DIE KLEINE KRIMI-RUNDSCHAU (32. Lieferung) Wer liest, stirbt
und hier die vorherige-Ausgabe John Katzenbach schreibt dicke Psycho-Thriller mit garstigen Verbrechen und verwickelten Plots. Außerdem verzichtet er fast völlig auf das genre-übliche Aufklärungs-Personal und schildert lieber ausführlich die Gedanken und Seelenlagen seiner Figuren, Täter wie Opfer. In Das Opfer geht es um Stalking und den gebildeten Mittelstand. Eine nette Studentin hat kurz was mit einem fiesen Typen, der sich nach der Abfuhr am nächsten Morgen zu einem besessenen Verfolger entwickelt. Die Studentin leidet, ihre Familie leidet, ein Privatdetektiv verstirbt ... was immer die Opfer gegen den Stalker unternehmen, führt sie tiefer in einen Albtraum. Nur mühsam und nach langen Diskussionen ringen sich die Liberalen zu Gegenmaßnahmen weit jenseits des Erlaubten durch. Und damit der Fall nicht zu sehr nach "Das Schwein muss weg" riecht, haben sie eine Menge Schwierigkeiten mit sich selbst dabei. Mit eiskalter Klinge ist der Versuch, Hannibal Lecter nach England zu verlegen. Ein tumber Schlachter wünscht sich eine Polizistin in der Pfanne, aber erst, nachdem er sie ordentlich mariniert hat. Ed O'Connor benutzt für diese mäßig originelle Geschichte sein Personal aus vorangegangenen Romanen, und wiederum zeigt sich, dass er kein schlechter Stilist ist und eine Geschichte gut zu strukturieren weiß. Leider gibt er seinen hochkomplizierten Figuren nichts zu denken, weshalb sie weitestgehend leer auf zu vielen Buchseiten herumstehen. Natürlich benutzt Giles Blunt den Tod von Catherine, der Ehefrau des Helden John Cardinal, nur als Plotvorgabe für eine weitere seiner Geschichten um den kanadischen Ermittler. Aber er läßt sich stolze 50 Seiten Zeit, die Frau des Polizisten zu beerdigen, die Trauer zu beschreiben, die Cardinal ergriffen hat, der 30 Jahre lang alle Höhen und Tiefen seiner manisch-depressiven Frau mitgemacht und loyal ertragen und sie dennoch geliebt hat. Am Ende der ersten 50 Seiten schiebt John geistesabwesend etwas zu essen in die Mikrowelle und denkt: Catherine ist tot, warum soll ich noch etwas essen oder überhaupt weiterleben? Es ist selten im Genre, dass Tod und Trauer derart ernst genommen werden: "Man hört zu, man nickt, man stellt eine Frage. Aber ich bin nicht da. Ich bin ebenso verschwunden wie das World Trade Center. Mein Herz ist Ground Zero." Ebenfalls bemerkenswert: In Eisiges Herz gibt es einen originellen Täter, und der und dessen Motive werden bereits zur Buchmitte deutlich aufgedeckt. Trotzdem bleibt das bis zum Ende spannend. Tote von früher sind ein interessantes Sub-Genre , und sie scheinen neuerdings immer mehr zu werden. TV-Serien widmen sich Wiederaufnahmeverfahren, historische Krimis graben Leichen aller Epochen aus, und auch der Heimatkrimi hat nun seinen Cold Case: Jacques Berndorfs Der Bär erscheint erstmals als Taschenbuch. Das Original schrieb er 1999 als Auftragswerk zum 111. Jubiläum eines Eifler Mineralwasser-Brunnens. Es geht um einen Mord vor 111 Jahren: Wer erschlug den Zigeuner Tutut, warum, und wo ist der Bär hingekommen, mit dem Tutut durch die Eifel wanderte? Es gibt mangels verwertbarer Spuren viel Aktenstudium und Volksmund-Kunde, und schon bald ist der Krimi nur Vorwand, die schöne Natur heute und das karge Leben damals in der Eifel zu schildern, als viele nach Amerika auswandern wollten und einer anfing, Sprudelwasser in Tonkrügen zu vermarkten. Bei Viktor Arnar Ingólfsson sitzt der fallauslösende Tote 1973 in Haus ohne Spuren in seinem Wohnzimmer auf Island, erschossen. Schon bald bemerkt die Polizei, dass der Vater der Leiche 30 Jahre zuvor auf ganz ähnliche Weise zu Tode kam. Jetzt wird ermittelt und Tagebuch gelesen und im Island von gestern und vorgestern herumgereist, dem einzigen Land Europas, das keine Eisenbahn hat. Die Kuriosität (der einzige Schienenstrang wurde 1928 geschlossen) hat etwas mit der älteren Leiche zu tun, einem Ingenieur, der die isländische Eisenbahn wiedereröffnen wollte. In Island scheint alles mit der Geschichte zu tun zu haben, zu fast allen Figuren liefert Ingólfsson lange Biografien und Kindheitserinnerungen mit. Mit solchen Spannungsbremsen ist der "Island-Krimi" längst eine Marke geworden. Der letzte Krimi von Alicia Gimenez-Bartlett war frech, witzig, gesellschaftskritisch, böse - Samariter ohne Herz war eines der Highlights im letzten Jahr (und ist gerade als Taschenbuch erschienen). Der neue Band mit Petra Delicado heißt Das süße Lied des Todes und ist sterbenslangweilig, als wären Hauptfigur und Autorin ausgewechselt worden. 