DIE KLEINE KRIMI-RUNDSCHAU (33. Lieferung) Schöne Tode
und hier die vorherige-Ausgabe Eine Polit-Intrige in Triest hat sich Veit Heinichen in Totentanz ausgedacht. Bomben, Spionage, Technologie-Transfer, ein Polizeichef mit Geliebter in Kroatien und viel Lokalkolorit - das liest sich recht nett. Leider neigt Heinichen zum Schwafeln und muss seine Geschichte immer wieder durch weitschweifige Erklärungen eines allwissenden Erzählers auf die Füße stellen. Das nervt etwas. Mats Wahl schreibt Schwedenkrimis als Jugendbücher (oder umgekehrt). Die Sätze sind kürzer als in "richtigen" Krimis, Täter und Opfer sind jünger, und die Botschaften sind etwas deutlicher, aber sonst ist das Leben so grausam wie immer. In Die Rache will ein 13-jähriges Mädchen die Frau umbringen, die als Kind den Vater erschlug und mit Jugendstrafe davon kam. Nun will die für eine rechtsextreme Partei ins Parlament. Und plaudert bei der Polizei aus, dass irregeleitete Rechte einen Bombenanschlag planen. Andere Jugendliche prügeln einen griechischen Wirt ins Koma und dessen Söhne rächen sich. Kinder und Erwachsene diskutieren das Konzept der Vergeltung in Religion und Praxis, das Hitler-Attentat oder die Ermordung Marats, manchmal etwas altklug, manchmal etwas umständlich. Aber Mats Wahls Kommissar Harald Fors (Die Rache ist Band 4 der Reihe) sorgt dafür, dass aus der Schullektüre immer wieder ein richtiger Krimi wird. Wenn ein bemerkenswerter und uneitler Autor verspätet ins Deutsche übersetzt wird, darf man nicht auch noch hoffen, dass seine Romane in der richtigen Reihenfolge erscheinen: DTV macht jedenfalls das mit Iain McDowall, was SAT 1 mit Star Trek gemacht hat: in der falschen Reihenfolge veröffentlichen. Zwei Tote im Fluss ist einer von McDowalls sogenannten "Crowby"-Romanen, also Krimis, die in der fiktiven englischen Kleinstadt Crowby spielen und in deren Mittelpunkt Chief Inspector Jacobson steht. Das ist ein ungewöhnlich sachlicher Cop, der mal nicht ständig vor Melancholie vergeht und dafür Schopenhauer - ernsthaft! - als Einschlafhilfe benutzt und im ewigen Clinch mit seinem Chef liegt. Killing for England (so der schöne Originaltitel) handelt von zwei toten schwarzen Männern, die der Inspector im Fluss findet. Deren Tod deutet darauf hin, dass sich eine schlagkräftige Neonazi-Szene entwickelt hat. Das ist alles sehr sachlich, ganz schnörkellos aufgeschrieben, mit ganz leisem Humor und viel Einfühlungsvermögen für die große Figurenschar. Nur leider ist es der 4. Roman der Crowby-Reihe, weshalb einige Anspielungen ziemlich ins Leere gehen. Es wäre schön, wenn dtv die seit 2000 laufende Serie bald komplett vorlegen würde. Tannöd machte Andrea Maria Schenkel berühmt. Das schmale Debüt der Hobby-Autorin schoss auf alle Bestsellerlisten, mehrere Krimi-Preise folgten, Hörbuch und Hörspiel sind fertig, Film- und Theater-Fassungen sind in Vorbereitung. Jetzt erschien Kalteis, ihr zweites Buch. Wieder geht es um einen wirklichen Fall, wieder in Bayerns Vergangenheit, aber diesmal kennen wir den Mörder von der ersten Seite an. Da wird Johann Kalteis auf der Fallschwertmaschine hingerichtet, weil er im München der 30er Jahre mehre junge Frauen vergewaltigte, verstümmelte und ermordete. Klinisch knapp