DIE KLEINE KRIMI-RUNDSCHAU (40. Lieferung)

Der Rest aus dem letzten Jahr


und hier die vorherige-Ausgabe

Marionetten ist ein überaus fein konstruierter Roman, mit vielen Verästelungen, Perspektiven und Handlungswechseln. Ischa, ein russischer Tschetschene, kommt nach Hamburg und wendet sich an eine Hilfsorganisation für Flüchtlinge, um Kontakt zu einem ganz bestimmten Bankier aufzunehmen. Aber bevor es dazu kommt, steht schon eine Handvoll Geheimdienster in dunklen Häuserecken und vermutet Finsteres. John le Carré hat eine fein ziselierte Handlung entworfen, die sehr viel mit Terror und Terrorbekämpfung zu tun hat und ganz wenig mit der herrschenden Meinung darüber. Und während der Bankier sich in eine der Flüchtlingshelferinnen verliebt, während Ischa Papierflieger baut und davon träumt, Arzt oder Flugzeugingenieur zu werden, führen Vernetzung und Konkurrenz der Geheimdienste zu seltsamen Ergebnissen. Geradezu schockierend ist die Brutalität, mit der le Carré seinen Thriller enden lässt. Es ist, als ob der Autor vor der Wirklichkeit kapituliert hätte und sagt: Ich weiß, ein raffinierteres Ende wäre dir, lieber Leser, sicherlich lieber. Aber angesichts dieser Welt." Marionetten ist, wie Der ewige Gärtner, vom Pessimismus seines Autors erfüllt. Nichts wird gut werden, und nirgendwo.

Isaac Sidel ist inzwischen Bürgermeister von New York und Kandidat für das Amt des Vize-Präsidenten der Demokraten. Wie das passieren konnte, geht aus Jerome Charyns 10. Band der Reihe Citizen Sidel nicht so recht hervor. Auch interessiert sich Sidel weniger für Politik als für Gerechtigkeit und einen Polizeiskandal in New York. Mit der üblichen, fast schwebenden Sprache erzählt Charyn von Intrigen und Verletzlichkeiten in einer Stadt, die sich als die härteste der Welt empfiehlt. Was er dabei über New York mitzuteilen hatte, ist nicht mehr ganz so originell (das Original erschien 1999), und die tragische Tiefe der ersten Bände (Marilyn The Wild; Blue Eyes) geht diesem hier auch etwas ab. Dass das Buch dennoch eines der Highlights des letzten Krimi-Jahres in Deutschland darstellte, verdeutlicht, wie vertrocknet die Szene inzwischen ist. Manchmal reicht es aus, für Freunde eine Ferienwohnung anzumieten, und der Ärger steht vor der Tür. Jedenfalls geht es so Commissario Montalbano in Die schwarze Seele des Sommers, wo Andrea Camilleri beinahe schon frech und souverän Witz und Tragik gegeneinander stellt. Dass im Ferienhaus eine Tote liegt, ist ein Teil der Geschichte. Und wie der 50jährige Kommissar sich von einer jungen Frau verführen lässt, eine andere. Und Camilleri bringt nicht nur beide zusammen, er verhindert auch, dass die zarte Liebesgeschichte zum Altherren-Witz verkommt - und macht sich trotzdem über seinen Kommissar lustig.

Das besondere an Camilleri geht in den deutschen Übersetzungen verloren: der sizilianische Dialekt. Warum er ihn benutzt, warum der große Sizilianer Leonardo Sciascia das nicht mochte und wieso das Ende von Commissar Montalbano längst feststeht, ist in dem Interviewbändchen Andrea Camilleri - Café Vigàta von Lorenzo Rosso zu lesen, das viele (von Camilleri erzählte) Anekdoten und Fotos enthält. Bei den Fotos wäre es manchmal schön gewesen, wenn man wüsste, was sie zeigen. Anonsten ist der Band für Fans des fleißigen Sizilianers (im Schnitt drei Bücher pro Jahr!) unentbehrlich. Leif Davidsen, sonst Garant kluger und spannender Polit-Thriller, hat mit Der Russe aus Nizza ein seltsam arhythmisches Buch geschrieben. Zwei Drittel lang nölt der Ich-Erzähler, ein dänischer Business-Schnösel, über den Verlust seiner schönen russischen Frau. Und dann geht er plötzlich nach Russland und wir kriegen einen Crash-Kurs in tschetschenischer Geschichte, Ikonografie und der neuen Mafia. Weil Davidsen ein Stilist ist und seine Geschichte ohne Zicken erzählt, ist das trotzdem gut lesbar. Aber es wirkt doch ein wenig einschläfernd.

Es gibt erstaunlich viele "letzte Romane" von Mickey Spillane, und keinen einzigen guten darunter. Max Allan Collins hat für Das Ende der Straße die letzten zwei Kapitel selbst geschrieben (die pikanterweise und natürlich die Auflösung enthalten), weil Spillane den Roman nicht mehr beenden konnte. Es wäre kein Unglück gewesen, wenn die letzten Hormonstöße des großen alten Pulp-Writers Spillane nicht die Öffentlichkeit erreicht hätten. So lesen wir jetzt noch einmal etwas über Atombomben, böse Araber, brave Cops und die große Liebe, die in allen schlechten Spillane-Storys im Mittelpunkt steht. Man kann heftig schmunzeln über die Naivität, mit der Spillane auf die Welt blickt (Computer blieben ihm wohl bis zum Schluss ein Rätsel), und noch mehr schmunzeln darf man über den deutschen Rotbuch Verlag, der seit 15 Jahren Spillane herausbringt und trotzdem behauptet, er sei "der Erfinder von Max Hammer" - der gute Hammer heisst Mike. Immer schon.

Dunkle Geschäfte am Bosporus ist einer dieser Celil Oker-Romane, bei denen man zu Anfang sich immer wieder fragt: Hab ich das nicht schon mal gelesen? Hier findet der etwas konturenlosen Detektiv eine tote Auftraggeberin, deren Mann in der Politik eine große Nummer ist und der ihm fortan heftig zusetzt. Die Auflösung ist, wie oft bei Oker, eher etwas läppisch und enttäuschend, dafür haben wir eine Menge über "Aikido" gelernt. Im Nachwort führt Thomas Wörtche ein freundliches Interview mit Oker, der anscheinend das Privat Eye-Genre für die Türkei ganz allein erfunden hat.

-aco/thf/vl-
John le Carré: Marionetten Aus dem Englischen von Sabine Roth und Regina Rawlinson. Ullstein, Berlin 2008, 368 S., 22,90
Jerome Charyn: Citizen Sidel Aus dem Amerikanischen von Jürgen Bürger, Rotbuch, Berlin 2008, 189 S., 16,90
Andrea Camilleri: Die schwarze Seele des Sommers Aus dem Italienischen von Moshe Kahn, edition Lübbe, Berg.-Gladb. 2008, 286 S., 19,95
Lorenzo Rosso: Andrea Camilleri - Café Vigàta edition Lübbe, Berg.-Gladb. 2008, 139 S., 16,95
Leif Davidsen: Der Russe aus Nizza Aus dem Dänischen Anne-Britt Gerecke, Zsolnay, Wien 2008, 479 S., 19,90
Mickey Spillane: Das Ende der Straße Aus dem Amerikanischen von Lisa Kuppler, bearbeitet und mit einem Nachwort von Max Allen Collins, Rotbuch, Berlin 2008, 223 S., 9,90
Celil Oker: Dunkle Geschäfte am Bosporus Aus dem Türkischen von Nevfel Cumart, Unionsverlag, Zürich 2008, 255 S., 9,90