DIE KLEINE KRIMI-RUNDSCHAU (49. Lieferung)


und hier die vorherige-Ausgabe

In dem fiktiven Land Trinidad ist die Militärdiktatur endlich vorbei. Die vier Generale, die als "Die Prätorianer" das Land mit Gewalt und Terror und Folter überzogen hatten, leben, von einer Amnestie geschützt, unbehelligt weiter. Da werden zwei der Generale unter bizarren Umständen ermordet: Einer ertrinkt in seinem Arbeitszimmer, der andere wird von seinen eigenen Hunden gefressen. Als die Polizei nicht weiter weiß, wird der ehemalige Ermittler Van Upp reaktiviert. Der hat die Jahre der Militärdiktatur in der Psychiatrie verbracht und ist daher unverdächtig, irgendwelche Interessen in diesem Fall zu vertreten. Der Spion der Zeit des Argentiniers Marcelo Figueras ist nur vordergründig eine Geschichte über die jüngere Geschichte. Details des Terrors sind zwar Figueras' Heimatland wie aus dem Gesicht geschnitten, aber Gewicht erhält der Roman durch eine sich langsam einschleichende Frage nach der Natur Gottes: Ist Gott böse? Oder hat er das Böse erst von den Menschen gelernt? Was zunächst wie eine intelligente Ablenkung innerhalb des Plots wirkt, schiebt sich immer weiter und höchst organisch in den Vordergrund und sorgt für ein furioses Ende. Dass am Ende vier Mörder in Frage kommen und sich ihr Handeln nur durch das Motiv unterscheidet, kontrastiert die Fragestellung eindringlich: Woher weiß das Böse, dass es das Böse ist?

Kommissariatsleiter Martin Merana von der Salzburger Polizei hat ein Problem. Nein, nicht der grausame Mord an dem Schauspieler Hans Dieter Hackner, der seit Jahren den Tod im berühmten "Jedermann" spielt, und auch nicht die verkorkste Beziehung zu seiner nervtötenden Freundin Birgit sind gemeint. Damit könnte Herr Merana leben. Sein Problem ist eine unglaublich öde Geschichte, durch die er den schnell ermattenden Leser begleiten muss. Bis auf den letzten Satz vorhersehbar gestaltet sich das dröge Erstlingswerk des ORF-Journalisten Manfred Baumann. Und hat man sich gähnend damit abgefunden, in diesem Kriminalroman garantiert keine Überraschung zu erleben, wird man auch noch von der Ausdruckslosigkeit der Charaktere erschlagen.

Inspektor Challis ist ein derart freundlicher Polizist, dass die gut geschriebene Romanreihe von Garry Disher inzwischen ein bisschen in Langeweile zu ersaufen droht. Rostmond handelt davon, dass Springbreaks jetzt auch in Australien stattfinden, dass der Inspektor nicht weiss, ob er mit seiner Kollegin vögeln darf, und am spannendsten ist die Frage, ob die Dame vom Bauamt von ihrem kontrollsüchtigen Ehemann oder einem verärgerten Baulöwen abgemurkst wurde. Das plätschert lieb und nett dahin und ist immer noch weit besser als andere Krimiliteratur. Aber gemessen an dem was Disher in dieser Reihe (etwa mit Drachenmann) bereits geleistet hat, enttäuscht es etwas.

Nichts an dem Roman Liebste Tess von Rosamund Lupton ist wirklich neu: Eine Tote im Hyde Park, die angeblich Selbstmord begangen hat, eine trauernde Schwester, die nicht an Selbstmord glaubt, und eine verstockte Polizei, die nicht in die Hufe kommt - all das ist gerade mal Hausmannskost. Aber Lupton hat Material so arrangiert, dass eine immense Spannung aufgebaut wird. Denn die trauernde Hauptfigur schreibt einen langen Brief an ihre tote Schwester, in dem sie beschreibt, wie es ihr gelang, den Mörder zu entlarven. und gleichzeitig sitzt sie im Polizeirevier und erzählt einem geduldigen Officer namens Mr. Wright, wie das alles so kommen konnte. Und nach einiger Zeit wird klar, dass irgend etwas an dieser Konstruktion nicht stimmen kann. Und man fiebert den schrittweise dargebrachten Enthüllungen geradezu entgegen, weil sich hinter der Geschichte offenkundig eine andere Geschichte verbirgt. Von ein paar kitschig-poetischen Ausrutschern abgesehen, ist der Tonfall des Romans in aller Sachlichkeit von der tiefen Trauer der Erzählenden durchdrungen und jederzeit glaubwürdig.

