DIE KLEINE KRIMI-RUNDSCHAU (37. Lieferung) Schräge Vögel und hier die vorherige-Ausgabe Polizeiarbeit in Mexiko scheint irgendwie anders zu sein. Jedenfalls erweckt Martín Solares diesen Eindruck mit Die schwarzen Minuten, wo der Ausgang des Falles nichts mit Gerechtigkeit, aber sehr viel mit politischen Beziehungen zu tun hat. Am Anfang steht die Ermordung eines Journalisten, die den ermittelnden Beamten ins Zeitungsarchiv führt, wo der Journalist nach Ausgaben aus den 70er Jahren gefragt hatte, in dem es um die Ermittlungen gegen einen Serienmörder ging, der junge Schulmädchen schändete und abschlachtete. Weil der angebliche Mörder seit Jahren und lebenslang hinter Gittern sitzt, fragt man sich, wen diese Ermittlungen heute noch stören könnten. Aus einem klassischen Setting und in unaufgeregtem Tonfall handelt Solares' Debut von einer Gesellschaft, in der die Gangster die Macht übernommen haben und Polizeiarbeit etwas ist, das vom Verbrechen zugelassen und geduldet wird. Die Spannung bezieht der Roman auch nicht aus der Lösung des Falles (wer der Täter ist, interessiert ^nicht einmal den Autor besonders), sondern aus der Antwort auf die Frage: Wer wird diese Untersuchung überleben? Und wenn, in welchem Zustand? Einer der Ermittler hat jedenfalls am Ende keine Augen mehr. Gilbert Adair schreibt eigentlich keine Krimis, sondern ernsthafte postmoderne Literatur. Weil aber sein Mord auf ffolkes Manor, ein Agatha Christie-Remake mit ironischen Rüschen und literaturtheoretischen Beiseite-Passagen, so überraschend gut ankam, zwang ihn sein Verleger zu einer Fortsetzung. In Ein stilvoller Mord in Elstree modernisiert Adair nun sein Konzept ein wenig. Die alternde Schriftstellerin Evadne Mount und ihr pensionierter Inspektor Tubshawe treffen sich 10 Jahre später wieder. Gerade ist ein fieser, dicker Filmregisseur, der stark nach Alfred Hitchcock aussieht, in seinem Haus verbrannt, aber das ist nicht der Fall. Erst über 100 Seiten später wird eine Schauspielerin vor laufender Kamera umgebracht. Aber das ist auch nicht der Fall. Es geht Adair eher darum, im gespreizten Parlando vergangener Zeiten "eherne Krimiregeln" zugleich vorzuführen und zu brechen, und die Seltsamkeiten des Films - etwa dass der Schluss meistens vor dem Anfang gedreht wird - als Kunstgriff ins Literarische zu übersetzen. Das zieht sich etwas arg, aber Francois Truffaut, der selber beinahe vorkommt, hätte es gefallen. Eine ziemlich blonde Krimisatire hatte Claudia Pineiro wohl im Sinn, als sie Ganz die Deine schrieb. Da erzählt eine offensichtlich recht beschränkte argentinische Mittelstands-Hausfrau, wie sie eines Tages entdeckte, dass ihr Gatte Ernesto wohl ein Verhältnis hat. Als gute Ehefrau will sie da kein großes Geschrei veranstalten, ist aber doch alarmiert genug, um den Ernesto heimlich zu überwachen. Während einer solchen Überwachungstour wird sie Zeugin, wie Ernesto die Geliebte aus Versehen tötet. Das ist ihr natürlich irgendwie recht, macht die Sache aber nicht leichter. Dass Ernesto nicht so dumm ist, wie seine Frau glaubt, erfahren wir erst später in diesem doppelbödigen und sehr witzigen Ehedrama, in dessen Verlauf noch mehr Leute sterben müssen. Pineiro war zweifellos weniger an einem guten Krimi gelegen als einem bösen Buch über gewisse Ehepaare. Ganz die Deine ist vor allem