DIE KLEINE KRIMI-RUNDSCHAU (39. Lieferung) LEBEN IN BÜCHERN STERBEN IM LEBEN und hier die vorherige-Ausgabe "Ein Wegbegleiter durch die Welt der Kriminalliteratur" - das ist der schwammige Untertitel und so ist das alles auch: Der Herausgeber und Autor Thomas Wörtche hat sich überreden lassen, ein paar seiner Kolumnen und unveröffentlichten Texte in Buchform zu bringen. Das Buch heisst Das Mörderische neben dem Leben und erzeugt Ratlosigkeit. Weil es so einen Aufstand macht, um zu definieren, was eigentlich ein "Krimi" oder was "Kirminalliteratur" ist, um dann zu sagen, was wir ahnten: So genau weiß man's nicht. Wenn einer im Vorwort sprachlich so erbärmlich schludert: "(Das Buch ist) ein betriebswirtschaftlich kamikazes Projekt, vielleicht, aber schon okay, Verleger und Autor lassen sich - Suspense muß sein - gern davon überraschen, wie viele stille Sympathisantinnen und Sympathisanten dennoch darauf warten." - was will so einer uns über Literatur mitteilen? Natürlich kann Wörtche, der die metro-Reihe bei Union hochgezogen hat und diverse Kolumnen betreibt, nicht durchgängig Stuß schreiben. Aber dass jeder dritte Satz grammatikalisch falsch ist, dass Wörtche "Lateinamerika" und "Afrika" als kulturellen Raum definiert, dass er witzige Worte findet wie "evidentermaßen" - das nervt schon gewaltig. Der "deutsche Krimi" mag in seiner Gesamtheit nicht viel taugen. Aber das liegt auch an seinen Kritikern. Die Geschichte als Kriminalfall: Wenn das verrückt und ironisch daherkommt, ist es von Paco Ignazio Taibo, wenn es sich eher melancholisch dahinkriselt, ist es von Jean-Francois Vilar. Von dem erschienen in den 90ern ein paar sehr ernste, politische Krimis (im inzwischen verblichenen Beck & Glückler Verlag), die sich immer wieder mit der Geschichte der Arbeiterbewegung und der Linken im Allgemeinen befassten. Die Verschwundenen ist die eher geschwätzige Variante von Vilars anderem großen Roman Die Maßlosen: Der Fotograf Victor (Held vieler Vilar-Romane) kehrt nach drei Jahren Geiselhaft nach Paris zurück und stößt dort auf das Tagebuch eines 1938 verschwundenen Trotzkisten, der in Paris mitten in den Vorbereitungen einer Konferenz der (trotzkistischen) VI. Internationalen steckt. Er liebt ein Mädchen, das einen Stalinisten liebt, er freundet sich mit den Surrealisten um Breton herum an (der in Mexico Trotzki besucht) - es ist ein Kompendium linker Verbrechen, das hier angelegt wird. Vilar kontert das mit den (damals) aktuellen Ereignissen um 1989 herum, als der "Ostblock" zusammenbrach; hier geht es vor allem um die Befreiung der Tschechoslowakei. Das Buch ist zu lang, die Geschichte hat keine Pointe, und als Abrechnung mit linker Verdrängung ist es zu harmlos (das hat Vilar woanders viel besser beschrieben). Aber im Stil, in der Haltung des Verlorenen, in der Aneinanderreihung katastrophaler Versäumnisse der linken Bewegung, als Koketterie mit der kleinen Melancholie um die Ecke, als Lesestoff also für Leute, die in den 90ern auf Pinot Grigio umstiegen, Paolo Conte hörten und dabei leise ahnten, dass eine knapp 140 Jahre alte politische Bewegung gerade an der Gaderobe abgegeben worden war - für die sind diese 400 Seiten eine Lust. Weil es um Verbrechen und Tote geht und weil das Buch einigen Konventionen des Genres folgt, ist es auch ein Krimi; aber