne, russische Ärztin nicht aus dem Kopf. Und die Hand nicht aus dem Schritt, sozusagen. Die Autorin gibt sich alle Mühe, lang den Macho 'raushängen zu lassen, weil Busensprüche über Bande lustiger sind als abzuwarten, bis endlich wer auf "Organhandelö als Motiv kommt. Und auf den netten Dreh, das Gespenst am Ende erzählen zu lassen, wie der Autorinnenname aufs Cover kam. Als Durchhänger erweisen sich die touristischen Episoden im Kölner Odysseum. Das ist ein tolles Naturwissenschafts-Museum, aber Frau Profijt will doch wohl nicht ihren Pascha demnächst als Lizenz-Spuk an Event-Marketender vermieten?

Der Weihnachtskrimi ist eine unausrottbare Literaturgattung, die meist Spürsinn durch Gefühl und Logik durch Lametta ersetzt. Jürgen Siegmann hat in Schöne Bescherung den Jahresendzeitwahn als Kaufargument auch noch mit dem Rätselkrimi gekreuzt. Sein Kommissar sucht eigentlich nur ein Weihnachtsgeschenk für seine Frau und stolpert dabei adventskranzgesteuert in vier minder schwere Fälle, die locker zum Mitraten vor uns ausgebreitet werden. Jeweils am Fallende treffen sich alle Verdächtigen und Kommissar und Autor machen eine kurze Pause, damit jeder selbst einen Tipp abgeben kann. Gut fürs Lagerfeuer in der Polizeivorschule. Und offenbar erfolgreich genug für eine zweite Auflage.

Gleich 24 vorweihnachtliche Krimi-Stories versammelt Jan Costin Wagner in Mordsweihnachten, Ein krimineller Adventskalender, wobei natürlich nicht der Kalender kriminell ist sondern die Grammatik. Deutsche Autoren von Sandra Lüpkes bis Andrea Maria Schenkel, Horst Eckert bis Jürgen Kehrer schreiben zum Fest. Der Wilsberg-Erfinder etwa kommt auf die glorreiche Idee, seinen Detektiv-Helden als Weihnachtsmann für Krimi-Fans zu vermieten, die Tannöd-Erfolgsautorin denkt pastoral darüber nach, dass eigentlich jeder des Mordes fähig sei. Und die neulich bei uns für einen Nicht-Krimi gelobte Alina Bronsky verwickelt einen Eso-Therapeuten unklar in einen tödlichen Ehestreit. Die meisten Autoren haben sich ziemlich ungewöhnliche Texte einfallen lassen, die man ganz sicher auch noch im Sommer lesen kann.

Klassischerweise gehört eine Leiche an den Anfang eines Krimis. Kate Pepper setzt in Der Domino-Killer stattdessen auf eine selbstmordgefährdete Ex-Polizistin. Jahre vor dem Romananfang hat ein Serienkiller unter anderem ihre Familie umgebracht und ist gerade aus dem Knast ausgebrochen. Die seelisch zerrüttete Überlebende quält sich nun damit, dass die neue Suche nach dem Bösen sie wieder zu ihrem Leid zurückführt. Aber vielleicht lässt sie sich auch von ihm finden, damit er ihr leeres Überleben beendet? Passend zum Titel hinterlässt der Killer überall Zahlenrätsel mit Domino-Steinen, die etwas mit der Geschichte der Hauptperson zu tun haben, was den Thriller immer wieder mit ausführlichen Erinnerungen abbremst. So wird die Rettung der Heldin etwas mühsam.

Für Die Netzhaut von Torkil Damhaug muss man sich viel Zeit nehmen. Das Skandinavische und das Thrillerige, angedeutet durch den Autornamen und eine Tatortkarte auf der Rückseite des Schutzumschlags, kommen nur ganz langsam zum Zug. Fast wie eine Kurzgeschichte vorab kriegen wir erst mal ein Jugenddrama im Urlaub: Ein Teenager zappelt zwischen Strandfreiheit und Übergriffen seiner saufenden Mutter, quengelnden jüngeren Geschwistern und einem sehr vorsichtigen väterlichen Freund. Dann geht es Jahre später um zwei Schwestern. Eine hat möglicherweise gerade in Amsterdam ihren Zuhälter vergiftet, die andere ist in Oslo verschwunden. Die eine ermittelt, die andere war, na klar - bald schon taucht sie als verstümmelte Leiche auf - Psychotherapeutin. Und natürlich taucht der Teenager vom Anfang in ihren Akten auf. Und natürlich ist das Rätsel so einfach nicht.