schwarzhumorig böse, witzig und klug geschrieben und enthält jede Menge überraschende Wendungen, die das Buch auch zu einem guten Krimi machen. Christoph Güsken schreibt seit vielen Jahren komische Krimis, die meist in einem halb recherchierten und halb an den Haaren herbeifantasierten Münster spielen. In Sensenmann lacht läßt er im ersten Kapitel zum Beispiel eine berühmte Stadtillustrierte herumliegen (stimmt), und dann den berühmten Autor Dankmar G. Rolling, der Erfinder der Millie-Kötter-Romane, sich wortwörtlich totlachen (frei erfunden). Der Serien-Detektiv Henk Voss bekommt es mit Straßenkämpfen zu tun (das autofreie Viertel gegen das fahrradfreie Nachbarviertel), mit einem Lachtherapeuten (gibt's wirklich), mit einer Mafia-Tarnorganisation, die das Antidiskriminierungsgesetz für Reiche anwenden will (gibt's vielleicht) und mit einem mittelalterlichen Manuskript, das den berühmten Witz erzählt, mit dem die englische Armee bei der Invasion die Krauts über den Haufen pointierte (gab's mal bei Monty Python). Das ist natürlich alles Quatsch, aber es macht Spaß, wenn man wenigstens die Hälfte der Anspielungen erkennt. Noch ein Blinder: Wer tötet, handelt hat Friedrich Ani seinen zweiten Band um den "Seher" genannt, den blinden Ex-Kommissar Vogel. Der Kern der Geschichte - Geiselnehmer erzählt Cop seine traurige Lebensgeschichte - ist gar nicht mal übel, wenn auch erschreckend unoriginell. Aber drum herum hat Ani seine zunehmend katholisch werdende Krimiausstattung aufgebaut (Schuld, Suff und Sühne), und die ist mit ihrem Fernsehspiel-Pathos zunehmend schwerer zu ertragen. Der Diebstahl einer Minidisk mit brisanten Informationen bringt den Londoner Strichjungen Jamal in Lebensgefahr. Hammer, eine menschliche Killermaschine, ist ihm dicht auf den Fersen und bereit alles zu tun, um die Disc zu seinem Auftraggeber zu bringen. Jamal versucht aus seiner Beute Kapital zu schlagen und gelangt dabei an einen Helfer, den Ex-Starjournalisten Joe Donovan. Seit dem mysteriösen Verschwinden seines Sohnes hat dieser sich aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen. Martyn Waites hat mit Der Gnadenthron einen Thriller voller Brutalität und Grausamkeiten geschrieben. Häufig nimmt der Erzähler die Perspektive des Gewalttäters ein, wodurch der Leser aus "erster Hand" erfährt, was in einem psychopathischen Hirn vorsichgeht. Das macht es nicht unbedingt einfacher, die Gewaltszenen des Buches zu verarbeiten. Leider bedient sich Waites ziemlich klischeehafter Eigenschaften um seine Charaktere darzustellen - Hammer etwa, der fast ununterbrochen Slipknot hört. Leider kommt kein richtiger Nervenkitzel auf, eine große Rolle spielt eher der Ekelfaktor Der dritte Band von Richard Montanari über das Ermittlerduo Kevin Byrne und Jessica Balzano ist einerseits immer noch angenehm unaufgeregt, andererseits so spannend wie seine Vorgänger. Anders als heute üblich, hat er seine Polizisten nicht mit biographischen Details überfrachtet, die der Story keinen Platz zum Atmen lassen (Detective Byrne hat gerademal eine taube Tochter, die sich fröhlich der Gebärdensprache bedient). Der Masche, dass ein Mörder ein bestimmtes "Thema" durcharbeitet (mal waren es Filme, hier sind es Märchen), ist Montanari in Lunatic treu geblieben. Trotzdem sorgt allein die Plotkonstruktion dafür, dass es bis zur