DIE KLEINE KRIMI-RUNDSCHAU (34. Lieferung)

Stille Wasser


und hier die vorherige-Ausgabe

Osman Engin ist ein lustiger Deutschtürke, der sich mit seiner typisch türkischen Familie schon in mehreren Büchern durch einen typisch deutschen Alltag schlawinerte. Mal feierten die Engins Weihnachten, mal fuhren sie in Urlaub, diesmal haben sie ein paar Leichen im Keller. Tote Skinheads, die im Verlauf des angeblichen Kriminalromans Tote essen keinen Döner. Don Osmans erster Fall mehrfach hin- und hergetragen, vor der Polizei versteckt oder gar dem Kommissar in den Kofferraum gelegt werden. Dabei witzelt "Don Osman" zum Steinerweichen mit Klischees herum, schändet Republikaner-Wahlplakate, organisiert eine türkisch-italienische Verlobung und verbindet humoriges Multikulti mit gar keinem Niveau. Schon dass er immer "John Wäyn" und "Colambo" schreibt ... zum Brüllen.
Andreas Hoppert ist Sozialrichter in Detmold und schreibt seit ein paar Jahren halblokale Krimis. Ostwestfalen erkennen Schauplätze und Busverbindungen wieder, Entferntere haben Spaß daran, dass jeder seiner Romane auf ganz andere Weise funktioniert. Früher hatten sie oft politische Plots (alte Nazis oder das Desaster in Bad Kleinen), heute geht es um allzumenschliche Abgründe. In Menschenraub etwa mischt sich eine aktuelle Entführung mit einer alten Leiche, die zufällig auf einem Dachboden entdeckt wird. Hopperts Dauerermittler Marc Hagen, ein eher windiger Anwalt, gerät an beide Fälle, und der Autor lässt uns oft im Unklaren darüber, von welcher Untat gerade welches Kapitel handelt. Das merkt man aber erst am Ende und ist ihm gar nicht böse um den Spannungs-Trick.
Ein neuer Thriller-Trend: Polizei-Ermittler haben neuerdings gestörte Frauen, die in die Heilanstalt gehören. Besser noch: Sie sind ganz tot, dann kann der Held tragisch trauern und hat Zeit für andere Damen. Brian Freeman hat sich in seinem Debut Doppelmord für den Krebstod entschieden. Sein Cop Jonathan Stride leidet ganz heftig unter dem Verlust seiner geliebten Cindy (wer so heißt, stirbt meistens früh...) und taumelt daher etwas desorientiert durch einen Fall von Mädchenentführung und - tja: Doppelmord. Der Stil ist ebenso nassforsch wie holprig ("Ihre blauen Augen blickten müde, und sie hatte die Haut darum herum stark geschminkt, um von den dunklen Schatten darunter abzulenken" - das hat man oft: geschwätzig und doch unpräzise). Mit einer raumgreifenden Typografie hat der Verlag das Buch auf weit über 500 Seiten aufgeblasen; das wäre in jeder Hinsicht nicht nötig gewesen.
Ursula Sternberg mag Käse, am liebsten aus Rohmilch und handimportiert von diesem schnuckeligen Hof im Elsass. Deshalb muss die Hauptfigur in Variationen der Wahrheit oder Von Liebe, Käse und anderen Dingen eine Gourmet-Reportage über französische Käsesorten schreiben und ein deutscher EU-Beamter muss sterben. Weil er an der Ausrottung kleiner lokaler Käsesorten arbeitete? Weil er seine Ehefrau um ihr Erbe betrog? Ein paar mal wechseln Motive und Ermittlungsziele, anfangs springt sogar die Zeit etwas künstelnd zwischen Tat und Vorgeschichte herum, aber dann verliebt sich die Käse-Journalistin in einen Verdächtigen und alles wird gut. Wenn man Rotschimmel mag.
Schau nicht zurück ist einer dieser braven englischen Ermittlerkrimis: Der Held ist pensioniert, hat eine mißratene Tochter und ein schlechtes Gewissen, weshalb er sich in die Ermittlungen um die Ermordung einer Kollegin einschaltet, der er vor 20 Jahren in einer dunklen Ecke mal in die Hand ejakuliert hat (doch doch, englische Krimis sind inzwischen ziemlich wild). Das läuft ab wie am Schnürchen, enthalt das rechte Maß an Spannung, Milieuschilderung und Humor (eine nackte Frau erledigt den Bösewicht schließlich, indem sie ihm mit einem Wasserkocher eins überbrät) und sorgt für drei Stunden nette Unterhaltung. Solche Bücher wie das von John Harvey liest man - und wird sich später nie wieder daran erinnern, dass man sie gelesen hat.