nur "auch". Das wahre Leben ist nie ein Roman, und Michael Buback könnte ihn eh nicht schreiben, weil er zu betroffen ist. Aber auch zu gut erzogen, um seine Recherchen zum "Terrormord" an seinem Vater zum spannenden Skandal aufzublasen. Am 7.4.1977 erschoss jemand auf offener Straße den Generalbundesanwalt Siegfried Buback von einem Motorrad aus. Drei RAF-Mitglieder, darunter Christian Klar, wurden kurz darauf verhaftet und ohne genaue Klärung des Tatverlaufs als gemeinschaftliche Mittäter verurteilt. 20 Jahre später bemerkte der Sohn, dass die Akten widersprüchlich sind, dass Behörden und Politiker sogar ihm eher Ausflüchte als Auskünfte gaben, und dass womöglich der wahre Schütze damals vom Nachrichtendienst gedeckt wurde. Ob's stimmt, ist unklar, aber es ist lehrreich zu lesen, wie ein prinzipienfestes Mitglied der Oberklasse am eigenen Staat irre wird. Der zweite Tod meines Vaters ist ein Tatsachenbericht darüber, wie ein "Opfer des Deutschen Herbst" aufhört, an die Objektivität der herrschenden Klasse zu glauben. Wäre Michael Buback kein strenger Chemie-Professor, er hätte wohl eine Verschwörungstheorie aus seinen Indizien gemacht. So bleibt sein Buch ein Sachkrimi über Inkompetenz und Vertuschung. Und ohne Auflösung. Vor knapp 2000 Jahren schlug ein westfälischer Rüpel die römischen Besatzungstruppen verräterisch in Klump. Was viel später von politisch Interessierten als "germanische Befreiung" oder gar "Deutschlandgründung" gefeiert wurde, war bestenfalls ein Stammesgemetzel ohne größere Folgen. Außer vielleicht, dass Köln am Rhein blieb und nicht nach Hannover verlegt wurde. Thomas R.P. Mielke hat aus dem historisch schlecht überlieferten Stoff den Gegenwartsthriller Die Varus-Legende gemacht, in dem Morde und Intrigen im Vorfeld des Jubiläums der Schlacht am Teutoburger Wald mit der kommenden Bundestagswahl und ganz alten Sagen verbunden werden. Hat der junge Jesus damals Varus in Palästina getroffen? Wissen die heutigen amerikanischen Sons of Hermann, wo der Jerusalemer Tempelschatz liegt, den Varus aus dem Nahen Osten geraubt haben könnte? Würden Detmolder Lokalpatrioten Osnabrücker Jubiläumsgewinnler umbringen, weil das Hermannsdenkmal an der falschen Stelle steht? Man glaubt Mielke fast alles, weil er gut recherchierte und clever erfand. Da musste er nicht auch noch gut schreiben. Ein gewöhnlicher Verbrecher ist nur ein gewöhnlicher Krimi. Zwar ist der Held ein Ex-Krimineller, aber das hatten wir schon in diversen anderen Krimis. Michael van Rooy hat nur eine gewöhnliche Rachegeschichte in ziemlich gewöhnlichem Stil geschrieben: Ex-Knacki wird überfallen, tötet in Notwehr und hat fortan alle gegen sich.. Das ist nett für einen langen Nachmittag. Dann schenkt man's dem Nachbarn. Beinahe wie im Rausch beginnt Grabesgrün, das Debut der irischen Autorin Tana French. Knapp am Sentimentalen vorbeischrammend, eröffnet sie ihren Krimi mit der Erinnerung an einen Sommer, den letzten Sommer der Kindheit, sonnensatt, grasgrün, überwältigend. Dann wird der gleiche Sommer noch einmal vorgetragen, diesmal wie aus einem Polizeibericht, und alles stellt sich ganz anders dar. Diese Volten wird der Roman mehrfach schlagen, und nicht immer kommt man sich als Leser dabei fair behandelt vor - aber immer gut unterhalten. Über 600 Seiten entwickelt