DIE KLEINE KRIMI-RUNDSCHAU (36. Lieferung)

Juden in Alaska


und hier die vorherige-Ausgabe

Die Vereinigung jiddischer Polizisten ist einer von diesen Romanen, deren Auflösung man mit Spannung erwartet, von denen man aber eigentlich wünscht, sie würden nie aufhören. Der zweite Weltkrieg endete hier mit einer Atombombe auf Berlin. Der jüdische Staat brach 1948 sofort zusammen, als die arabischen Nachbarn Israel attackierten und die Juden ins Meer trieben. Seitdem bewohnen die überlebenden Juden einen Flecken in Alaska, von den USA vorübergehend überlassen. In zwei Monaten wird dieser "jüdische Staat" abgewickelt und fällt an Amerika zurück. Die meisten Bewohner wissen nicht, wohin sie dann gehen sollen. Vor diesem Setting spielt Michael Chabons wundersamer und wunderbarer Roman. Das ist kein politischer, sondern ein Polizeiroman in bester Chandler- und Hammett-Tradition (mit schönen Anspielungen an jeder Ecke). Der Held haust in einem verkommenen Hotel (weil er seine Frau grad verlassen hat), ein Gast wird in diesem Hotel ermordet. Neben einem kleinen Einschussloch im Hinterkopf findet man eine angebrochene Schachpartie. Eigentlich soll der Fall zu den Akten, ein toter jüdischer Junkie in einem schmuddeligen Hotel ist nicht wirklich ein Ereignis. Aber aus privaten und anderen Gründen verbeißt sich der müde Bulle in diesen Fall. Und kommt natürlich dabei einer großen Verschwörung auf die Spur, die viel mit Jerusalem und wenig mit Schach zu tun hat. Stilistisch beherrscht Chabon den etwas prätentiös melancholischen Stil der Schwarzen Serie, hat aber auch wilde Genre-Neuerer wie Jerome Charyn im Hinterkopf, wenn er etwa über eine Polizistin schreibt: "Sie hat ihr Vorhaben nie aufgegeben, die Welt erlösen zu wollen. Sie hat nur die Welt, die sie zu erlösen versucht, immer weiter verkleinert, bis sie irgendwann in den Hut eines hoffnungslosen Polizisten passte." Das Buch besitzt Stil, Witz, Intelligenz und eine klezmerartige Traurigkeit. Es haben ja eine Menge der besten Krimis der letzten Jahre in Alaska gespielt. Die Kälte scheint dem Krimi gut zu tun.

James Twining hat als Investment-Banker so viel Geld verdient, dass er sich in jungen Jahren schon als Thriller-Autor zur Ruhe setzen konnte. Der Bastei-Verlag pusht Twinings Serie um den Ex-Kunstdieb Tom Kirk ganz gewaltig mit seiner neuen Leserjury (da dürfen Internet-User vorab Leseproben mit Sternchen versehen; Twining kriegte 5) und dem Hörbuch zum Taschenbuch. Im zweiten Band, Die schwarze Sonne, verschlägt es den geläuterten kriminellen Helden nun unter anderem auf die ostwestfälische Wewelsburg und in eine Prager Synagoge. Die SS taucht wieder auf, das Bernsteinzimmer, das NS-Uran-Projekt und ein Zug voller Gold und Raub-Kunst, den das US-Militär 1945 der Wehrmacht abnahm. Erst 1999 erstritten die eigentlichen Besitzer, Nachkommen von Holocaust-Opfern, eine kleine Entschädigung vor Gericht. Bei so viel Zeitgeschichte ist die Thriller-Kolportage erlaubt.

Lucie Klassen hat in ihrem Debüt Der 13. Brief einen lustigen Romananfang hingelegt. Die 20jährige Lila wird von ihrem Vater zum Jurastudium in Bielefeld gezwungen. Sie sitzt schmollend im Zug - und fährt rebellisch einfach weiter nach Bochum. Dort wird sie Detektivassistentin, ermittelt, als Schülerin getarnt, hinter einem Selbstmord her und schwankt, über sich selber schmunzelnd, zwischen Göre und junger Frau. Unglaubwürdig aber unterhaltsam. Ein Krimi für Leute mit frechen Töchtern, die keine größeren Probleme haben als heimliches Rauchen. Oder unseriöse Foto-Angebote.