Familie Knobel ist zufrieden mit sich und der Welt. Dieser erfreuliche Zustand ändert sich jedoch schlagartig, als Großvater Willy Knobel nach einem schweren Sturz in den letzten Zügen liegt. Schwiegertochter Petra entscheidet gegen den Willen ihres Gatten, den altersschwachen Greis zu Hause zu pflegen. Und schon hängt der Haussegen schief. Wer hätte denn ahnen können, dass die Prognosen der Ärzte falsch sind und der lebenshungrige Opa länger als die geplanten 10 Tage lebt? Nun hockt die Familie auf dem lebensfrohen Stammvater und weiß nicht ein noch aus. Allein Enkel Max freut sich über die rasche Genesung seines Großvaters, ist dieser doch eine zuverlässige Geldquelle. Doch das Ehepaar Knobel schmiedet bereits finstere Pläne, wie der Alte doch noch um die Ecke zu bringen sei und auch mit der hübschen Altenpflegerin Jenny ist definitiv etwas nicht in Ordnung. Heiter und ironisch beschreibt Ingrid Noll in Ehrenwort die ganz normalen Abgründe, die sich in einer Familie auftun, wenn man etwas an der Oberfläche kratzt. Schnell findet man in die Geschichte hinein und sieht den alten Tattergreis förmlich vor sich sitzen, wie er mit Kopfhörern ausgestattet den Fernseher anbrüllt.

Eigentlich geht der Ex-Cop Pablo Martelli nach 10 Uhr abends nicht mehr ans Telefon. Als er es einmal doch tut, bittet ihn ein Freund um Hilfe, und bevor Martelli, der sein Geld inzwischen als Vertreter für Sanitäranlagen verdient, bei seinem Freund eintrifft, ist der längst tot. Der 2007 geschriebene Krimi Im Morgengrauen von Guillermo Orsi spielt im Dezember 2001, wenige Tage vor dem Staatsbankrott Argentiniens und einem verkappten Putsch. Die etwas wirre Handlung - es ist, als ob Kinky Friedman sich mal mit Paco Ignazio Taibo hätte treffen wollen - ist nur witziger Vorwand für eine ätzende Polemik wider die Herrschenden, ob Demokraten oder Militärs. Man lernt in Nebensätzen viel über die argentinische Gegenwart und liest sich dabei durch einen etwas vorwitzigen Kriminalfall, in dem schöne nackte Blondinen während des Geschlechtsaktes mit einem Stilett ermordet werden.

Schuld heißt Ferdinand von Schirachs zweiter Band mit Kurzgeschichten, die allesamt was mit ihm und seinem Beruf als Strafverteidiger zu tun haben. Da geht es mal um die tragische Geschichte einer nie geahndeten Massenvergewaltigung, um den Totschlag an einem gewalttätigen Mann, um einen albernen Polizeiirrtum (der an Brazil erinnert), um Mord aus Eifersucht. Das ganze pralle Leben findet hier statt, alles beschrieben in dem meist nüchternen, direkten Tonfall von Schirachs. Der schreibt oft schlechtes und falsches Deutsch, und seine dramaturgischen Mittel sind überaus überschaubar. Dennoch geht von seinen Geschichten ein starker Sog aus, sie wirken wie aus einem Guss, sind selten zu lang, der Tonfall wird nie hektisch, selbst eine richtige Räubergeschichte mit Drogen, einem dauerscheißenden Pittbull im Maserati und einer libanesisch-kurdischen Gangsterclique samt Folterkeller wird im sanft ironischen Ton des unbeteiligten Beobachters geschildert. Nur einmal beschreibt von Schirach die eigenen Gefühle, gleich in der ersten Geschichte, als er einen Vergewaltiger verteidigt. Da wird klar, dass er nicht die Illusion hat, er sei dazu da, Gerechtigkeit herzustellen. Jedenfalls nicht als Anwalt.