French die Geschichte um den Mord an einem 12jährigen Mädchen. Und um den ermittelnden Detective, der an gleicher Stelle vor vielen Jahren Traumatisierendes erlebt hat und sich nicht mehr daran erinnern kann. Die Konstellation klingt nach Schwulst und Effekthascherei, aber Grabesgrün (O-Titel "In the Woods") ist jederzeit sachlich, beinahe zynisch, und hat ein unerhört trauriges Ende. In Erinnerung bleiben wird aber der Stil, die Erzählkunst der Tana French, die eine gar nicht so neue Geschichte wie in einem Atemzug erzählt. Der Autor wird auf dem Umschlag als "Meister des schwarzen Humors" angekündigt, aber wer kennt schon Zoran Zivkovic? Und wer weiß schon, wie es in einer kleinen Belgrader Buchhandlung zugeht? Vielleicht sterben da ja wirklich reihenweise Kunden, weil sie Das letzte Buch suchen? Vielleicht verliebt sich dort jeder ermittelnde Kommissar in die reizende Buchhändlerin, und schon bald haben alle den Eindruck, in längst geschriebenen Büchern zu leben? Und jeder spürt hinter der postmodernen Buch-im-Buch-Geschichte, dass der Autor eine jedenfalls stilistisch gemütliche Gegenwelt zur unübersichtlichen Gegenwart voller Geheimdienste und seltsamer Sekten entwirft? Man fühlt sich hier wie in einem Cut-Up aus Der Name der Rose und Rendezvous hinterm Ladentisch; mäßig beunruhigt, träge verwirrt und angenehm aus dem Bett gedrückt. Einfach nur reaktionärer Mist ist Hardcore Angel von Christa Faust. Die Idee, die weibliche Protagonistin gefesselt und geknebelt in einem Kofferraum ihre Geschichte entwickeln zu lassen, beschert der Story zwar einen fulminanten Einstieg. Was dann aber folgt, ist eine öde Flucht- und Rachegeschichte im Pornomilieu, wobei die Freizeit-Domina Faust dem eigentlich schillernden Hintergrund ihrer Heldin (sie leitet eine Porno-Agentur) nichts Aufregendes abzugewinnen vermag. Am Ende sind fast alle irgendwie tot (meistens auf ekelhafte Art und Weise eiskalt hingerichtet) und die Heldin haut ein paar arme rumänische Sex-Sklavinnen raus. Art und Stil erinnern an den frühen Vachss und den späten Spillane. Also nichts, was man lesen muss. Bielefeld hat die zweitbeste Mordquote Deutschlands. Von je 1000 Einwohnern kommen hier statistisch nur 0,02 illegal um. Das ist für's Leben ganz gut, für's Krimischreiben eher hinderlich. Deshalb weichen die vielen Geschichten des Sammelbandes Mord-Westfalen in den Landstrich Ostwestfalen-Lippe aus, mal gar bis nach Münster. Verleger Günther Butkus hat in fernen Städten bekannt gewordene Autoren um OWL-Beiträge gebeten (Göhre, -ky, Werremeier), einen großen Teil der lokalen Heimatkrimi-Szene dazu gewonnen (Detering, Ernst, Grosche, Horst, Niermeyer) und auch Texte von Leuten gesammelt, die bisher gar nicht kriminal auffällig wurden (Bittrich, Kühne, Opitz). Ein Autor ist schon seit 1881 tot, der jüngste wurde 1972 geboren. So wird das Krimi-Profil der als eher dröge verrufenen Provinz bunt und wenig typisch. Man kann diese Anthologie nicht zur Erforschung des angeblichen Regionalcharakters benutzen, aber als Wanderführer zu durchweg etwas seltsamen Tatorten und Motiven fern von Metropolen-Standards. Ob Donald Westlake (75) das Geld brauchte? Jedenfalls reaktivierte er nach 23 Jahren Pause sein Pseudonym Richard Stark und begann wieder, Romane über Parker, den Profi-Verbrecher zu