DIE KLEINE KRIMI-RUNDSCHAU (41. Lieferung)

Dumm gelaufen


und hier die vorherige-Ausgabe

Wer will schon in Hannover sterben? Egbert Osterwald lässt dort gleich vier Frauen in Schwarz Rot Blond von einem Ripper niedermeucheln, der zur Förderung der Serienkillerspannung Murmeln in der Haarfarbe der Opfer hinterläßt. Die Kommissarin ermittelt und verguckt sich dabei trotz problematischer Backstory in den Chef. Der erste Verdächtige ist es wie immer nie, aber nicht ganz so standardisiert ist bald die Hauptperson das beste Alibi für den Hauptbösewicht. Durchschnittliche Spannung für Lokalinteressierte. Und ein Kündigungsgrund für den Autor, einen Gymnasiallehrer, der schon auf Seite 3 in einem Bildungszitat von einem "locus amoebus" faselt, wo es "amoenus" heißen muss.

Die Schottin Val McDermid ist eine solide, TV-krimikompatible Autorin, deren Romane fast immer in Polizeikreisen spielen und es, vorsichtig gesagt, nie eilig haben. Für Nacht unter Tag hat sie sich ihrer Kindheit im schottischen Fife erinnert und beschreibt den großen Bergarbeiterstreik der 80er Jahre, in dessen Verlauf Maggie Thatcher den Gewerkschaften das Kreuz brach. Danach erfand sie mit Ronald Reagan den Neoliberalismus und die Welt war eine andere. Leider verläßt sich McDermid zu sehr auf Milieubeschreibung, verzichtet auf Spannungsmomente und ergeht sich ausführlich in sehr gesitteten Dialogen. Die Figuren bleiben blass, der Plot (ein Gewerkschaftler veschwindet, eine junge Frau wird entführt) ist aufs Übelste zusammengenagelt und unglaubwürdig.

Überaus gut gemeint und politisch völlig unkorrekt ist Paragraf 301 von Wilfried Eggers. Ein illegaler Einwanderer aus der Türkei schmeisst unabsichtlich einen Arbeitsamt-Konrolleur vom Dach einer Baustelle. Der Fall führt auf vielen Umwegen mitten in den Konflikt der herrschenden türkischen Mehrheit mit den Aleviten, einer Art Bahai-Moslems. Schlüter, Held mehrerer Eggers-Romane, deckt gar einen vergessenen Völkermord auf, kritisiert die deutsche Justiz, äußert sich zur Asylantenproblematik, schießt erbschleichenden Honoratioren ins Bein, läßt die PKK verbrecherisch mitmischen und kippt so zuviel Sachinformation und Nebenhandlung auf seinen Stoff. Man lernt aber viel, etwa über den Paragraf 301 des türkischen Strafgesetzbuches, der untürkische Umtriebe bestraft.

Jakob Arjouni hat ein Herz für Kleinganoven. Das ergab schon in Chez Max eine nette Geschichte. Der heilige Eddy, Arjounis neuer Roman, handelt von einem Trickbetrüger in Berlin, vor dessen Haustür plötzlich ein toter Großunternehmer liegt. Die Polizei kann Eddy nicht rufen, aber seinen Kumpel Arkadi. Der allerdings würde niemals bei einem krummen Ding mitmachen. Wie es Eddy gelingt, die Leiche mit Hilfe von gleich vier Sofas an zwei Bodyguards vorbeizuschmuggeln, wie er sich in die Tochter des Großunternehmers verliebt und warum ein Klatschreporter, den alle nur "Giftschwuchtel" nennen, dabei eine Rolle spielt - das hat Arjouni hübsch zusammengepackt in eine Geschichte, die im Mittelteil ein bisschen zu lang geworden ist und deren Ende etwas schwächelt. Aber die ersten 100 Seiten sind die pure Freude.