Endlich überlebt mal ein Titel-Einfall die Übersetzung ins Deutsche - andererseits stammt Die Zelle auch nur von nebenan, aus den Niederlanden. Charles den Tex steckt seinen ermittelnden Serien-Unternehmensberater erst in eine Polizeizelle, weil es Unklarheiten mit den Papieren gibt. Dann werden Mobilfunkzellen wichtig, schließlich geht es um ein Terrornetzwerk. Haltlos taumelt der Held in einen Abgrund von Identitätsdiebstahl und staatlichem Schmu mit Integrationsmitteln. Debile Tulpenzüchter kriegen ebenso was ab wie eingewanderte Finanzjongleure und der Held kriegt etwa in der Mitte schon die Frau. Zu früh für ein Happy End, erst muss er noch kompliziert darunter leiden, dass seine Daten scheinbar von aller Welt zum Kreditbetrügen und Grundstückeverschieben missbraucht werden.

Der heilige Eddy von Jakob Arjouni gefiel uns bei seinem Erscheinen im letzten Jahr so gut, dass wir lapidar auf die jetzt erhältliche Taschenbuchausgabe für preisbewusste 9,90 hinweisen möchten.

Die Schweden Anders Roslund und Börge Hellström haben Einwände gegen das Spitzelwesen, gegen halbkriminelle Informanten, die Datenbanken unbrauchbar machen, weil ihre Hintergründe gefälscht und ihre Tarn-Straftaten gedeckt werden. Zum Beweis des Bösen schicken sie einen Super-Informanten in den Knast, lassen da seine Tarnung platzen und wechseln dann mehrere Letzte-Sekunde-Szenen mit langem moralischen Grübeln ab. Darf man einen Informanten verbrennen, dem man Straffreiheit zugesichert hat? Wie kommt man aus einem Gefängnis, wenn einen die Häftlinge und die Polizei erschießen wollen? All das wird in den 3 Sekunden verhandelt, die zwischen Schuss und Treffer der zentralen Scharfschützensituation vergehen.

Mit geradezu steinerner Unveränderlichkeit schickt Andrea Camilleri seinen Kommissar Montalbano in Die Spur des Fuchses in die immer gleiche Storyentwicklung: Ungewöhnlicher Auftakt (ein totes Pferd am Strand), ein bisschen Liebesgekäbbel mit der Dauerverlobten Livia, ein scheinbar logisches Ende - und eine Überraschung ganz zum Schluss. Das liest sich immer noch süffig weg, aber man hat inzwischen das Gefühl, das schon hundert Mal gelesen zu haben.

Am 17. Juli 1932 endet ein SA-Aufzug in Altona in einer wilden Schießerei mit 18 Toten. Robert Brack läßt in Blutsonntag eine kommunistische Journalistin das Geschehen ein paar Tage später rekonstruieren. Mit dem ersten Tonband in Arbeiterhand macht sie Interviews, die Brack meist aus den wirklichen Akten abschrieb, und hat dazwischen historisch lehrreiche Erlebnisse mit verschiedenen linken Gruppierungen und buntem Personal aus den Hinterhöfen Hamburgs. Die Recherche ergibt kein schlüssiges Bild. Spannender ist ohnehin, dass niemand die Wahrheit wissen will, um jeweils den Lieblingsfeind beschuldigen zu können. Die Frontverläufe zwischen SPD, KPD, Matrosenräten, Untergrundkünstlern und freien Kriminellen sind zu kompliziert. Schließlich besorgt sie sich eine Waffe, um einen Polizisten, den sie für den Hauptverantwortlichen hält, zu erschießen. Bracks Deutung des Blutsonntags ist plausibel, sein "Girl Friday" ist aber etwas überfordert damit, problematische Romanzen zu haben und zur mutigen Attentäterin zu reifen.

Im Winter 1932 spielt Spittelmarkt auf der Belle Etage von Berlin, New York und eines Dampfschiffes dazwischen. Bernward Schneider spinnt eine leicht esoterisch und erotisch ausstaffierte Schauergeschichte um einen Geheimbund, der irgend etwas mit den Nazis zu tun hat. Schön langsam rutscht ein Rechtsanwalt beim Erledigen einer Scheidungssache vom gutbürgerlichen Leben auf die dunkle Seite, lernt eine männermordende Nackttänzerin kennen, gerät an den Thule-Orden und die Phantastereien um die Vril-Kraft, die auch heute noch in der Okkult-Folklore herumgeistern. Eher am Rande sterben ein paar Leute, ein bisschen ermittelt der Anwalt auch, aber Bernward Schneider kam es mit seinem Debüt wohl mehr darauf an, sein Hobby als Krimi verkleidet populärer zu machen. In seinem eigenen Kleinverlag gibt er nämlich schaurig-fantastische Literatur des 19. Jahrhunderts heraus.

