DIE KLEINE KRIMI-RUNDSCHAU (42. Lieferung)

Blut in den Straßen


und hier die vorherige-Ausgabe

Aufpassen! Simon Beckett hat nicht nur forensische Krimis wie "Die Chemie des Todes" geschrieben, sondern auch mit unspannenderen Stoffen herumexperimentiert. Obsession etwa beschäftigte sich im Original schon 1998 sich mit einem autistischen Jungen und zwei Männern, die ihn als Sohn haben wollen. Es gibt ein paar Leichen am Rande, viele Lügen und einen Detektiv, aber es dauert für einen Thriller zu lange, bis der Ziehvater beim tragischen Kampf gegen das Jugendamt auf ein dunkles Geheimis stößt. Und man lernt nicht wirklich was über Autismus.

Da verlieben sich zwei und können zueinander nicht finden. Denn die Eine sitzt im Knast für etwas, was die Andere getan hat. Das Fischkind ist ein romantischer Krimi, erzählt von einem wirklich häßlichen Hund. Ein junges Dienstmädchen und die rebellische Tochter des Hauses suchen gemeinsam einen Weg aus ihrem elenden Leben. Während die eine hochherrschaftlich in Buenos Aires aufwächst, stammt die andere aus einem kargen Dorf in Paraguy. Derlei lokale Details spielen in dem Roman von Lucia Puenzo eine große Rolle und sind nicht immer zu verstehen. Trotzdem ist Das Fischkind ein trauriger, witziger, böser und sehr poetischer Roman über eine Liebe, die sich durch nichts aufhalten läßt.

Vor 13 Jahren schrieb Jaques Berndorf noch unter seinem richtigen Journalistennamen Michael Preute einen Krimi um Drogengeschäfte und Geheimdienstgemenge in Berlin. Langatmig erklärte Der Kurier, wie man mit Koks reich wird und warum die CIA das zuläßt. Umständlich lässt sich der Held Jobst Grau durch die neue Hauptstadt prügeln und an jeder Ecke fehlt einem in dieser Neuauflage des unveränderten Textes ein Bonus-Track, der Anspielungen erklärt, zeitgeschichtliche Fußnoten macht und etwa zugäbe, dass der Autor damals gerade vom politischen Gegenwartsroman ("Die Raffkes") zum Eifel-Krimi überlief. Oder warum der journalistische Held den Namen einer früheren Romanfigur Preutes aufträgt.

"Hop-Ciki-Yaya" war ein türkischer Schlager in den 60er Jahren, der bald zum Synonym für feminine Schwule wurde. Autor Mehmet Murat Somer hat den Begriff wieder entdeckt und einen Hop-Ciki-Yaya-Thriller geschrieben. Sein sinngemäß übersetzt "tuntiger Thriller" spielt im Rotlichtmilieu von Istanbul. In unregelmäßigen Abständen geschehen Morde an sich prostituierenden Transvestiten. Da Homo- und Transsexualität immer noch ein gesellschaftliches Tabuthema darstellen, gibt sich die Istanbuler Polizei nicht viel Mühe den Täter zu schnappen. Deshalb nimmt die Heldin des Romans, eine Nachtclubbesitzerin und Transe, sich der Fälle an. Die Amateurdetektivin hat einen weiten Bekanntenkreis, was die Spurensuche sehr erleichtert, besonders hilfreich ist einer ihrer Freunde, der bei der Polizei arbeitet und ihr Informationen zuspielen kann. Als spannenden Thriller kann man Die Propheten-Morde nicht bezeichnen. Dennoch ist der Roman unterhaltsam, er zeigt einen ungewohnten Teil der Istanbuler Gesellschaft und entführt seine Leser in die Parallelwelt der schillernden Travestikünstler. Somer macht seine Kritik an der engstirnigen türkischen Gesellschaft nicht zum direkten Gegenstand seiner Geschichte, allein der Umstand, dass seine Romanheldinnen Transvestiten sind und dazu noch äußerst sympathisch und unterhaltsam, genügt, um zu provozieren.

Ostwestfalen-Lippe will jetzt aber wirklich ein blutiger Fleck auf der Krimi-Landkarte werden. Geschätzte drei Dutzend Autoren bringen inzwischen zwischen Bielefeld und Detmold regelmäßig Leute um. 21 Autoren versammelt der von Claudia Puhlfürst und Uwe Voehl herausgegebene Band OWL kriminell zum Start der neuen "Mordslandschaften"-Reihe des KBV Verlags. Ein Kurzkrimi-Wettbewerb der Tageszeitung Westfalenblatt sammelte wahre Abgründe von Heimatgefühl und krimineller Energie ein. Sowohl bekannte Namen (-ky, Norbert Horst) als auch aufstrebende Talente (Sandra Niermeyer, Siegerin des Wettbewerbs) kommen zum Mord, die meisten nutzen Sehenswürdigkeiten als Schauplatz und führen sich geradezu zwanghaft originell auf. Wohl weil der Ostwestfale ums Verrecken kein sprichwörtlicher Ostwestfale mehr sein will, aber trotzdem das Lemgoer Hexenbürgermeisterhaus, die Detmolder Externsteine oder sein Bielefelder Lieblingsrestaurant als Tatort liebt.

