DIE KLEINE KRIMI-RUNDSCHAU (38. Lieferung)

Das Tier in dir


und hier die vorherige-Ausgabe

"Kriminalroman" steht in beruhigenden weissen Lettern auf dem Umschlag von Amberville, gleich unter den Titel. Aber das ist gelogen. So wie die Werbung des Verlags. Der Autor Tim Davys, der in Wirklichkeit auch ganz anders heißt, hat gar nicht "den verrücktesten Krimi der Welt" geschrieben, sondern eine existentialistische Meditation über die Liebe und das Leben - unter Stofftieren. Irgendwo im Fabelland liegt Amberville. Dort wohnen Eric Bär und Emma Kaninchen scheinbar glücklich beieinander. Doch schon auf der ersten Seite hauen die Gorillas des lokalen Gangsterkönigs Napoleon Taube die Idylle in Klump. Weil Eric eine dunkle Vergangenheit hat, zwingt ihn sein Ex-Boss zu einem großen Abenteuer. Eric soll die geheime Todesliste besorgen, die gerüchteweise regelt, welches Stofftier demnächst von rätselhaften roten Pick-Ups aus dem Leben geholt werden. Außerdem soll Eric dafür sorgen, dass Napoleons Name von der Liste verschwindet. Eric heuert für seine Queste Kumpels von früher an, die Drogen nehmen, als Sadisten arbeiten oder Kulturamts-Zuschüsse manipulieren. Und Davys schiebt in seine Heldenerzählung Passagen ein, die mal nach Charles Dickens, mal nach Bret Easton Ellis, mal nach Dark Fantasy klingen. Sogar der Bär scheint ein Schwein zu sein, weil anscheinend sein Zwillingsbruder mit Emma Kaninchen verheiratet ist. Also: Dies ist definitiv kein Kriminalroman. Schon weil Stofftiere nicht sterben können. Aber sie können böse sein. Und Eric kann im Showdown mit dem fiesen Papst über die Erbsünde diskutieren, über Vorbestimmung und das bisschen Freiheit, das man trotz der Götter hat. Amberville gibt uns einen Teddy als griechischen Helden in Utopia.

Am Ende wird es eine elende (und schrecklich unlogische) Metzelei, aber am Anfang ist Closer von Donn Cortez ein durchaus gewitztes Stück Schlitzer-Krimi. Jack hat seine Familie an einen Serienkiller verloren. Eines Tages entdeckt er eine Internet-Seite, auf der sich die Jungs treffen: Serienkiller aus den USA und Kanada stellen hier ihre Beute und Trophäen aus. Und Jack beschließt, sich durch die Teilnehmer dieser Seite durchzuarbeiten. Am Ende verliert sich das Buch im Blutrausch, so wie seine Protagonisten. Aber die ersten 100 Seiten sind originell und witzig.

Israel Armstrong ist leicht übergewichtig, Vegetarier, nicht sehr gläubiger Jude und aus London. Jobbedingt ist er in die nordirische Provinz gezogen. Statt in einer schicken Londoner Wohnung lebt er in einem ehemaligen Hühnerstall. Dennoch beginnt Israel, sich mit seinem neuen Zuhause und den verschrobenen katholischen Bewohnern anzufreunden und fühlt sich sogar geehrt, als er eine fünf Schautafeln umfassende Wanderausstellung über das traditionsbewusste Kaufhaus "Dixons & Pickerings" präsentieren soll. Als er dabei ist, eben diese Ausstellung im Kaufhaus aufzubauen, gerät er in Verdacht, den Inhaber Mr. Dixon beraubt und entführt, wenn nicht sogar ermordet zu haben. Da die Provinzpolizei nicht gerade auf derartige Fälle spezialisiert und mit der Situation überfordert ist, beginnt Israel als Amateurdetektiv in eigener Sache zu ermitteln. Israel Armstrong passt in die Welt der nordirischen Provinz wie ein Papagei an den Nordpol. Ian Sansom beschreibt in So schnell wackelt kein Schaf mit dem Schwanz die Provinzler so kauzig und klischeebehaftet, dass man die irische Hausfrau mit großer Scotchterrier-Brosche vor sich sehen kann.

Gilbert Adair ist mit Und dann gab's keinen mehr endlich durch mit seiner Krimi-Oldschool-Remake-Trilogie. Weil sie Klassiker verarbeitet, spielt sie an den Reichenbach-Fällen, da wo Sherlock Holmes starb. Weil sie erzählerische Kunstgriffe vorführt, spielt sie in der nahen Zukunft und beginnt mit einem literaturkritischen Rückblick auf einen berühmten aber wenig begabten Schriftsteller. Dessen spätere Ermordung ist der Grund, Adairs uralte Serienheldin Evadne Mount zu reaktivieren, und weil das ganze Werk ein Kurs in postmoderner Verbrecherei ist, kommt auch Herr Adair in seinem eigenen Buch vor und liest eine selbstgeschriebene Holmes-Story vor. Seminare haben sicher gut damit zu tun. Leser mit einem breiten Geschmack, von Doyle bis Eco mindestens, auch.

Wie schon im Vorgänger-Roman Die Pythagoras Morde geht es in Der langsame Tod der Luciana B. eher um eine literarische Beweisführung als um einen Kriminalfall. Das kann man Guillermo Martinez gewiss nicht vorwerfen, weil er gar nicht die Absicht hat, Krimis zu schreiben. Andererseits ist gerade das Spiel mit den Genre-Konventionen das, was seine Bücher vorantreibt. Hier teilen sich zwei Schriftsteller eine Sekretärin, in vielerlei Hinsicht, was zu Mord, Totschlag und Brandstiftung führt. Und der Gewissheit, dass nichts ist, wie es aussieht. Als Novelle wär das drollig gewesen, als Roman nimmt es sich etwas zu wichtig.