Jürgen Siegmann ist dagegen ganz bewusst in Bielefeld ausgestiegen. Nach drei Hamburg-Krimis wollte der gelernte Fotograf auch mal in seiner Heimatstadt Leichen finden. Weil darunter ausgerechnet die Tochter seines Kommissars ist, verwandelt sich die lokal kundige Ermittlung eher in ein Seelenproblem. Darf man Mädchenmörder erschießen, sind Ex-Vergewaltiger Freiwild, hat die volkszornige Bürgerwehr unsere Sympathie, auch wenn sie zu weit geht? Leider führt Siegmann seine diversen Scheintäter mit fiesen Erzähltricks ein und muss am Ende den wahren Teufel alles selbst erklären lassen. Und leider lässt Siegmann diesmal die kulinarischen Eskapaden seiner früheren Krimis weg. Dabei wäre ein Bratwursttipp für einen Regionalkrimi doch genau das Richtige.

Gemeinsam mit Ed McBain kann Joseph Wambaugh (Der müde Bulle) als der Erfinder des Polizei-Romans gelten. Eine Wache bildet das Zentrum der Erzählung, diverse drollige Begebenheiten fügen sich irgendwie zu einer großen Geschichte zusammen, und trotz aller Widrigkeiten sind alle Polizisten gute Menschen. Nachdem einer wie James Ellroy diese Bullen-Idylle vor allem in Los Angeles auseinander genommen hat, verwundert es schon, dass Wambaugh in Hollywood Station nahtlos dort weiterzumachen scheint, wo Ende der 70er das verlogene Cop-Bild im Korruptionssumpf versank. Hollywood Station liest sich so wie eine Cop-Serie von Steven Spielberg aussieht: Professionell gradlinig, immer nah an der menschlichen Natur, aber letztlich harmlos. Der große Fall um Diamantenraub, Kreditkartenbetrug und Mord klärt sich, kurz bevor die Cops der "Hollywood Division" alles aufklären, praktischerweise von selbst, in dem die Bösewichter einander erschießen. Und als dann der verdächtigen großbusigen Russin auch noch beim Verhör die Diamanten aus dem Mösenversteck purzeln (Frivolität schadet nie), können alle beruhigt nach Hause gehen. Wambaugh, der Ex-Bulle, ist immer noch kein großer Stilist. Aber genau deshalb liest man diese in ihrer Schlichtheit überwältigenden Geschichten von ihm ganz gerne.

Cornelia Reed fängt ihr Schneeweißchen und Rosenrot mit dem schönen Satz an "Es gibt Menschen, die überall glücklich sein können, ich gehöre nicht dazu." Ihre Heldin Madeline Dare stammt aus einer alten, hochnäsigen Ostküstenfamilie und schlägt sich als Kolumnistin für Buntes bei einer Kleinstadtzeitung durch. Nur zufällig stößt sie auf einen lange zurückliegenden Mädchenmord, in den möglicherweise ihr Lieblingsonkel als Jugendlicher verwickelt war. Sie ermittelt privat, es gibt neue Morde nach Märchenmotiven, und sie kriegt alles raus. Der eigentliche Reiz aber ist Reads Sprache und Figurenzeichnung. Intelligent und schnoddrig porträtiert sie amerikanische Klassenkonflikte, und Madeline Dare führt sich zuweilen auf wie Scott Fitzgerald in der Truckerkneipe.

Auch Simone Bucholz hat ihren ersten Krimi geschrieben, und so langsam fällt uns ein Muster auf. Auch in Revolverherz liegen tote Mädchen herum (hier Striptänzerinnen in Hamburg), wieder ermittelt eine Frau mit Vergangenheit (hier eine Staatsanwältin), wieder organisiert der Mörder seine Leichen nach einem Schema (hier skalpiert er), wieder gibt es eine Schießerei am Ende ... und wieder reißt die Atmosphäre alles raus. Der Fall ist eher Anlass, mit uns durch den Kiez zu ziehen und der Reisejournalistin Buchholz Gelegenheit zu geben, ihre Heimat beinahe ethnografisch zu beschreiben. Außerdem trinkt die Staatsanwältin gerne Bier und guckt sich St. Pauli-Spiele im Stadion an. Das ist ungewöhnlicher und lesenswerter als das Verbrechen, dass so ähnlich auch schon bei Derrick hätte vorkommen können.

