DIE KLEINE KRIMI-RUNDSCHAU (48. Lieferung)

Ohne Ausweg


und hier die vorherige-Ausgabe

Zuletzt lag ihr Sachbuch über Mordmethoden bei uns auf dem Obduktionstisch, jetzt legt Christine Lehmann mit ein paar minder schweren Fällen nach. In Notorisch Nerz versammelt die Serien-Mutter von Lisa Nerz acht Kurzauftritte der frechen und neugierigen Frau. Meist arbeitet die Autorin damit bloß irgend einen Recherche-Stau ab (Goldbachvermutung, Museumsbesuch), oder sie übt ihr Ohr für Satzbaumuster und Redeweisen von Weinbauern oder Zahlentheoretikern. Das reicht für den Spaß an Kostproben völlig aus.

Detlef Bernd Blettenberg ist einer der wenigen deutschen Krimiautoren von internationalem Format, sowohl in seinen Plots als auch in seiner Schreibe. Gerade brachte der Bielefelder Pendragon-Verlag zwei ältere Romane erstmals als Taschenbuch heraus. Land der guten Hoffnung spielt in Südafrika, weit vor der Fußballweltmeisterschaft. Ein Freelancer soll eine längst mit Lösegeldzahlung abgeschlossene Entführung aus Apartheitzeiten aufklären. Das damals freigekaufte Opfer sucht inzwischen selbst nach dem Täter, weil sie ein Kind von ihm hat. Und ihn immer noch liebt. Berlin Fidschitown spielt in Berlin, genauer: im Untergrund der Hauptstadt. Die alten Firmenbunker und Verbindungsgänge sind bis heute weitgehend unerforscht und eigenen sich gut für einen Krieg unter asiatischen Zigarettenschmugglern, der oberirdische Machtkämpfe ins Dunkle spiegelt.

Letzte Schicht ist der zweite in Deutschland veröffentlichte Krimi der Historikerin Dominique Manotti. Es geht um den (realen!) Verkauf der französischen Firma Thomson, der seinerzeit mit Haken und Ösen vonstatten ging. Manotti nennt erstaunlich viele Namen, ohne sie zu verschlüsseln. Und sie schafft mühelos einen erzählerischen Bogen, der mit einem wilden Streik in einer lothringischen Fabrik beginnt, über die Chefetage eines Konzerns zu einem Wirtschaftsdetektiv führt, der in die Provinz geschickt wird, um diesen Streik zu untersuchen. Die großen und die kleinen Gauner werden von Manotti mit gleicher Distanz beschrieben, die großen und die kleinen Morde ebenfalls. Völlig unsentimental setzt sie ein großes Sterben in Gang, das allein der Profitmaximierung in den Chefetagen der Glaspaläste dient. Ganz ohne Superman kommt ihre Geschichte dabei auch nicht aus, aber der ist wenigstens 50 und hat eine Sinnkrise.

Wenn man grad keine Lust auf Leichen hat, aber trotzdem am Rand des Genres bleiben möchte, greift man zu dem kleinen Bändchen Mein Marseille, in dem der Unionsverlag Texte über die Stadt von Jean-Claude Izzo zusammengestellt hat. Einige sind Krimi-Passagen, die meisten sind Artikel aus Izzos journalistischer Zeit und bisher auf Deutsch unveröffentlicht. Ein Fremd-Text führt in Hassans Bar, wo Izzo gerne schrieb, und Schwarzweiss-Fotos zeigen Marseille als Hafen der Träume, mal flirrend leer, mal voller kleiner Leute.

Es ist nur am Rande ein Thriller, auch wenn im ersten Kapitel eine Leiche anfällt und am Ende die Helden entdecken, dass sie scheinbar auf der falschen Spur von Kuala Lumpur bis Amerika ermittelten. Mit Extraleben schrieb Constantin Gillies 2008 den ersten Roman über alte Computerspiele, in Der Bug (gemeint ist der Computerfehler) sind seine Protagonisten älter geworden und leben davon, als Datenrestauratoren 8-Zoll-Disketten oder Bandlaufwerke wieder lesbar zu machen. Ein tödliches Geheimnis verbirgt sich in einem Laptop aus den 80ern, aber Gillies interessiert sich mehr für Anekdoten über ewige Adoleszenten, Erinnerungen an den C 64, den Augenblick, an dem Schwarzenegger uncool wurde, und den allmählichen Abstieg vom Nerd zum Hampelmann unerkannter Drahtzieher.

Mit ziemlich viel PR-Trara ist Cash von Richard Price erschienen, der die vielgelobte (und hier kaum zu sehende) TV-Serie The Wire erfunden hat und dessen Buch (dieses hier) angeblich auf Obamas Nachttisch lag, als der sich mal über New York informieren wollte. Cash ist dabei nichts weiter als ein karg montierter, recht spannend aufgebauter Ermittlungsfall, der von einem Raubüberfall handelt, der zum Mord wurde. Wir lernen den ermittelnden sturen Polizisten Matty kennen, die schwerfällige Bürokratie, ein paar miese Ecken von New York und überhaupt einen Schreibstil, der sich weniger aus Psychologisieren als aufs Beobachten konzentriert. Price liest sich dabei ein wenig wie Ellroy, nur ohne Furor. Im Original sollen die verschiedenen Sprachebenen brillant Auskunft geben über Herkunft und Sozialstatus, im Deutschen ist daraus eine manchmal etwas holprige bis unverständliche Suada geworden.

Der erste dtv-Krimi von Jutta Profijt (Kühlfach 4), in dem eine Leiche ihren Mörder fängt, wurde gerade zum Glauser-Preis nominiert, den zweiten (Im Kühlfach nebenan) lobten wir neulich auch. Jetzt erscheint der dritte: Schmutzengel. Der ist aber eigentlich gar kein Krimi, sondern ein Roman mit einer Leiche, der Krimi-Muster für eine Art Berufsberatungs-Handbuch nutzt. Die Heldin kriegt am selben Tag von Firma und Freund ihre Kündigung, macht sich als Concierge selbständig, kriegt irgendwie eine Leiche ans Bein und schlingert mit dem Corpus Delicti im Kofferraum durch sacht lustige Episoden, aus denen man etwas lernen kann. Etwa dass Selbständige auch mit Bronchitis zur Arbeit gehen, wie man eine Business-Idee in einen Werbeflyer übersetzt, oder wie man bei Kundengesprächen beeindruckend die Tür auf macht.

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Christine Lehmann: Notorisch Nerz Argument, Hamburg 2010, 185 S., 9,90
D.B. Blettenberg: Land der guten Hoffnung Pendragon, Bielefeld 2010, 288 S., 10,95
D.B. Blettenberg: Berlin Fidschitown Pendragon, Bielefeld 2010, 368 S., 12,95
Dominique Manotti: Letzte Schicht Aus dem Französischen von Andrea Stephani, Ariadne/Argument, Hamburg 2010, 252 S., 12,90
Jean-Claude Izzo: Mein Marseille Aus dem Französischen von Katharina Grän und Ronald Voullié. Mit Fotografien von Edwin Ganter. Unionsverlag, Zürich 2010, 95 S., 7,90
Constantin Gillies: Der Bug CSW, Winnenden 2010, 304 S., 16,95
Richard Price: Cash Aus dem Amerikanischen von Miriam Mandelkow. S. Fischer, Frankfurt 2010, 525 S., 19,95
Jutta Profijt: Schmutzengel dtv, München 2010, 286 S., 8,95