Mit Jussi Adler-Olsen soll jetzt nach dem Schweden- der Dänen-Krimi kommen. Mit Schändung hat er nun schon den zweiten Thriller auf den Bestsellerlisten platziert, der ganz nach dem Stieg Larsson-Rezept funktioniert. Die Welt ist schlecht und die Besserverdienenden sind noch viel schlechter, als wir uns das vorzustellen wagen. Außerdem liegen die Wurzeln des Verbrechens immer schon lange zurück, der Staatsapparat hat Löcher und der Kommissar hat mindestens ein privates Problem. Hier geht es um reiche Leute, die schon als Schüler nur so zum Spaß Leute zu Brei schlugen und heute richtige Menschenjagden veranstalten. Allerdings hat sich die damalige Frontfrau der Bande inzwischen gewissensgebissen in die Obdachlosigkeit geflüchtet und will sich an ihrer eigenen Vergangenheit rächen. Das wird grausam enden. Auch wenn Adler-Olsens Plots manchmal nur nach böser Derrick klingen, hat er seine Klischees gut unter Kontrolle und kriegt vorlaute Nebenfiguren, hier eine neue Kriminalassistentin, mit etwas tragischen Beiklängen glaubwürdig hin.

Ob die lange Reihe der Hunkeler-Krimis nun bald endet? Immerhin steht der Baseler Kriminalkommissär in Hunkeler und die Augen des Ödipus ein paar Wochen vor seiner Pensionierung und Autor Hansjörg Schneider lässt ihn ruhestandsvorbereitend nur noch Spazieren gehen. Dabei gerät er an den Fall eines verschwundenen Theaterdirektors, scheint aber lange gar nicht zu ermitteln, sondern altersweise bloß den Menschen zuzuhören, die im Niemandsland zwischen Schweiz, Deutschland und Frankreich ein nur scheinbar geruhsames Gegenleben führen. Besonders spaßig: Hunkelers Begegnungen mit Kulturjournalisten und Theaterleuten und dem vielen Wein, den sie da unten trinken.

-aco/thf/vl/sl/w-
Marcelo Figueras: Der Spion der Zeit aus dem Spanischen von Sabine Giersberg. Nagel & Kimche bei Hanser, München 2010, 282 S., 19,90
Manfred Baumann: Jedermanntod, Gmeiner Verlag, Meßkirch 2010, 372 S., 11,90
Garry Disher: Rostmond aus dem Englischen von Peter Torberg. Unionsverlag, Zürich 2010, 349 S., 19,90
Rosamund Lupton: Liebste Tess aus dem Englischen von Barbara Christ. Hoffmann & Campe, Hamburg 2010, 384 S., 19,95
Ingrid Noll: Ehrenwort Diogenes, Zürich, 336 S., 21,90
Guillermo Orsi: Im Morgengrauen aus dem argentinischen Spanisch von Matthias Strobel, dtv, München 2010, 366 S., 8,95
Ferdinand von Schirach: Schuld Piper, München 2010, 203 S.-, 17,95
Charles den Tex: Die Zelle aus dem Niederländischen von Stefanie Schäfer, grafit, Dortmund 2010, 446 S., 11,-
Anders Roslund/Börge Hellström: 3 Sekunden aus dem Schwedischen von Gabriele Haefs. Scherz, Frankfurt 2010, 576 S., 14,95
Andrea Camilleri: Die Spur des Fuchses Aus dem Italienischen von Moshe Kahn, Gustav Lübbe, Köln 2010, 267 S., 19,99
Robert Brack: Blutsonntag Edition Nautilus, Hamburg 2010, 252 S., 13,90
Bernward Schneider: Spittelmarkt Gmeiner, Messkirch 2010, 372 S., 11,90
Jussi Adler-Olsen: Schändung aus dem Dänischen von Hannes Thiess. dtv, Frankfurt 2010, 460 S., 14,90
Hansjörg Schneider: Hunkeler und die Augen des Ödipus Diogenes, Zürich 2010, 232 S., 19,80