Umgerechnet auf Buchumfänge ist Andrea Maria Schenkel die vermutlich erfolgreichste Krimiautorin der Welt. Ihr Debüt Tannöd kam mit 125 Seiten aus, der Nachfolger Kalteis brauchte knapp 150, und beide wurden mehrfach preisgekrönt, verhörbucht, als Filmstoff verkauft. Jetzt erscheint Bunker. Noch konsequenter als bisher erzählt Schenkel, diesmal unterstützt von wechselnder Typografie, subjektiv aus Täter- und Opfer-Perspektive. Wieder wechselt sie mehrfach die Zeitebenen, beginnt kurz vor dem Ende und schiebt sogar noch Jugenderinnerungen in den Fall. Ein Mann entführt eine Frau in einen Bunker. Lange bleibt unklar, wer wer ist und wen was treibt. Dann wird sogar unklar, wer eigentlich Opfer und wer Täter ist. Auf engstem Raum entfaltet Schenkel eine seltsam zeitlupenhafte Hektik, die Bunker schwerer wirken lässt, als das Buch wiegt.

Was ist das denn?! In Die Ruhe des Stärkeren schreibt Veit Heinichen ganze Kapitel aus der Perspektive eines Hundes. Wau! Ansonsten geht es um globale Geldverschieber, Kampfhunde und Hundekämpfe und die Osterweiterung von Europa.

"Ich sah meine Augen, die sich um mich sorgten" - wer sowas für parodistisch hält und vor allem mehr als 100 Seiten lang durchhält, der wird sich an Das absolut perfekte Verbrechen von Tanguy Viel erfreuen. Für den Rest ist es ein eher prätentiöser, nicht immer glücklich übersetzer Versuch, aus Pulp Hochkunst zu machen. Das hat schon immer besser funktioniert, wenn man das Genre ernst nimmt anstatt es überhöhen zu wollen. Die Geschichte eines Überfalls ist jedenfalls schon mal witziger erzählt worden. Andererseits möchte man sich das Buch schon wegen des schönen Covers ins Regal stellen.

Donald Westlake ist tot. Am 31. Dezember 2008 starb der Autor, der über 100 Krimis schrieb und zuletzt unter dem Pseudonym Richard Stark den "Deutschen Krimipreis" für seinen Roman Fragen sie den Papagei erhielt. Da geht zeitlich einiges durcheinander. Schließlich erscheint erst jetzt Keiner rennt für immer, das Buch, das genau da endet, wo der Papagei begann. Hoffentlich arbeitet sich der neue deutsche Verlag auch noch weitere fünf Parker-Romane zurück, bis zum Comeback des coolen Profis, den Westlake schon Ende der 90er nach 23 Jahren Schreib-Pause wieder auferstehen ließ. Immerhin ist "Keiner rennt für immer" gerade auf Platz 1 der KrimiWeltbestenliste aufgestiegen.

Das Faszinierende an den Romanen von Iain McDowall ist der Entwurf seiner fiktiven Stadt Crowley, mit Szene-Läden, Armenvierteln, Vorstadt-Hochhäusern - und einer mittelmäßigen Polizei. Die müht sich redlich, ihren Job zu tun, und auch im Gefährliches Wiedersehen geht das meist unspektakulär vonstatten. Jemand liegt tot in seiner Wohnung, es gibt eine Menge Verdächtige, und die Polizisten Kerr und Jacobson versuchen sich ganz auf den Fall zu konzentrieren, auch wenn ihr Privatleben in Scherben liegt. Es ist fast frech, wie McDowall jede größere Gemütsregung und jede Actionszene verweigert. Seine präzise Sprache und Beobachtung machen jedes seiner Bücher lesenswert. Schade, dass die Crowley-Romane hier in der falschen Reihenfolge erscheinen; der hier ist von 2000.

