DIE KLEINE KRIMI-RUNDSCHAU (43. Lieferung)

Held mit Dame


und hier die vorherige-Ausgabe

Ken Bruen ist ein Autor, der den Witz nicht halten kann. Wenn sein Held Jack Taylor sich grad ne Pommes um die Ecke besorgt und anschließend von ein paar Finsterlingen vor der eigenen Haustür fachgelegt zerlegt wird (Nasenbein und drei Finger gebrochen...), dann liegt er sabbernd und blutend im Rinnstein und denkt: Eigentlich wollte ich ihnen nachrufen "Holt euch eure eigenen Pommes..." so einer ist das. Warum das mit Jim Thompson (im Klappentext) verglichen wird, ist ebenso rätselhaft wie die Entscheidung, den acht Jahre alten Roman Jack Taylor fliegt raus jetzt herauszubringen, nachdem wir die Gags und einen Haufen klügere Bemerkungen dazu aus den Roman von Kinky Friedman längst kennen. Übersetzt hat das der Zwangswitzler Harry Rowohlt, was den Roman, der eh schwer mit seiner Geschichte zu kämpfen hat, auch nicht übersichtlicher macht. Es geht um Kinderporno - Big Deal, völlig neues Thema! - und böse reiche Menschen - Haltmichfest! Dazwischen erzählt der Held ständig von seinen Lieblingsbüchern, aber bei dem leeren Zeug, was der Held plappert, hat er das alles entweder nicht gelesen oder nicht verstanden.

Fünf Freundinnen verbringen einen gemeinsamen Neujahrsurlaub in einer einsamen Berghütte, wo bald ein Unwetter losbricht und binnen kürzester Zeit sind die Frauen von der Außenwelt abgeschnitten. Während sie um der alten Zeiten Willen Wahrheit oder Pflicht spielen, kommt es zur Eskalation und alle gehen aufeinander los. Plötzlich fällt das Licht aus, dann liegt eine von ihnen tot und mit aufgeschlitzter Kehle im Raum. Nora Miedler hat ihren Krimi Warten auf Poirot im Stil von Agatha Christie aufgebaut. Es gibt einen Schauplatz mit einem geschlossenen Verdächtigenkreis, der von der Außenwelt abgeschnitten ist. Doch dieser eingeschränkte Handlungsraum macht die Geschichte nicht weniger spannend. Miedler hat durch die sehr unterschiedlichen Protagonistinnen, die alle sowohl eine düstere als auch eine sympathische Seite haben, dem Verlauf jegliche Vorhersehbarkeit genommen.

Warren Ellis ist eigentlich Autor für Comic-Geschichten (The Authority, Ocean), weshalb sein erster Roman Gott schütze Amerika auch sehr comic-artig wirkt. Will sagen: die Geschichte ist vollkommen durchgeknallt. Der genreübliche versoffene Privatdetektiv sieht sich plötzlich dem Staabschef des Weißen Hauses gegenüber, der ihn damit beauftragt, ein Buch zu finden. Das Buch ist eine Art zweite Geheimverfassung der USA und hat das Land vor Übel und Absturz bewahrt - bis Richard Nixon es einst verscheuerte. Seitdem geht's mit den USA bergab. Die Ausführung dieser kreuzbescheuerten Idee ist nicht minder bizarr (ein Haufen erlesener Perverser und Perversionen werden im folgenden vorgeführt, unter anderem Leute, die sich zu Godzilla-Filmen einen 'runterholen), trotzdem ist Gott schütze Amerika ein witziges Werk, in dem sich einfach Kapitel aneinanderreihen, in denen Seltsames geschieht. Und wir alle, Buch-Personal und Leser, fragen uns: Ist Amerika so auf den Hund gekommen, weil das schützende mystische Buch abhanden kam? Bis dann im letzten Drittel die Frage verhandelt wird: Was ist eigentlich pervers und was mainstream? Und spielt das eine Rolle, wenn die Regierung sowieso vollkommen gaga ist?

Kommissar Rünz ist immer noch ein Arsch. Christian Gude schickt seinen aufgesetzt unleidlichen Polizisten jetzt im dritten Darmstädter Regio-Krimi Homunkulus gegen einen mörderischen Roboter aus. Ein KI-Gimmick hat einen Festgast erschlagen. War's Absicht? Vom wem? Oder ein Unfall? Gude protzt wieder mit Incorrectness und Ironie, mit abfällig gemeintem Marketing-Talk und schlimmer Dialog-Embolie. Diesmal lässt er aber seinen Kotzbrocken nebenbei auch die Lesung eines untalentierten Darmstädter Regio-Krimi-Autors besuchen und dabei einschlafen. Das ist selbstbezüglich nicht ganz unlustig. Und mit viel gutem Willen kann man sogar was über den Zustand der KI-Forschung lernen.