Das Krimijahrbuch 2008 macht fast so schlimm weiter wie sein hier schon ausführlich gescholtener Vorgänger. Herausgeber und Autoren sind wieder so eklig stolz auf ihre Fachkenntnisse und Formulierungskünste, dass man die drei Gedanken dahinter glatt übersieht. Immerhin werden jetzt die internationalen Krimis vor den deutschen abgehandelt und das Hörspiel als Krimimedium kriegt ein eigenes Kapitel. Das Kino kommt aber immer noch zu kurz. Comics, Computer, Krimi-Dinner, das Internet und andere Ausdrucksformen fehlen weiter ganz. Ebenso ordentliche Brancheninfos darüber, wie's auf dem Markt aussieht und warum so viele Reihen eingestellt wurden. Wer sich in der Szene auskennt, braucht das nicht, wer sich nicht auskennt, hat nichts davon.

Der Rotbuch Verlag war ja schon Vieles: Linksradikal, hedonistisch und vor allem eine gute Adresse für Krimis. Hier konnte man Jerome Charyn lesen und den solitären Mark Timlin, hier gab's Pieke Biermann und Tony Fennelly, sogar Paco I. Taibo war hier zu finden. Heute spielt Rotbuch im Krimi-Geschäft keine rühmliche Rolle mehr. Wohl auch deswegen hat sich der Verlag in die amerikanische Krimi-Reihe "Hard Case Crime eingekauft. Was dort seit 2004 auf dem Markt ist, erscheint jetzt in Auswahl bei Rotbuch. Das heißt: Pulp-Krimis in Reinkultur (also im wesentlichen: schlecht geschrieben) werden mit neuem, schrillem Cover herausgebracht, kosten nur 9,90 und sind im Abo zu beziehen. Die ersten drei Titel von Lawrence Block, Bruen & Starr und Allan Guthrie repräsentieren das Konzept, wonach sowohl moderne Autoren als auch Klassiker in der Reihe erscheinen werden. Selbst der olle Melancholiker David Goodis wird wieder aufgelegt. Ohne Nachwort, Einführung oder anderen editorischen Schnickschnack bekommt der Genre-Liebhaber hier harte, schnelle Krimis, die ganz bestimmt keine Zeit mit Landschaftsbeschreibungen verlieren und lieber ausführlich beschreiben, wie das klingt, wenn ein Kiefer knackt; unter Einwirkung eines Baseballschlägers natürlich.

-aco/vl/wing-
Michael Chabon: Die Vereinigung jiddischer Polizisten Aus dem amerikanischen Englisch von Andrea Fischer. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2008, 422 S., 19,95
James Twining: Die schwarze Sonne Aus dem Englischen von Dietmar Schmidt. Bastei-Lübbe, Berg,-Gladbach 2008, 413 S., 8,95
Lucie Klassen: Der 13. Brief grafit, Dortmund 2008, 345 S., 9,95
Jürgen Siegmann: Am Abgrund Pendragon, Bielefeld 2008, 296 S., 9,90
Joseph Wambaugh: Hollywood Station Aus dem Englischen von Michael Kubiak, Bastei, Berg.-Gladb. 2008, 431 S., 7,95
Cornelia Reed: Schneeweißchen und Rosenrot Deutsch von Sophie Zeitz. dtv, München 2008, 428 S., 14,90
Simone Bucholz: Revolverherz Droemer Knaur, München 2008, 270 S., 14,95
Christina Bacher, Ulrich Noller, Dieter Paul Rudolph (Hrg.): Krimijahrbuch 2008 Nordpark, Wuppertal 2008, 298 S., 12,00