letzten Seite spannend bleibt: Einen Showdown im nächtlichen Märchenpark hat man nicht oft. Und wenn der Mörder gestellt wird, klappt das Buch noch lange nicht zusammen und hält ein paar Überraschungen bereit. Die innere Logik des Täters darf man dabei so wenig hinterfragen wie man den Klappentext beachten sollte; selten war der so falsch wie hier. Nach Schau nicht zurück kriegen wir jetzt Schlaf nicht zu lange von John Harvey, ein Titel so blöd wie der andere (im Original hieß das mal "Darkness & Light"). Der pensionierte Polizist Frank Elder leidet immer noch schwer darunter, dass seine Tochter mal vergewaltigt worden ist, was Harvey als ständige Bremse benutzt, um den arg langweiligen Fall einer toten Witwe nicht zu schnell zum Ende zu bringen. Plot-technisch ist das einer dieser typischen Krimis, in denen die drei Hauptverdächtigen einander so ähnlich sind, dass es tatsächlich wurscht ist, wer's denn nun gewesen ist. Auch die Verbindung zu einem Jahrzehnte zurückliegenden Mord ist mehr als gequält. Am Ende packt Harvey noch einen vollkommen unmotivierten, sinnlosen Mord drauf, damit das alles nach Mehr aussieht. Ehrlicherweise sei angefügt, dass Harvey nicht nur in England als einer der "ganz Großen" gilt und soeben für den "Europäischen Krimiaward" vorgeschlagen wurden; was immer der auch Wert sein mag. Peter Godazgar hat eine aufsehenerregende Karriere hinter sich: In Hückelhofen gebürtig, verschlug es ihn nach Halle im fernen Osten. Dort arbeitet er als Redakteur wohl nicht genug, denn nebenbei verfasst er Comedykrimis. Deren Titel fangen alle mit "Unter" an, haben etwas abseitige Plots und lassen einen wenig talentierten Detektiv mit etwas seltsamem Ossi-Personal zusammenstoßen. Unter schrägen Vögeln handelt von perfiden Kaninchenentführern und Hobby-Satanisten. Eine Leiche gibt's auch, der Ermittler gerät in Tatverdacht, knetet traurig seine Speckrollen, dann knetet er auch weiter unten an sich rum, immer wenn er an die scharfe Zeugin denkt. Und manchmal macht er Witze über provinzielle Kleinkünstler im örtlichen Kulturzentrum. Kann man korrupt und trotzdem ein guter Polizist sein? John Burdett versucht das mit seinem thailändischen Cop Sonchai immer wieder zu beweisen. Der buddhistische Mönch handelt von käuflicher Liebe, käuflichen Roten Khmer, einem Snuff-Movie und davon, wie man trotz Erpressung, Beutelschneiderei und Folter so etwas Ähnliches wie Gerechtigkeit erreichen kann. Anfangs sieht Conchai einen Film, auf dem seine Ex-Geliebte nach gehabtem Hardcore-Verkehr ermordet wird. Und am Ende weiß er, dass alles ganz anders war. Als Plot ist Burdetts Krimi aus Bangkog eher mit der Laubsäge geschnitten, aber die einzelnen Szenen, ob im Menschengewühl einer Stadt, von der niemand so genau weiß, wie viele Einwohner sie hat, bis zu den feuchten Kellern in thailändischen/kambodschanischen Grenzstationen, diese Szenen sind allesamt gelungen und eindrucksvoll. Am Ende obsiegen Melodramatik und Sentiment, aber das macht ja nichts. Immerhin haben wir gelernt, dass man sein Karma auch dadurch reinigen kann, indem man ein Jahr in einer Zelle mit einer verwesenden Leiche verbringt. Es sind diese netten Details, die Burdetts (eigentlich aus einer kolonialistischen Perspektive heraus geschriebenen) Krimi von ähnlichen Versuchen abheben. Die Welt ist anderswo