Deutsche Krimis sind in der Regel dröge realistisch. Jutta Profijt setzt mit Kühlfach 4 eine eher phantastische Duftmarke. Der Kleinkriminelle Pascha liegt frisch ermordet im Kühlfach 4 der Rechtsmedizin und sinnt auf Rache. Irgendwie zum Geist geworden muss er den lebensuntüchtigen Amtsarzt dazu bewegen, seinen Fall aufzurollen und sein Krösken in trockene Tücher zu bringen. Das klappt, und erstaunlicherweise ist es wirklich lustig, einem etwas unterbelichteten Gespenst beim Aufklären seines eigenen Ablebens zuzuhören. Am Ende lernt er gar, Romane auf dem Computer seines Pathologen zu schreiben. Der nächste Band erscheint im Herbst.

Der Mörder hört Jazz, isst Bratkartoffeln und schreibt in einem "wertigen Wohnzimmer" Tagebuch. So fängt Marian Heib ihr Tödliches Ritual an. Es wird dann aber noch besser. Ein versoffener Polizeichef, der nicht über den Tod seiner Frau hinwegkommt, vermasselt eine Serienmord-Ermittlung und ruft Heibs Team aus zwei Vorgängerbänden zu Hilfe. Die vermasseln erstmal alles und kommen erst später im Urlaub auf das Mord-Muster. Das steht allerdings schon als Literaturangabe auf der Impressumsseite: Der Hexenhammer. Huh. Für deutsche Verhältnisse ungewohnt schwarz.

Vor 10 Jahren erschienen Romane über Wasserverbrechen noch in Science Fiction-Reihen, in 10 Jahren werden sie bei den Regionalkrimis angekommen sein. Heute schreibt Umweltaktivistin Varda Burstyn ihr Debüt Blut für Wasser wie einen transnationalen Spionage-Thriller. Skrupellose Industrielle gründen ein Konsortium, um kanadische Wasservorräte zu privatisieren und nach Amerika zu verkaufen. Ein beherzter Mitarbeiter hat ökologische Bedenken, holt sich eine Umweltschutz-Fachfrau dazu und rettet die Welt. Schön, dass dabei ausser Gier und Gutmenschtum auch viele andere Motive und zum Beispiel die Gewerkschaften vorkommen. Nicht so schön, dass schon wieder ein "Prolog" ein Handlungshäppchen vorzieht und so Verwirrung statt Spannung erzeugt.

Dann doch lieber einen Epilog wie in Pharmakos von Andreas Laudan. Der löst die rasende Spannung auf, die der Debütant vorher im tickenden 24-Stil aufgebaut hat. Ein Arbeitsloser entdeckt, dass er im Krankenhaus vergiftet wurde und nur noch 12 Stunden zu leben hat. Er büxt aus, versucht eine Story aus seinem Fall zu machen und das Echtzeit-Thriller-Experiment zur Sozialkritik aufzujazzen. In der nahen Zukunft nämlich spritzt eine geheime Organisation Sozialhilfeempfänger kostengünstig weg. Blöderweise hat sie vergessen, dass es ein Gegenmittel gibt, das unser Held finden kann. Und unser Autor vergaß, plausibel zu machen, wie sein Running Man auf die hochgebildete "Pharmakos"-Metapher kommen konnte. Im alten Griechenland wurde ein Pharmakos symbolisch mit allen Übeln einer Stadt beladen und dann ganz praktisch verjagt, gesteinigt, getötet gar. Da hätte ein Prolog eventuell helfen können.

Schnell noch passend vor den Kommunalwahlen: Gabriella Wollenhaupt ruiniert in Grappas Gespür für Schnee das Ansehen der SPD in ihrem Handlungsort Dortmund/Bierstadt. In der Presse tauchen Fotos von Sex- und Drogenpartys im Rathaus auf, einige Tote fallen an, haben aber nichts miteinander zu tun, linke Parteibonzen entpuppen sich als rechte Schweine, aber die CDU ist auch nicht cleaner. Am Ende gewinnt der amtierende OB als parteiloser Kopf einer links-grünen Koalition. Und Maria Grappa, Wollenhorsts ermittelndes Reporterinnen-Double, löst ihren 19. Fall, der eigentlich zwei sind. Ein bisschen schade ist nur, dass man so gar nicht den Eindruck hat, wirklichen kommunalen Drecksäcken näher gekommen zu sein

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Ken Bruen: Jack Taylor fliegt raus Deutsch von Harry Rowohlt, Atrium, Zürich 2009, 302 S., 16,-
Nora Miedler: Warten auf Poirot: Argument Verlag, Hamburg 2009, 188 S., 9,90
Warren Ellis: Gott schütze Amerika Aus dem Englischen von Conny Lösch, Heyne, München 2009, 303 S., 7,95
Christian Gude: Homunkulus Gmeiner, Meßkirch 2009, 327 S., 11,90
Jutta Profijt: Kühlfach 4 dtv, München 2009, 255 S., 9,95
Marian Heib: Tödliches Ritual Piper, München/Zürich 2009, 300 S., 10,00
Varda Burstyn: Blut für Wasser dtv, München 2009, 382 S., 9,20
Andreas Laudan: Pharmakos dtv, München 2009, 254 S., 9,20
Gabriella Wollenhaupt: Grappas Gespür für Schnee grafit, Dortmund 2009, 252 S., 8,95