DIE KLEINE KRIMI-RUNDSCHAU (30. Lieferung) So gesehen...
und hier die vorherige-Ausgabe
Die drei Romane um den algerischen Kommissar Llob (Morituri, Doppelweiß und Herbst der Chimären) von Yasmina Khadra sind (bei Union) jetzt in einem Band erschienen. Vor knapp zehn Jahren gehörten sie zum brutalsten und ehrlichsten, was auf dem Belletristik-Markt in Europa über das Gemetzel in Algerien erschien. Algerien ist auf seltsame Weise aus den Nachrichten verschwunden, die drei Bücher von Khadra sind immer noch aufregende Zeitdokumente; und vor allem sehr gute Krimis Khadras Algerien-Romane verfolgten vor allem eine These: Brutalität und Selbstgerechtigkeit gehören untrennbar zusammen. Je mehr die Priester-Kaste an das eigene, gottgegebene Recht glaubt, desto unbekümmerter schickt sie ihre Kämpfer in den Tod. Und je heftiger der Staat sich attackiert fühlt, umso brutaler schlägt er zurück. Seit seiner Flucht aus Algerien lebt Mohammed Moulessehoul in Frankreich, schreibt aber, obwohl längst enttarnt, immer noch unter dem Namen seiner Frau Yasmina Khadra. Sein neuer Roman Die Attentäterin spielt in Israel und Palästina. Ein arabischer Jude, angepasst, wohlhabend, unbekümmert, muss eines Tages erfahren, dass seine Frau als Selbstmordattentäterin 17 Menschen mit in den Tod riss. Während die Araber sie dafür feiern, ist es in Israel mit seiner Karriere als Chirurg vorbei. Khadra macht daraus kein Lehrstück über Rassismus, es geht wieder darum, wie sehr Gewalt uns verändert und wie sehr sie "an sich" ein Unrecht ist. Ich "mochte mich nicht mit dem Gedanken anfreunden, Gott können seine Geschöpfe ermuntern, sich gegeneinander zu erheben und die Ausübung ihres Glaubens auf die absurde und fürchterliche Frage des Kräfteverhältnisses zu reduzieren" sagt der Chirurg über sich und seine Haltung. Die Geschichte dieses verzweifelten und wütenden Mannes wird in Die Attentäterin erzählt. Der Ich-Erzähler sucht die Verantwortlichen, den selbstgerechten Iman, den Hauptmann der Miliz, den spirituellen Kopf der Kampf-Gruppe, für die Gattin Sihem ihr Leben gab. Und so sehr wir am Anfang auf der Seite des Erzählers stehen, so nachdenklich stimmen die Antworten, die er sich bei seinen arabischen Brüdern holt. Es geht nicht darum, Gewalt zu rechtfertigen. Aber der skeptische Blick aufs Geschehen muss eben beide Seite betreffen. Das überraschende und böse Ende des Romanes zeigt, dass Khadra ein kluger Autor ist, der sich nicht mit Standard-Antworten zufrieden gibt. Berlin in naher Zukunft. Das Internet ist drahtlos und flächendeckend, der USB-Stick abgelöst durch Körpernetze, mit denen Bürger ihre Brötchen im Vorbeigehen bezahlen und mit denen Jugendliche illegal erworbene Filme und Spiele zu Tauschtreffpunkten schmuggeln. Bei einer Aktion geht etwas schief, ein Piratin wird geschnappt, ein Datenpolizist lässt sie wieder laufen, und im Handumdrehen ist ein Thriller im Gange, mit viel schön selbsterfundenem Jugend-Jargon und unklaren Frontverläufen. Werden die Hacker als Feldtester für Kontroll-Software benutzt? Erstaunlicherweise lässt Marcus Hammerschmitt alle realen Bezüge zur Hackerszene weg, weder der gute Chaos Club noch die bösen Script-Kidz kommen vor, aber die Sympathie für die Hinterhöfe ist deutlich. Ebenso das Mißtrauen gegenüber technischen Utopien, egal ob in Staats- oder Hackerhand. Mit Die kalte Legende hat Robert Littell einen traurigen und spannenden Nachkriegs-Thriller geschrieben, vielleicht den ersten, in dem der Held nicht