notiert Schenkel die Exekution, dann springt sie Jahre zurück und begleitet ein junges Mädchen vom Lande, das in München das bessere Leben sucht. Das Mädchen ist reine Erfindung, die Erlebnisse aber stammen aus den Akten. Schenkel montiert in künstlich schlichter Sprache belegte Frauenschicksale der Zeit zu einem absehbaren Ende. Ihre Hauptperson wird Kalteis zum Opfer fallen. Verhörprotokolle, Vermisstenanzeigen und innere Monologe durchbrechen die Chronologie. Wer schreibt denn sowas? - "Im weihnachtlichen Lichtermeer der Salita Pollaiuoli mischten sich Araber und Südamerikaner ins Gewimmel der Einheimischen. Doch wie eine unsichtbare Mauer des Misstrauens standen die unterschiedlichen Sprachen und Hautfarben zwischen den einzelnen Gruppen." Bruno Morchio mag für Kalter Wind in Genua ja anlässlich dieser Sätze einen Gedanken gehabt haben. Jetzt muss er ihn nur noch wieder finden. Zwei Jugendliche überfallen eine Schule, feuern wild um sich und einige Schüler und Lehrer sterben. Einen der Täter fasst die Polizei am Tatort, den anderen fängt sie nach dessen Aussage. Der unauffällige Schüler gesteht, und alle erwarten ein schnelles Urteil. Nur Spenser nicht, der Privatdetektiv, über den Robert B. Parker seit Jahrzehnten Romane schreibt. Nach viel Erfolg, Ruhm und einer Fernsehserie in den 80ern wurde es in Deutschland still um Parker und Spenser. Erst der kleine Bielefelder Pendragon-Verlag traute sich an Übersetzungen von Parkers Spätwerk. Gerade erschien der zweite Band (Der stille Schüler), in dem Spenser sich gewohnt knapp und frech und manchmal auch handgreiflich mit Polizisten, Eltern und Schülern anlegt. Natürlich kommt er auf die Geschichte hinter der Geschichte, und unterwegs fällt einige Kritik am Erziehungswesen ab. Das Leben ist schwer und man muss hart im Nehmen sein. Ein plattes Fazit, vielleicht, aber Spenser ist eben kein Sozialarbeiter. Wenn ein Krimi mit einem "Prolog"-Kapitel beginnt, kann man in der Regel aufhören zu lesen. Meistens verbirgt sich dahinter eine gekünstelt verdrehte Erzählweise, um die schwache Story zu verdecken. Und je brutaler und perverser die Morde im Roman begangen werden, desto phantasieloser sind im Folgenden meistens der Autor oder die Autorin. Zwei Beispiele für beide Behauptungen: Der 50/50 Killer von Steve Mosby (Droemer) und Blutbeichte von Alex Barclay (deren erster Thriller Schattenturm schon von bemerkenswerter Einfallslosigkeit war, die sie hier, in der direkten Fortsetzung, mühelos vervollkommnet). Precious Ramotswe ist wieder da. Der sechste Band (Ein Kürbis für Mma Ramotswe) mit gemächlichen Abenteuern der schwarzafrikanischen Privatdetektivin, handelt von allerlei kleinen Verbrechen in der Provinzhauptstadt Gabarone, aber vor allem davon, wie eine patente Frau mit der allmählichen Modernisierung Botswanas und den fortwährend wirksamen Traditionen umgeht. Am Anfang denkt sie über die mit dem Wohlstand zunehmende Selbstsucht nach, und wird prompt der Zechprellerei beschuldigt, weil sie aus dem Café rennt, um eine Diebin auf der anderen Straßenseite zu fangen. In der Mitte will ein Lehrling in ihrer Nebenerwerbs-Autowerkstatt den Job schmeißen, weil er eine reiche Geliebte hat. Am Ende besorgt sie ihrer Assistentin einen