nicht besser. Nur anders. Pieke Biermann hat für ihre Krimis ein paar Preise gewonnen, aber eigentlich arbeitet sie als Journalistin in Berlin. Für den dortigen Tagesspiegel und das RBB-Inforadio produziert sie seit 2003 Kriminalreportagen, die alltägliche Verbrechen strikt aus der Sicht der Opfer schildern. Jetzt hat sie 28 davon zu dem Buch Der Asphalt unter Berlin zusammengefasst. Das liest sich, nein, eben nicht "spannender als jeder Krimi", wie die Presse gern schreibt, aber aufregender als die gewöhnliche Zeitungsmeldung oder ein Gerichtsprotokoll. Es geht um Drogeriemarkt-Angestellte, die kein Telefon kriegen, obwohl ihr Laden ständig überfallen wird. Um eine junge Türkin, deren geschiedener Mann einen "Ehrenmord" ankündigt und ausführt, ohne dass der Staat etwas dagegen tun kann. Um einen Polzeihundeführer und die Leichen, die er findet. Um jugendliche Untersuchungshäftlinge, die sich damit brüsten "unbeschulbar" zu sein. Ums wahre Leben eben, dass im Krimi viel zu selten vorkommt. Gabriella Wollenhaupt ist eigentlich für ihre freche Reporterin Maria Grappa bekannt, die seit 17 Bänden Dortmunder Lokalverbrechen in einem fiktiven "Bierstadt" aufklärt. Mit Leichentuch und Lumpengeld hat sie nun erstmals einen historischen Krimi geschrieben. Im deutschen Vormärz treibt eine Fabrikantenleiche im Fluss. Haben die Maschinen-Weber zugeschlagen, denen der Raffke den Lohn vorenthielt? Rächte sich eine Prostituierte, weil das Ekel sie als Kind in seiner Fabrik mißbrauchte? Ein moderner Polizist aus Berlin reist an, Heinrich Heine kommt aus Paris vorbei, eine schöne Jüdin verteilt erst Almosen und emanzipiert sich zur Lokalreporterin ... alles läuft ab, wie eine Schulfunksendung. Zwar wimmelt es von Klischees (dicke Bonzen, tapfere Jakobiner, herzensgute Huren), aber man lernt was dabei. Etwa, wie man 1845 den Weg einer treibenden Leiche mit einem toten Schwein nachstellt. Und wie die hungernden Weber das CSI-Experiment mundrauben. -aco/jh/thf/wing-
Martín Solares: Die schwarzen Minuten Aus dem Spanischen von Barbara Mesquita, blt, Berg.-Gladbach 2008, 494 S., 8,95Gilbert Adair: Ein stilvoller Mord in Elstree Aus dem Englischen von Jochen Schimmang. C.H. Beck, München 2007. 301 S., 18.90 / Gekürzte Lesung von Peter Franke. C.H. Beck, München 2008. 4 CDs, 19,95 Claudia Pineiro: Ganz die Deine Aus dem Spanischen von Peter Kultzen. Unionsverlag, Zürich 2008, m.E. Nachwort der Autorin. 191 S., 14,90 Christoph Güsken: Sensenmann lacht grafit, Dortmund 2008, 211 S., 8,50 Friedrich Ani: Wer tötet, handelt dtv, München 2008, 172 S., 7,95 Martyn Waites: Der Gnadenthron Aus dem Englischen von Ulrich Hoffmann, Knaur, München 2008, 470 S., 8,95 Richard Montanari: Lunatic Aus dem Amerikanischen von Karin Meddeis, Lübbe Verlag, Bergisch-Gladbach 2008, 477 S., 16,95 John Harvey: Schlaf nicht zu lange Deutsch von Sophie Kreutzfeld. dtv, München 2008, 427 S., 8,95 Peter Godazgar: Unter schrägen Vögeln grafit, Dortmund 2008, 224 S., 8,95 John Burdett: Der buddhistische Mönch Aus dem amerikanischen Englisch von Sonja Hauser. Piper, München / Zürich 2008, 398 S., 19,90 Pieke Biermann: Der Asphalt unter Berlin Pendragon, Bielefeld 2008. 256 S., 14,90 Gabriella Wollenhaupt: Leichentuch und Lumpengeld grafit, Dortmund 2008, 378 S., 11,-
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