nur CIA-Agent ist sondern auch eine echte psychische Störung hat: Er hat im Laufe seines Lebens so viele Legenden gelebt, fremde Identitäten angenommen, dass er nicht mehr weiss, wer er wirklich ist. Seine Chefin und Ausbilderin - ein granatenhartes Weib, wie es selten in einem Roman zu finden ist - fürchtet genau dies: dass der Agent sich erinnern könnte, wer er wirklich ist. Und vor allem: was ihm einst zugestoßen ist. Auf dem Weg dahin springt der klug organisierte Roman durch die Zeiten, vor allem die frühen 90er, als in Russland das kapitalistische Chaos zu schlug, stehen im Mittelpunkt. Trotzdem war der Kalte Krieg nicht die Gute Alte Zeit der Dienste, zu brutal und bewegend sind die Episoden, durch die Littell uns und seinen Held führt. Zu Beginn des Buches wird ein Mann lebendig begraben. Allein dieser starke Anfang schüttelt den Leser so durch, dass er gefesselt und willenlos der Geschichte folgt, die in ganz Europa, Russland, den USA und dem Mittelmeerraum zu Hause ist. Das Ende ist ein bißchen enttäuschend, die Liebesgeschichte etwas nervig, aber neben Le Carré schreibt im Moment niemand so kluge und gut gebaute Thriller wie Littell. Finster ist's im Bayernland, seit alters her. Andrea Maria Schenkel weiß das wohl. Damit es auch andere erfahren, hat die bei Regensburg lebende Autorin für ihr Debüt Tannöd einen realen Fall gewählt, der in ihrem Heimatdorf in den 20ern geschah. Sie verlegt ihn in die 50er. Irgendwer hat eine ganze Familie auf einem einsamen Hof abgeschlachtet. Der Leser sieht dem Mörder ohne Namen zu, wie er anschließend die Kühe melkt. Die Dorfbewohner kommen in Erzähl-Einschüben zu Wort, so als berichteten sie einem Ermittler. Auch die Mordopfer erzählen, was früher geschah. Wer es wirklich war, ist nicht wichtig, warum er es tat, wird nicht erklärt. Ohne die Auflösung auf der letzten Seite wäre Tannöd vielleicht kein Krimi mehr, aber immer noch ein Heimatroman aus bigotten Verhältnissen. Gilbert Adair war Krimilesern bisher unbekannt, und auch Mord auf ffolkes Manor wird ihm eher außerhalb des Genres hoch angerechnet werden. Es ist laut Untertitel "Eine Art Kriminalroman", dessen Witz - und Auflösung - Kenner schon beim Originaltitel ahnen: "The Act of Roger Murgatroyd". Das klingt doch sehr nach dem "Roger Ackroyd", mit dem Agatha Christie die Regeln des Whodunnit änderte, als noch keiner von Postmoderne redete. Bei Adair redet eine Abendgesellschaft Weihnachten 1935 auf ffolkes Manor, in der Gegend von Dartmoor natürlich, über Krimis, Psychoanalyse und den Mord, dem der Hausherr in einem verschlossen Zimmer zum Opfer fiel. Jeder hasste ihn, alle verdächtigen einander, der Kamin knackt, der Kommissar raucht Pfeife ... alles ist wie mit dem Lehrbuch gehäkelt. Wem die geschickte Stilübung zu langweilig ist, der freut sich über versteckte Anachronismen, wer nicht raten mag, auf welche Bücher die Salonplauderer bei ihren Ermittlungen gegen sich selber anspielen, sortiert eben selbst die Indizien, geheimnisvolle Botschaften, Grundrissskizzen und Motive. Anläßlich des Filmstarts hat Ullstein noch einmal Die schwarze Dahlie von James Ellroy aufgelegt. Der Film ist gut, aber das Buch ist besser. Bei Pulp Master erscheinen weiter die Wyatt-Romane des Australiers Garry Disher. In den 90ern lag es irgendwie in der Luft, Gangster zu Romanhelden zu machen, und es gibt schlimmere als Wyatt, den coolen guten Jungen auf der Flucht vor allem und jedem. Allerdings gibt es auch bessere Schriftsteller als