schreiben. Es dauerte noch einmal 10 Jahre, bis der erste neue Parker-Roman ins Deutsche übersetzt wurde. In Fragen Sie den Papagei ist Parker, einfach nur Parker, keinen Tag älter geworden, auch wenn die Polizei inzwischen Handys und Datenbanken hat. Parker ist auf der Flucht nach einem Bankraub und geht dabei geradewegs über einen ganzen Landstrich voller kleinkrimineller Amateure hinweg. Mal manipuliert er sie zur Hilfe, mal räumt er sie fachmännisch und ohne Brutal-Brimborium beiseite. Westlake schreibt das völlig unspektakulär runter und leistet sich nur wenige Späße, wie etwa ein Kapitel aus der Sicht des Papageis. Parker-Fans sehen hier die Renaissance der Geradlinigkeit nach der überkomplizierten amoralischen Postmoderne. Neulinge sehen eher, dass Parker unveränderlich als Katalysator einer komplizierten Welt wirkt. Die anderen haben moralische Probleme, Parker geht einfach weiter. Fast wie in einem umgekehrten Märchen. Hobbydetektivin und Halbjapanerin Rei Shimura wird, als Verkäuferin getarnt, vom amerikanischen Geheimdienst in ein riesiges Tokioter Kaufhaus geschickt, das Bilanzfälschung im großen Stil betreibt. Sie soll Wanzen anbringen und geheime Informationen besorgen. Dem aufmerksamen Leser dürfte bereits jetzt aufgefallen sein, was an der Geschichte problematisch wird: Hobbydetektivin wird vom amerikanischen Geheimdienst angeheuert? Klingt bescheuert, ist es auch! Anstatt "Krimis" zu schreiben, hätte Autorin Sujata Massey lieber für eine Modezeitschrift arbeiten sollen, denn ihre Möchtegern-Agentin ist mehr damit beschäftigt, die Designerlabels ihrer Kleidung und die der anderen Protagonisten aufzuzählen als dass in irgendeiner Art und Weise Spannung aufgebaut wird. Neben Mode erachtet Sujata Massey scheinbar Herzschmerz für einen wichtigen Faktor von Krimis. Rei ist nämlich in ihren Vorgesetzten Michael verliebt, aber der hat nach dem Tod seiner wunderschönen jungen Gattin keine andere Frau mehr angeschaut, bis Rei in sein Leben tritt und so weiter und sofort. -aco/jh/vl/w-
Thomas Wörtche: Das Mörderische neben dem Leben Libelle, 203 S., 19,90Jean-Francois Vilar: Die Verschwundenen Aus dem Französischen von Andrea Stephani und Barbara Heber-Schärer. M.e. Nachwort von Christian v. Ditfurth. Assoziation A, Berlin / Hamburg 2008, 464 S., 24,- Michael Buback: Der zweite Tod meines Vaters Droemer Knaur, München 2008. 365 S., 19,95 R.P. Mielke: Die Varus-Legende Scherz/Fischer, Frankfurt/M. 2008. 480 S., 14,90 Michael van Rooy: Ein gewöhnlicher Verbrecher Aus dem Englischen von Wolfgang Craas. blt, Bergisch-Gladbach 2008, 318 S., 8,95 Tana French: Grabesgrün Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Scherz / S. Fischer, Frankfurt 2008, 672 S., 16,90 Zoran Zivkovic: Das letzte Buch Aus dem Serbischen von Astrid Philippsen, dtv, München 2008. 223 S. 9,95 Christa Faust: Hardcore Angel Übersetzt von Almuth Heuner. Rotbuch, Berlin 2008, 250 S., 9,90 div.: Mord-Westfalen Kriminelle Geschichten aus Ostwestfalen-Lippe. Pendragon, Bielefeld 2008. 392 S., 12,90 Richard Stark: Fragen Sie den Papagei Aus dem Amerikanischen von Dick van Gunsteren. Zsolnay, Wien 2008, 254 S., 16.90 Sujata Massey: Der Tote im Sumida Aus dem Amerikanischen von Sonja Hauser. Piper, München 2008 368 S., 12,-
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