Ehemann, der selbst zu schüchtern für einen Antrag ist. Das ist nicht spannend, aber gemütvoll. Alexander McCall Smith hat schon zwei weitere Romane um Ramotswe geschrieben. Rick DeMarinis wird vom Verlag als "Geheimtipp" verkauft. Tatsächlich ist Kaputt in El Paso (O-Titel: Sky full of Sand) nicht uninteressant: Ein Bodybuilder mit Hirn, der als Hausmeister die Scheiße aus den Klos der Mieter pumpen muss, ist kein schlechter Anfang. Leider dreht sich die bemüht komplizierte Story etwas selbstgefällig um sich selbst. Nachdem wir begriffen haben, dass es um Drogen, Sex und Geldwäsche geht, hält uns der Ich-Erzähler eine Predigt nach der anderen. Dabei hat DeMarini nette Ideen: Eine Patchwork-Familie erdet den Helden, eine glückliche Kleinfamilie, in der Mami ihr Geld damit verdient, andere Herren anzupinkeln, verschafft ihm Lohn und Brot. Dazwischen gibt es alberne Männerfantasien und überflüssige Tote. Am Ende muss eine Frau sterben, nur weil der Autor Motivation für seinen Helden brauchte. Friedrich Ani schreibt an seinem mönchischen Kommissar Polonius Fischer weiter. Das liest sich wie ein Fortsetzungsroman für die "Hör Zu". Ständig reflektieren die Figuren ihr Leben und quasseln sich innerlich zu Tode. Und gleich im ersten Verhör muss der Ermittler kurz für ein Gebet unterbrechen: "Der Herr ist mein Hirte..." Diesen katholischen Unfug hat Ani schon im Vorgängerband betrieben. Jon Evans hat sich einen freakigen Weltenbummler als Helden gebastelt und schickt den in Blutpreis (nach Tödlicher Pfad) ins wilde Balkanien, wo er lernt, wie man Kriegsverbrecher außer Landes bringt, Kinder schmuggelt und dass das FBI ziemlich hilflos ist, wenn es um echte Schurken geht. Neben dem ungewöhnlichen Helden gefällt der unbekümmerte Erzählton Evans', der aus einem idyllischen Straßenfest im kroatischen Bosnien ruckzuck eine Situation auf Leben und Tod machen kann und die dann mit überraschendem Witz auflöst. Mit Blutpreis kann man sich darüber amüsieren, wie abgrundtief schlecht die Welt ist. Und wie einer nur aus Liebe die Kraft findet, sich mit wirklich bösen Männern anzulegen. -aco/thf/vl/w-
Veit Heinichen: Totentanz Zsolnay, Wien 2007, 316 S., 19,90 / Mats Wahl: Die Rache Aus dem Schwedischen von Angelika Kutsch. Hanser, München 2007, 285 S., 18,90 / Iain McDowall: Zwei Tote im Fluss Deutsch von Werner Löche-Lawrence. dtv, München 2007, 379 S., 9,95 / Andrea Maria Schenkel: Kalteis. Edition Nautilus, Hamburg 2007, 154 S., 12,90 / Bruno Morchio: Kalter Wind in Genua Aus dem Italienischen von Ingrid Ickler, Unionsverlag, Zürich 2007, 316 S., 19,90 / Robert B. Parker: Der stille Schüler. Aus dem Amerikanischen von Frank Böhmert. Pendragon, Bielefeld 2007, 213 S., 9,80 / Alexander McCall Smith: Ein Kürbis für Mma Ramotswe Aus dem Englischen von Michael Kubiak. Ehrenwirth/Lübbe, Bergisch Gladbach 2007, 299 S., 18,00 / Rick DeMarinis: Kaputt in El Paso Aus dem Amerikanischen von Frank Nowatzki, Angelika Müller. Nachwort von Ekkehard Knörer. Pulp Master, Berlin 2007, 352 S., 13,80 / Friedrich Ani: Hinter blinden Fenstern Zsolnay, Wien 2007, 317 S., 19,90 / Jon Evans: Blutpreis Deutsch von Bela Stern. dtv, München 2007, 479 S., 14,5
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