Das letzte Testament ist ein Thriller um die haarsträubenden Abenteuer einer Friedensvermittlerin. Unter dem Pseudonym Sam Bourne montierte Jonathan Freedland, ehemaliger Nahost-Korrespondent des Guardian, sein Vorort- und Hinterzimmerwissen mit Spannungsklötzchen aus dem Dan Brown-Baukasten. Im geplünderten Museum von Bagdad taucht eine Tonscherbe auf, die angeblich den letzen Willen des biblischen Abraham enthält. Palästinenser, Israelis und allerlei Geheimdienste wollen die Scherbe haben, um entweder zu beweisen, wem Jerusalem wirklich gehört oder einen solchen Beweis zu verhindern. Die Heldin hat viel Stress, wird entführt, gefoppt, fast vergewaltigt, verliebt sich scheinbar in den falschen und verläuft sich fast im Second Life, weil einige Spuren nur in der Computerwelt zu finden sind. Leider ahnt man früh, was auf der Scherbe stehen wird, und schaut dann weitgehend spannungslos dem präzise klappernden Handwerk zu.

Lügenspiel von James Siegel ist einerseits recht witzig, andererseits einer der intelligentesten Thriller seit langem. Der Starreporter Tom Valle musste aus New York fliehen, weil er beim Lügen erwischt worden ist. Über 50 Storys soll Valle erfunden haben. Da kann er froh sein, dass er bei einem kalifornischen Provinzblättchen unterkommt, das ihn über Verkehrsunfälle, Geburtstage und Geschäftseröffnungen berichten lässt. Und genau bei solch einer Verkehrsunfalls-Reportage stößt Tom auf ein paar Rätsel. Und hinter den Rätseln sind weitere Seltsamkeiten. Und eines Tages steht bei ihm im Keller ein Klempner und haut ihm eins über die Rübe. Den Weg von der Provinzposse zur wirklich großen (und glaubwürdigen!) Verschwörung geht dieses Buch locker, lässig und sehr spannend. Denn Heimatgeschichte kann ein wirklich düsteres Geheimnis enthalten, über das niemand sprechen will. Außer mit einem, dem man sowieso nichts glaubt, weil er beim Lügen erwischt worden ist.

Die Briten sind ziemlich kaputt. Jedenfalls ihre Krimis. Selbst und vor allem, wenn sie in Schottland spielen. Alan Guthrie läßt in Post Mortem einen ganzen Haufen Psychopathen aufeinander los. Einer will Rache für seine tote Mutti, einer will nur sein Geld, einer will Erpressen und holt sich dabei eine gebrochene Nase, und ein Gauner hat gerade ein Postamt überfallen und leidet dazu noch unter einer multiplen Persönlichkeit. Das wird alles glatt und routiniert abgespult, ohne Umwege und Hindernisse, aber weil irgendwie alle bekloppt sind, ist uns der Ausgang eigentlich egal und alles ziemlich unspannend. Wie sowas geht, ein Roman nur mit innerlich zerstörten Helden, kann man bei Jim Thompson nachlesen. Aber den liest ja keiner mehr.

Roger Graf war bisher in Deutschland fast nur für seine ellenlange, kreuzbescheuerte Kurzhörspielserie um Phil Mahoney bekannt. Dabei schreibt er in der Schweiz seit vielen Jahren ganz normale Krimis und gerade begann er eine neue Serie in einem deutschen Verlag. Nach Die Frau am Fenster (gerade broschiert neu erschienen) ermittelt ein großes Team um den Zürcher Kommissar Damian Stauffer nun in Der Mann am Gartenzaun. Das zieht sich sehr lange hin, weil Graf einerseits jedem Ermittler ausführliche Beschreibungen und zumindest Andeutungen von Privatleben gönnt, und andererseits das einfache Procedural durch lange Einschübe anfangs unbekannter Erzählstimmen aufbläht. Und natürlich auch, weil Schweizer nun mal nicht so hektisch sind.

-aco/jh/vl/wing-
Tim Davys: Amberville Aus dem Schwedischen von Angelika Kutsch. Piper, München 2008, 383 S., 19,90
Donn Cortez: Closer Aus dem Englischen von Friedrich Pflüger, Knaur, München 2008, 399 S., 8,95
Ian Sansom: So schnell wackelt kein Schaf mit dem Schwanz - Ein Roman aus der irischen Provinz Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence, Piper, München 2008, 262 S., 12,-
Gilbert Adair: Und dann gab's keinen mehr Aus dem Englischen von Jochen Schimmang. C.H. Beck, München 2008. 272 S., 18.90
Guillermo Martinez: Der langsame Tod der Luciana B Aus dem Spanischen von Angelica Ammar, Eichborn, Frankfurt 2008, 199 S., 17,95
Sam Bourne: Das letzte Testament Aus dem Englischen von Rainer Schmidt. Scherz, Frankfurt 2008, 477 S., 10,30
James Siegel: Lügenspiel Aus dem Amerikanischen von Axel Merz, Ehrenwirt / Lübbe, Berg.-Gladbach 2008, 428 'S., 19,95
Alan Guthrie: Post Mortem Aus dem Englischen von Gerold Hens, Rotbuch, Berlin 2008, 285 S., 16,90
Robert Graf: Der Mann am Gartenzaun Pendragon, Bielefeld 2008, 416 S., 12.90 / 400 S., 19,90