Das Österreichische ist ja schon ein Kriminalfall für sich, zumindest wenn man vielen Deutschen glauben darf. So ist es nicht verwunderlich, dass sich der Österreicher gern dem Verbrechen zuwendet, zumindest in Film- oder Buchform. Leider landet er dabei nicht immer einen Volltreffer. So ist auch die vorliegende Musenfalle von Nora Miedler nicht das Gelbe vom Ei. Die Geschichte um die erfolglose Schauspielerin Lilly Sommer ist ein wenig langweilig geraten - da vermag Lillys erfrischender Charakter über diesen Mangel hinweg zu trösten. Nervig, geschwätzig und egoistisch quengelt sich die verhinderte Theaterdiva durch einen Mordfall, den ihr das Schicksal vor die Füße geworfen hat. Als Undercover-Detektivin versucht sie, den Mord an ihrem One-Night-Stand Alexander Strehl aufzuklären, während sie von Polizisten, Alkoholikern und dummen Mitbewohnerinnen entnervt wird und regelmäßig kiffen muss, um diesen Stress überhaupt zu ertragen. Obwohl die beschriebenen Charaktereigenschaften keinen tollen Menschen aus dem Fräulein Sommer zaubern, ertappt man sich doch dabei, dass man sie schließlich gern hat und mit ihr dem Ende der Geschichte entgegenfiebert.

Bayern ist, jenseits von München, kaum als Krimiland bekannt. Deshalb wohl erfand Rita Falk für ihren ersten Ethno-Krimi Winterkartoffelknödel gleich das ganze Dorf Niederkaltenkirchen samt einem etwas langsamen Dorfschulzen, der im schwerzüngigen "Ja mei"-Ton vor sich hin erzählt. Wie er beinahe der zugereisten neureichen Franzosenschlampe auf den Schoßhund getreten wäre. Dass sein Vater immer noch diese ekligen Beatles hört. Warum man nicht gleich das LKA ruft, wenn sich in einer Familie die Mutter im Wald erhängt und der Vater, Elektriker, an einem Stromschlag krepiert. Der Reiz ist nicht der Fall, der sich fast im Hintergrund entwickelt, sondern die sichtlich aufgesetzte Dummbatzigkeit des Ermittlers, den Frau Falk angeblich direkt von ihrem Ehemann, einem echten Polizisten, abgeschrieben hat. Ein paar Rezepte aus Omas Küche hat sie ebenso beigegeben wie einen Cliffhanger für eine Fortsetzung.

Afrika ist, abgesehen von Südafrika und den Namibia-Romanen um Mma Ramotswe, noch kaum als Krimiland erforscht. Nii Parkes versucht mit Die Spur des Bienenfressers nun, europäische CSI-Forensik und Dorfweisheiten aus Ghana zusammenzubringen. Den Hauptteil macht dabei die Erzählung des Dorf-Opas aus, der im traditionellen Fluss zwischen Palmweinbesäufnissen und komischen weißen Besuchern es gar nicht so aufregend findet, dass in seinem Dorf etwas gefunden wird, das vielleicht eine Leiche ist. Die Welt ist schließlich jeden Tag voller Rätsel. Dagegen steht ein in Europa ausgebildeter Gerichtsmediziner, der den Fall sehr spannend findet, ihn im Regierungsauftrag aber eher klein halten soll. Die Moderne zerbricht zwischen Analysemethoden und Staatsräson, die Tradition zwischen Langmut und Grundtugenden.