Kaitlyn ist ein ziemlich anrührendes Portrait eines kleinen Mädchens, das in einer sozial schwer angegriffenen Siedlung aufwächst. Kaitlyn verliert früh ihren Bruder (der vom Vater fast zu Tode geprügelt wird), erlebt ihre Mutter, die darüber nicht hinwegkommt, nur noch im HeroinRausch und muss daher früh lernen, sich durchzuschlagen, weshalb sie mit nicht mal 12 Jahren als Drogenkurier für den örtlichen Großdealer arbeitet. Kevin Lewis, der laut Klappentext ein ähnliches Schicksal erleiden musste, hat daraus knapp 100 Seiten unsentimentale Beobachtung gemacht, die beklemmend zu lesen ist. Dann aber wollte er seine Geschichte wohl irgendwie gestalten, die südamerikanische Drogenmafia tritt auf, ein Klischee türmt sich aufs andere, und Kaitlyn ist nur einer von vielen etwas voyeuristischen Neubausiedlungs-Thrillern.
Es ist nicht der große Wurf, den Manuela Martini mit ihrer Reihe um den australischen Cop Shane O'Connor geschaffen hat. Aber jeder der bislang fünf Romane ist ein solider Krimi mit gemäßigt literarischen Anflügen. In Off road steht O'Connor kurz vor der Pensionierung und der Frage, ob er vor vielen Jahren den falschen Psychopathen wegsperren ließ. Denn ein neuer Mordfall erinnert im Detail kräftig an die damaligen Verbrechen. Während O'Connor leicht zu verunsichern ist und an sich selbst zweifelt, kann seine jüngere Kollegin Tamara Thompson nicht glauben, dass ihr Chef sich geirrt hat und ermittelt weiter. Man sieht schon: Der Ansatz ist eher konservativ und bieder. Aber die solide Ausführung macht auch den fünften O'Connor-Krimi zu einer angenehmen Lektüre.
Eine sympathische Polit-Fantasie hat sich Jan Guillou ausgedacht: In Madame Terror haben die Palästinenser plötzlich ein hochmodernes russisches U-Boot zur Verfügung und wollen damit den Israelis mächtig einheizen. Guillou macht daraus keine psychologische Studie über Schuld und Sühne, er gibt sich eher als ein linker Tom Clancy zu erkennen: Mit großer Detailverliebtheit werden Waffen, Taktiken und der raue Kommando-Ton auf der Kapitänsbrücke beschrieben. Trotzdem ist Madame Terror ein bemerkenswerter Thriller (der im Original 2006 erschien), in dem "Rummy" Rumsfeld noch im Amt ist, am Ende aber wegen zuviel Krieg zurücktreten muss. Angela Merkel taucht als Sidekick der großen Politik auf und lässt bekannt geben, dass sie in unverbrüchlicher Freundschaft zu Amerika steht, aber niemals nicht einen Krieg unterstützen würde. Guillou, der wegen zu viel Geheimdienstkenntnissen in den 70ern im Knast saß, läßt seinen alten Geheimdienstspezi Carl Hamilton wieder auferstehen (nachdem der als irrer Massenmörder Mitte der 90er in einer Heilanstalt verschwunden war), und mit allen Tricks des medienhörigen Jahrhunderts führt Hamilton einen Krieg gegen Israel, den man nicht verlieren kann. Wahrscheinlich muss man alter sozialdemokratischer Schwede wie Guillou sein, um ein Buch zu schreiben, dass sich auf die Seite der Palästinenser schlägt, ohne auch nur einmal in einen falschen Zungenschlag zu verfallen. Stilistisch sind vor allem die ersten 150 Seiten des insgesamt spannenden Thrillers brillant und nahe an le Carré.
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Osman Engin: Tote essen keinen Döner. Don Osmans erster Fall dtv, München 2008, 239 S., 8,95
Andreas Hoppert: Menschenraub grafit, Dortmund 2007, 253 S., 9,50
Brian Freeman: Doppelmord Aus dem Amerikanischen von Tanja Handels, Hoffmann & Campe 2007, 543 S., 16,95
Ursula Sternberg: Variationen der Wahrheit oder Von Liebe, Käse und anderen Dingen asso, Oberhausen 2007, 303 S., 12,90
John Harvey: Schau nicht zurück Deutsch von Sophie Kreutzfeldt, dtv, München 2007, 442 S., 8,95
Kevin Lewis: Kaitlyn Deutsch von Stefanie Berger, dtv, München 2008, 431 S., 8,95
Manuela Martini: Off road Lübbe, Bergisch-Gladbach 2007, 397 S., 7,95
Jan Guillou: Madame Terror Aus dem Schwedischen von Katrin Frey, Piper, München 2007, 495 S., 19,90