Das Krimijahrbuch hat den Verlag gewechselt und ist jetzt beim Bielefelder Kleinverlag Pendragon untergekommen. Es wäre schön, wenn man sagen könnte, damit ist jetzt alles gut geworden, aber leider ist Dieter Paul Rudolph immer noch Mitherausgeber und betritt das Buch mit einem Hauser-Kienzle-imitierenden Dialog, der schon vor 10 Jahren peinlich gewesen wäre; ungefähr damals muss augenscheinlich Rudolphs innere Uhr stehengeblieben sein. Immerhin lädt er seine Autoren nicht mehr zum Bratwurstessen ein und macht dann Kapitelchen daraus. Das Beste am 2009-er Jahrgang des Krimijahrbuches: Man hat die deutsche Provinzialität hinter sich gelassen. Es gibt einen Aufsatz über den südafrikanischen Krimi, den Krimi-Boom in Polen, ein Gespräch mit Hakan Nesser, und dem brummeligen Österreicher Manfred Wieninger hat man gleich mehrer Kapitel freigeräumt. Die Provinz ist mit Lucie Klasen im Interview auch vertreten, und wenn Ulrich Noller gewusst hätte, was er Zoran Drvenkar fragen soll, wär das bestimmt auch spannend gewesen. Das Kapitel über Büchersammler ist ebenso drollig wie der Teil über Jugendkrimis. Unausgesprochen hat sich das Krimijahrbuch 2009 endgültig auf die Buchverwertung zurückgezogen, Comics, Filme und DVD kommen nicht vor. Macht ja nix. Aber man könnt's vielleicht demnächst vorne draufschreiben. "Das literarische Krimijahrbuch" oder "Krimijahrbuch der Literatur" wär ja auch kein schlechter Titel. Und Aufsätze darüber, dass Patricia Highsmith eine bedeutende Autorin sei, sollte man besser in die Praktikantenschublade packen wo draufsteht "Göte war gut". Das muss nicht ins Jahrbuch.

Erich Kästner hat viele seiner Romane als kleine Krimis angelegt, gerade die Kinderbücher - von "Pünktchen und Anton" bis "Der kleine Mann" - benutzen oft einer Krimi-Dramaturgie. Den einzigen Krimi für Erwachsene hat er 1935 mit Die verschwundene Miniatur geschrieben, als Kästner in Deutschland Veröffentlichungsverbot hatte. Der Held ist ein leicht überforderter Schlachtermeister, der einfach mal Urlaub vom Familienstress nimmt und dabei an eine freche junge Dame und einen verdächtigen jungen Mann gerät. Das ist, wie meistens bei Kästner, pure Komödie, sozusagen Boulevard als Prosa, und mit einem von Hans Traxler angelegten neuen Cover (das sehr an den Kästner-Illustrator Walter Trier erinnert) ist es jetzt bei Atrium wieder erschienen.

-aco/vl/thf/w-
Egbert Osterwald: Schwarz Rot Blond zu Klampen, Springe 2008, 284 S., 12,80
Val McDermid: Nacht unter Tag Aus dem Englischen von Doris Styron. Droemer, München 2009, 540 S., 19,95
Wilfried Eggers: Paragraf 301 grafit, Dortmund 2008, 475 S., 19,90
Jakob Arjouni: Der heilige Eddy Diogenes, Zürich 2009, 246 S., 18,90
Andrea Maria Schenkel: Bunker Edition Nautilus, Hamburg 2009, 125 Seiten, 12.90
Veit Heinichen: Die Ruhe des Stärkeren Zsolnay, Wien 2009, 318 S., 19,90
Tanguy Viel: Das absolut perfekte Verbrechen Aus dem Französischen von Hinrich Schmidt-Henkel, Wagenbach, Berlin 2009, 151 S., 16,90
Richard Stark: Keiner rennt für immer Aus dem Amerikanischen von Nikolaus Stingl. Zsolnay, Wien 2009, 287 S., 16.90
Iain McDowall: Gefährliches Wiedersehen Aus dem Englischen Werner Löcher-Lawrence. dtv, München 2009, 255 S., 8,95
Krimijahrbuch 2009 (Bacher / Noller / Rudolph (Hg.): Krimijahrbuch 2009. Pendragon, Bielefeld 2009, 359 S., 12,90
Erich Kästner : Die verschwundene Miniatur Atrium, Zürich 2009, 255 S., 19,90