Im ersten Drittel von Böse Dinge geschehen entwickelt Harry Dolan eine eher private Mordgeschichte, die vor allem durch stilistische Kühle beeindruckt: "Der Mann, der sich David Loogan nannte" kommt in das Städtchen Ann Arbor und tritt eine Stelle als Lektor bei einem literarischen Krimimagazin an. Loogan fängt eine Affaire mit der Frau des Chefs an, der liegt bald tot auf der Straße, und der klugen Ermittlerin Elizabeth ist trotzdem klar, dass Loogan nicht der Mörder ist. All das wird mit großer Ruhe und einer tiefen melancholischen Grundstimmung erzählt, die den eher biederen Plot in der biederen Stadt spannend macht und ein bisschen an Jim Thompson erinnert. Aber dann fing der Autor wohl an, der eigenen Geschichte zu misstrauen, und plötzlich purzeln die Leichen herum wie Bowlingkegel, und alle sind verdächtig, jeder Krimiautor hat offensichtlich mindestens eine Leiche im Keller, und alles hat irgendwie mit allem zu tun. Weshalb man die 400 Seiten zwar zuende liest, das Buch aber mit einer gewissen Ermüdung zuklappt.

Sie ist schnell. Und sie holt weit aus. Und sie lässt sich auf der ersten Seite ihres neuen Romans auf der Frankfurter Buchmesse erschießen. Christine Lehmann verarbeitet für Malefizkrott sowohl den Frühjahrs-Feuilleton-Aufruhr um das angeblich halb abgeschriebene Jungmädchen-Fickbuch "Axolotl Roadkill", die Stasi-Kontakte des Polizisten, der 1967 Benno Ohnesorg erschoss, die ersten großen Demos gegen den Stuttgarter U-Bahnhof, als auch jede Menge Nebenbei-Wissen über das Bücher-Business, Druckkosten-Zuschuss-Verlage, Dichterlesungs-Gepflogenheiten und ein bisschen Lesben-Sex. Ihre Serienheldin, die Lokalreporterin Lisa Nerz, kriegt ein Krösken mit der gefeierten Jungautorin, auf deren Lesungen irgend jemand Anschläge verübt. Lisas reifer Freund aus der Staatsanwaltschaft kriegt Probleme, weil er über versteckte Flugblätter in einem handgebundenen Buch aus dem Vormärz mit der RAF-Gründung verbunden ist und damals neben Ohnesorg stand. Der Hauptfall, ein erschossener Antiquar, läuft eher unauffällig hinter dem Anspielungswirrwarr ab. Und natürlich überlebt die Heldin, damit sie auch in weiteren Nerz-Krimis etwa ein Dutzend Schlenker begehen kann, nur um per Fußnote darauf hinzuweisen, dass es dazu auch schon einen Roman mit ihr gibt.

-aco/thf/sl/w-

John le Carré: Verräter wie wir Aus dem Englischen von Sabine Roth, Ullstein, Berlin 2010, 414 S., 24,95 / Jutta Profijt: Kühlfach zu vermieten dtv, München 2010, 304 S., 9,95 / Jürgen Siegmann: Schöne Bescherung Mit Zeichnungen von Marcel Keller. Bielefeld, Pendragon 2010, 224 S., 9,90 / Jan Costin Wagner (Hg.): Mordsweihnachten. Ein krimineller Adventskalender Reinbek, Rowohlt 2010, 315 S. 8,95 / Kate Pepper: Der Domino-Killer Deutsch von Alexandra Hinrichsen. Reinbek, Rowohlt 2010, 317 S., 8,95 / Torkil Damhaug: Die Netzhaut Aus dem Norwegischen von Knut Krüger. Droemer Knaur, München 2010. 544 S., 19,99 / Nora Miedler: Musenfalle Ariadne Kriminalromane, Argument Verlag, Hamburg 2010; 250 S., 11,00 / Rita Falk: Winterkartoffelknödel dtv, München 2010, 235 S., 12,90 / Nii Parkes: Die Spur des Bienenfressers Aus dem Englischen von Uta Goridis. Unionsverlag, Zürich 2010, 221 S., 16,90 / Harry Dolan: Böse Dinge geschehen Deutsch von Martin Ruben Becker. Dtv, München 2010, 415 S., 14,90 / Christine Lehmann: Malefizkrott Argument, Hamburg 2010, 319 S., 11,00