Ava McCarthy hat sich "als Computerexpertin in Dublin einen Namen gemacht", steht auf dem Klappentext, und man rätselt, was damit gemeint sein soll. Immerhin schreibt sie in Passwort: Henriette keinen Blödsinn, wenn es um Emails, Passwörter und Backupprogramme geht. Aber die Geschichte der jungen Hackerin, die in ein Komplott geldgieriger Investmentbanker gerät, ist doch sehr übersichtlich und vor allem schlicht geschrieben. Weitere Romane mit der Hauptfigur werden angedroht.

Liebe Autoren, würdet ihr bitte mal für ein paar Jahre damit aufhören, "Prologe" vor eure Bücher zu schreiben? Meistens taugt das Stilmittel nichts, und manchmal ist es glatt gelogen. In Jürgen Kehrers Fürchtet euch nicht etwa ist der angebliche Prolog eine ziemlich sinnlose Vorblende in den Showdown: Ein Attentäter schleicht sich in ein Staatstreffen auf einer Nordseeinsel ein. Dann folgt ein durchaus spannender Plot: Scheinbar durch Zeckenstiche angestachelt, verlieren normale Bürger alle ihre Ängste, springen von Türmen, erschlagen ihre Feinde oder leben ihre Wünsche aus. Ein geschasster Polizist und eine suspendierte Seuchenforscherin finden heraus, dass jemand gentechnisch am FSME-Virus gebastelt hat. Die Ermittler fahren viel zwischen Münster (hier erfand Jürgen Kehrer vor Jahrzehnten den Detektiv Wilsberg) und der Nordsee herum, lernen eine Menge übers Blutsaugen und diskutieren immerzu, ob die Abschaffung der Angst den Menschen frei macht oder zum Spielball seiner übrigen Antriebe. Kehrer scheint da unschlüssig, auch wenn die Bösen natürlich alle gefasst werden.

Eine halb historische Polit-Satire über die Ermordung des pakistanischen Generals Zia hat Mohammed Hanif verfasst. In Eine Kiste explodierender Mangos geht es auch um die Mullahs der Gegenwart, Potenzprobleme bei saudischen Prinzen und die einfache Foltermethode, jemanden für viele Stunden in einem dunklen Scheißhaus einzusperren. Außerdem geht es um verschwundene US-Gelder in Afghanistan und die blinde Treue der Militärs zu ihren Dogmen und Vorgesetzen. Mit 100 Seiten weniger wäre das die pure Lesefreude, leider zieht sich die Geschichte etwas, vor allem weil auch noch eine schwule Liebesgeschichte untergebracht werden musste.

Seinen ersten Politthriller hat Horst Eckert mit Sprengkraft geschrieben, einerseits nah dran an seinen Polizeiromanen voller schwankender Charaktere, andererseits voller Plotwendungen, die man aus den Nachrichten zu kennen glaubt. Da driften Jungtürken zum bewaffneten Islamismus weg, da stümpern Sicherheitsorgane mit V-Männern herum, da versucht eine Rechtsaussenpartei sich ein liberales Image-Lifting zu geben und engagiert einen frechen Journalisten. Hauptsächlich der führt durch das komplizierte Handlungsgeflecht, in dem es um Drogen, Anschläge, korrupte gute und noch korruptere böse Bullen geht und in dem man sehr absichtlich die Orientierung verliert. Hat der Verfassungsschutz einer Terrorzelle die Bombe besorgt? Aber warum explodierte die dann in einer Moschee? Und was hat die von den Nazis entwickelte Sexpuppe Borghild damit zu tun? In schnellen Szenen hetzt Eckert durch ein Dutzend Themen und hängt einen kinoreifen Thrillerschluss an: Alle Toten sind geborgen, alle Akten geschlossen, aber irgendwo tickt noch immer eine Bombe.

In seinem vierten Hal Challis-Roman Beweiskette nimmt Garry Disher seine Hauptfigur Hal Challis fast ganz aus der Geschichte heraus und überläßt Challis' Polizeirevier ganz sich selbst. Ein Handlungsfaden beschreibt Challis Rückkehr in das Städtchen seiner Heimat, wo sein Vater im Sterben liegt und wo ein ungeklärter Todesfall durch das unerwartete Auftauchen einer Leiche neu aufgerollt werden muss. Der zweite Handlungsstrang erinnert ein bisschen an McBains 87. Polizeirevier, nur in Australien. Die überaus dramatische, dabei sehr unaufgeregt erzählte Geschichte eines Kindesmißbrauchs berührt verschiedene Teile der Polizei und wird aus der Perspektive verschiedener Beamter erzählt. Das ist hier nicht nur ein erzählerischer Gimmick, Disher verknüpft Perspektiven und Handlungsverlauf überaus geschickt zu einer komplizierten aber jederzeit einleuchtenden Geschichte über einen Pädophilenring, der offensichtlich unter dem Schutz der Polizei operieren kann. Während andere Autoren bei diesem Thema vor innerer Empörung keinen Satz mehr geradeaus hinkriegen (wie etwa die dauerüberschätzte Donna Leon) zwingt Dishers Ruhe und präzise Diktion, sich mit dem Thema auf eine Art auseinanderzusetzen, die über das übliche "Mein Gott wie schrecklich - Rübe runter!" hinausgeht. Dabei wird keinesfalls "erklärt" oder Verständnis geheuchelt, aber es wird eine Gesellschaft beschrieben, die nicht bemerkt, was mit ihren Kindern geschieht. Für diesen Roman bekam Disher 2007 in Australien den "Ned Kelly Award", was nicht nur ein Krimi-Preis ist sondern auch noch einer, der nach einem wirlichen Rebellen benannt wurde. Die Übersetzung ist streckenweise gewöhnungsbedürftig, nicht jeder wird sich damit anfreunden können, dass ein Ziegelstein "verstunken" riecht.