50 Seiten lang jammert die Kommissarin an ihrem Leben herum, und dann entwickelt sich recht zäh eine (zu) rührende Geschichte um rumänische Diebeskinder. Michele Giuttari war als Ermittler am Fall des "Monsters von Florenz" beteiligt. In den frühen 80ern wurden Liebespärchen ermordet und verstümmelt, die sich in den Abendstunden zum Fummeln im Auto trafen. Über die ersten Ermittlungen und die erste Verurteilung hat Giuttari bereits ein Buch geschrieben, auch als Krimi-Autor ist er inzwischen bekannt. In Das Monster von Florenz geht es um neue Ermittlungen in den 90ern, die hinter dem vermeintlichen Einzeltäter eine ganze Gruppe perverser Kerle entlarvte, die Pärchen auflauerte und ermordete. Das Buch erzählt kurz und knapp die Geschichte und enthält im Wesentlichen zusammengefasste Verhörprotokolle. Das ist nicht unspannend, aber die unsägliche Eitelkeit des Autors steht dem Fluss der Geschichte doch arg im Weg. Am Ende entdeckt er eine interessante Spur, die in eher höhere Etagen der Gesellschaft führen würde. Da wird er von seinen Vorgesetzten gebremst. Literarisch hat das Magdalene Nabb vor über 10 Jahren ("Das Ungeheuer von Florenz") verarbeitet. Diogenes hat zwei Klassiker wieder aufgelegt: Dashiell Hammetts Rote Ernte (eine Stadt in Gangsterhand) und Eric Amblers Waffenschmuggel (Anti-Terrorkampf in Malaysia). Ebenfalls neu bei Diogenes: Ross MacDonalds bedächtiger Detektiv Lew Archer in Gänsehaut. Schön. Titus Keller verdient sein Geld normalerweise als "bekannter deutscher Autor", teilt uns sein Verlag mit. Für sein Krimi-Debüt wählte er einen Tarnnamen, wohl damit er ohne Angst vor Verfolgung Aussortiert in einer Mischung aus Rotzigkeit und indirekter Rede schreiben konnte. Mehrere Leichen liegen in Berlin herum, bei allen liegen Bekenner-Zettel, die angeben, hier sei einer aussortiert worden, wegen MitFüßenTretens eines Gottesgebots. Ein ausgebrannter Bulle mit Hang zur jungen Assistentin kriegt bald heraus, dass die Serien-Killer-Story ein Fake ist, was den Fall schwieriger macht, vor allem als auch die schreibende Dreckschleuder vom örtlichen Schweineblatt hingemordet wird und die verehrte Kollegin auf einer Koks-Liste auftaucht. Das ergibt eine unterhaltsame Tour durchs wilde Berlin von Russenmafia, Techno-Opas, Drahtzieher-Türken und angeheirateten Gräfinnen, aber immerzu steht dabei Titus Keller im Weg, der lieber schreibt als zu erzählen. Mit Der Seher - Wer lebt, stirbt dreht Friedrich Ani nicht mehr das ganz große Rad und beschränkt sich auf die Arbeit der Münchner Mordkommission, wo Vater und Sohn Vogel als Ermittler einträchtig arbeiten. Während ein Mordfall und eine Erpressung aufgeklärt werden müssen, erleidet Vater Vogel einen Unfall und erblindet. Das ist brav runtererzählt und hinterlässt keine weiteren Spuren, nur Anis Vorliebe für sprechende Namen wird immer unerträglicher: Die Nachbarn der Vogels heißen Kranich, der Hausmeister heißt Klopstock, eine Zeugin (die später aus einem brennenden Haus gerettet werden wird) Feuerlein... puuuh. -aco/thf/vl/wing-
John Katzenbach: Das Opfer Aus dem Amerikanischen von Anke Kreutzer. Droemer, München 2007, 654 S., 19,90 / Ed O'Connor: Mit eiskalter Klinge Aus dem Englischen von Marion Sohns, Bastei, Bergisch-Gladb. 2007, 396 S., 7,95 / Giles Blunt: Eisiges Herz Aus dem Englischen von Charlotte Breuer, Norbert Möllemann. Droemer, München 2007, 428 S., 19,90 / Jacques Berndorf: Der Bär KBV, Hillesheim 2007, 211 S., 9,50 / Viktor Arnar Ingólfsson: Haus ohne Spuren Aus dem Isländischen von Coletta Bürling. BLT, Bergisch Gladbach 2007, 366 S., 8,95 / Alicia Gimenez-Bartlett: Das süße Lied des Todes Aus dem Spanischen von Sybille Martin, Lübbe, Berg.-Gladbach 2007, 395 S., 18,- / Michele Giuttari: Das Monster von Florenz Aus dem Italienischen von Katharina Förs und Rita Seuß. Ehrenwirt, Bergisch-Gladbach 2007, 445 S., 19,95 / Titus Keller: Aussortiert Eichborn, Frankfurt 2007, 276 S., 18,90 / Friedrich Ani: Der Seher - Wer lebt, stirbt dtv, München 2007, 222 S., 7,95
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