Disher, zumindest als jenen Disher aus dem Jahr 94, als Port Vila Blues erstmals erschien. In Schweden gehört Mißtrauen gegen den Polizeiapparat zu den Basics der Kriminalliteratur. Besonders Polizisten trauen ihrem Laden so ziemlich alles zu. In Arne Dahls Rosenrot etwa ist sehr schnell klar, dass ein Ekel von der Ausländerpolizei beim Asylantenjagen eine Hinrichtung vorgenommen hat. Als Komplikation hatte die ermittelnde Kommissarin vor vielen Jahren was mit dem Kollegen. Aber wirklich schwierig wird's, weil der Tote Putzmann bei einem Pharma-Konzern war und weil ein weiterer Toter sich als international gesuchter Serienmörder herausstellt. Das lenkt die ermittelnde "A-Gruppe" vom einfachen Fall von Rassismus im Dienst lange ab. Natürlich ist alles viel komplizierter und es geht um ein verdrängtes Geheimnis in der Vergangenheit der Kommissarin. Im Kern ist die politische Geschichte ein privates Drama, aber am Ende läuft beim Showdown ein Fernseher: es ist der 11. September 2001, 3 Uhr nachmittags. Patricia Cornwell hat mit ihrer Pathologin Kay Scarpetta das Genre des Obduzier-Krimis fast im Alleingang erfunden. Da darf sie sich auch mal ein kleines Nebenwerk leisten wie Gefahr, das einen neuen Helden einführt. Win Garano, Sohn einer italienischen Mutter und eines schwarzen Vaters, sieht hinreissend aus und leidet darunter, von einer schönen Staatsanwältin herumkommandiert zu werden. Cornwell erholt sich vom Leichenaufschneiden und Knochenzählen, im gehetzten Präsenz jagt sie durch die Story, die als Fortsetzungsroman für die New York Times entstand. Es geht mehr um den Helden und seine wahrsagende Großmutter als um kriminalistische Arbeit. Sandra Lüpkes ist mit ihren Mordgeschichten hauptsächlich im Nordsee-Raum bekannt. In Die Wacholderteufel schickt sie ihre Kommissarin auf Schwangerschaftsurlaub ins ostwestfälische Bad Meinberg. Rund um die Externsteine und mitten zwischen kurenden Müttern rollt ein gemütlicher Touristenkrimi ab, der alberne Neo-Nazis mit Pickert und prügelnde Ehemänner mit Heimatpflege kombiniert. Kann man dem Masseur schenken, wenn man mal zur Kur in ein Sanatorium eingewiesen wird. -aco/thf/vl/wing-
Yasmina Khadra: Morituri, Doppelweiß, Herbst der Chimären Union, Zürich 2006, 12,- ISBN: 3293203779Yasmina Khadra: Die Attentäterin Aus dem Französischen von Regina Keil-Sagawe. Nagel & Kimche bei Hanser, München 2006, 270 S., 19,90 ISBN: 3312003806 Marcus Hammerschmitt: Das Herkules Projekt Sauerländer, Düsseldorf 2006, 160 S., 10,90. ISBN: 3794170431 Robert Littell: Die kalte Legende Aus dem Amerikanischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann, Scherz bei S. Fischer, Frankfurt 2006, 447 S., 19,90 ISBN: 3502100330 Andrea Maria Schenkel: Tannöd Nautilus, Hamburg 2006, 125 S., 12,90 ISBN: 3894014792 Gilbert Adair: Mord auf ffolkes Manor Aus dem Englischen von Jochen Schimmang. C.H.Beck, München 2006, 295 S., 18,90 ISBN: 3406550657 James Ellroy: Die schwarze Dahlie Ullstein, Berlin 2006, 9,- ISBN: 3548266754 Garry Disher: Port Vila Blues Aus dem Australischen von Ango Laina und Angelika Müller, Pulp Master, Berlin 2006, 280 S., 12,80 ISBN: 3927734349 Arne Dahl: Rosenrot Aus dem Schwedischen von Wolfgang Butt. Piper, München 2006, 400 S., 19,90 ISBN: 3492048099 Patricia Cornwell: Gefahr Aus dem Amerikanischen von Andrea Fischer. Hoffmann und Campe, Hamburg 2006, 159 S., 17,95 ISBN: 3455011055 Sandra Lüpkes: Die Wacholderteufel Rowohlt, Hamburg 2006, 251 S., 7,90 ISBN: 3499242125
|