Reinhard Heydrich ist tot, seit 1942 schon, aber Uwe Klausner stellt das Attentat tschechischer Widerstandskämpfer auf den Reichsprotektor in Walhalla Code noch einmal nach, um einen fiktiven Kriminalfall in Berlin daran aufzuhängen. Irgendjemand hat nämlich Heydrichs Akten geklaut, darunter das Protokoll der Wannsee-Konferenz, und verschiedene Machtgruppen suchen nun danach. Dazwischen haben ein paar ehrliche Kriminaler, die die Nazis nicht sehr leiden können, Schwierigkeiten mit den Opfern der Jagd. Ausserdem treten Churchill, Stalin und Berija auf und der Kommissar kriegt das jüdische Mädchen. Das klingt nach historischer Kulissenschieberei, durchsetzt mit Zitaten aus der WW2-Literatur, liest sich aber wie Kraut und Rüben. "In dem Maße, wie sich das Gestrüpp ringsum verdichte, wuchs Rebeccas Zuversicht." Aaa ja. Die "kühne Frage nach der Rolle der Alliierten bei der Aufdeckung des Holocaust", die der Klappentext verspricht, reduziert sich auf eine Szene, in der Churchill seine Kopie der Wannsee-Papiere verbrennt, 5 Jahre bevor sie bei den Nürnberger Prozessen "entdeckt" werden.

Mit dem Gehirn hatte es Jens Johler schon in seinem ersten Thriller "Gottes Gehirn", den er zusammen mit Olaf Axel Buro schrieb. In seinem Solo Kritik der mörderischen Vernunft geht es schon wieder um den Kopf. Jemand bringt Hirnforscher um, die behaupten, es gebe keinen freien Willen. Und wer findet es heraus? Genau, die Journalisten Toller und Jane aus dem ersten Buch, die hier aber auf "den Roman" nicht so gerne angesprochen werden. Lieber sammeln sie Lesefrüchte zu Spiegelzellen, Stimmungsmanipulation, folternden Geheimdiensten und allerlei Neuro-Gruseligkeiten. Gleichzeitig kriegt die Mord-Serie eine philosophische Rechtfertigung, weil Erkenntnis heute nur noch zu mehr Manipulation und nicht zu mehr Verstehen führe. Auch das Privatleben der Ermittler spielt ein bisschen arg bremsend mit, sodass Falllösung, Hirnschmalz und Figurenzeichnung sich oft gegenseitig im Weg stehen.

-aco/jh/vl/thf/w-
Simon Beckett: Obsession übersetzt von Andree Hesse, Rowohlt, Berlin 2009, 416 S., 9,95
Lucia Puenzo: Das Fischkind Aus dem argentinischen Spanisch von Rike Bolte. Wagenbach, Berlin 2009, 157 S., 16,90)
Jaques Berndorf: Der Kurier grafit, Dortmund 2009, 416 S., 10,50
Mehmet Murat Somer: Die Propheten-Morde Aus dem Türkischen von Gerhard Meier. Tropen, Stuttgart 2009, 239 S., 16,90
Claudia Puhlfürst, Uwe Voehl (Hg.): Mordslandschaften: OWL kriminell KBV, Hillesheim 2009, 263 S., 9,90
Ava McCarthy: Passwort Henriette Aus dem Englischen von Karl-Heinz Ebner, Knaur, München 2009. 480 S., 14,95)
Jürgen Kehrer: Fürchtet euch nicht grafit, Dortmund 2009, 335 S., 18,90
Mohammed Hanif: Eine Kiste explodierender Mangos Aus dem Englischen von Ursula Gräfe. A1 Verlag, München 2009, 384 S., 22,80
Horst Eckert: Sprengkraft grafit, Dortmund 2009, 413 S., 18,90
Gerry Disher: Beweiskette Aus dem Englischen von Peter Torberg, Unionsverlag, Zürich 2009, 439 S., 22,90
Uwe Klausner: Walhalla-Code Gmeiner, Meßkirch 2009, 322 S., 11,90
Jens Johler: Kritik der mörderischen Vernunft Ullstein, Berlin 2009, 540 S., 9,95