DIE KLEINE KRIMIRUNDSCHAU (29. Lieferung)

Morde im Hinterland


und hier die vorherige-Ausgabe



Wo Amerika am ödesten ist, heisst es "Nebraska", "Colorado" oder "Kansas". Dort lässt Rechtsanwalt Marc Cohen seinen ersten Roman The Fractal Murders spielen (der unglaublich dumme deutsche Titel lautet Todessplitter). Der Held heisst Pepper Keane, ist Privatermittler, Ex-Anwalt, Ex-Marine und überhaupt ziemlich Ex: Gegen seine durchgehenden Depressionen liest er Heidegger und schluckt Psychopharmaka. Eines Tages beauftragt ihne eine schöne Mathematik-Professorin, im Mathematiker-Mileu zu ermitteln. Kürzlich sind da nämlich drei Geistesgröße unter seltsamen Umständen gestorben, die alle eines gemeinsam hatten: sie waren Spezialisten der fraktalen Geometrie. Cohen findet für sein Buch nicht nur einen sympathisch-schnoddrigen Tonfall, er besitzt auch den Mut, den Fall mehr als 200 Seiten lang nicht einen Millimeter in Bewegung zu setzen. Stattdessen werden Hintergründe enthüllt: Die des Helden, seiner Freunde, der toten Professoren, es wird eine Liebesgeschichte angeschoben - und dann geht alles recht schnell, und wer aufgepasst hat, kann sich die Lösung dieses klassischen WhoDunit denken. Auf dem Weg dahin amüsiert uns Cohen mit Reflexionen, Dialogen und manchmal witzigen Bemerkungen. Nur seine Hunde-Liebe ist gänzlich unerträglich. Als Pepper endlich seine Liebste ins Bett bekommt, wollen die Hunde, wie jeden Abend, gleich mit. Und natürlich hat die Geliebte nix dagegen, das Bett mit zwei schlabbernden Fellbündeln zu teilen... "der Geruch nach nassem Hund macht ein Haus erst zum Heim" . Da muss man durch.
Aus Patricia MacDonalds Romanen könnte man TV-Serien machen, in der Art von Desperate Housewifes, nur nicht so lustig. In Das Mädchen von nebenan kommt noch etwas "Jugend in der Kleinstadt" zum Gartenzaun-Drama dazu. Nina ist 14 und zum ersten Mal verliebt. Da achtet man nicht auf die dauernd streitenden Eltern, da merkt man nicht, was die älteren Brüder für Schwierigkeiten haben. Als sie vom ersten Date nach Hause kommt, kniet ihr Vater blutverschmiert über der Mutter. Ende der Kindheit und des ersten Kapitels. In der Gegenwart kommt der Vater, als Mörder verurteilt, auf Bewährung raus. Nina, die noch immer an seine Unschuld glaubt, kümmert sich um ihn, ihre Geschwister schneiden ihn. Dann ist plötzlich der Vater tot, erschossen. Klar, dass da eine komplizierte Geschichte aufgedeckt werden muss. Vernarbte Nachbarschaften reißen auf, viel Unrat kommt ans Licht. Allerlei bürgerliche Verfehlungen von Ehebruch bis Trunksucht kommen vor. Beinahe in jedem Kapitel ist ein anderer sehr verdächtig. Leider benutzt MacDonald ein paar fiese Tricks, um die Spannung zu halten und leider äußern sich die meisten Figuren arg kitschig über ihre Seelenlagen.
Ilkka Remes wird uns als neuer Star am Krimihimmel präsentiert, seine finnischen Landsleute sollen ganz verrückt sein nach seinen Thrillern. Nach einem Blick in Das Hiroshima-Tor bleibt allerdings nur rätselnde Langeweile zurück: Und sowas geht in Finland ab? Der Verzicht auf Adjektive und Psychologie und vor allem der ständige Schauplatzwechsel suggerieren, dass es hier irgendwie spannend zugehen muss. Es ist aber alles einfach nur gehetzt und einfallslos geschrieben. (Remes erscheint bei dtv premium)
Manfred Bomm schreibt "Krimis mit Lokal-Kolorit", die einerseits gern im gemütlichen Schwabenländle spielen, andererseits Groß- und Staats-Ereignisse auf die Dorf-Ebene runterholen. Diesmal ist es - tata - die Fußball-Weltmeisterschaft. Und der SC Geislingen, der Regional-Verein, bei dem ein gewisser Jürgen Klinsmann das Kicken lernte. Aus dem dicken Roman Schusslinie hat der Lokal-Kolorit-Krimi-Verlag Gmeiner als WM-Aufhupferl sein erstes Hörbuch gemacht. Auf 4 CDs liest da die Lokalradio-Sprecherin Kerstin Eckert etwas hastig vor, wie sich im Mai 2005 ein namenloser Toter im Wald zum Bundesskandal auswächst. Bomm kann sich rühmen, Klinsmann als "die Chance Deutschlands" gelobt zu haben, als die Öffentlichkeit noch mopperte.
Noch so ein Lokal-Held: Jean-Christophe Grangé (Das Imperium der Wölfe) ist in Frankreich ein kontinuierlicher Bestseller-Lieferant. Dabei leben die Romane des Ex-Reporters vorwiegend vom Mut zum Scheußlichen. Grangés Helden begehen Morde jenseits des Üblichen, schlitzen, vergewaltigen, morden sich durchs Leben, meistens getrieben von einem Kindheitstrauma in Übergröße. Das ergibt gut gezimmerte Plots, aber langweilig geschriebene Bücher. Was in Das schwarze Blut sich auf den ersten 100 Seiten an Klischees tummelt, verbrauchen gute Autoren nicht in einem ganzen Leben.
Eva Reichmann ist Österreicherin, die es wegen Liebe und Arbeit nach Bielefeld verschlagen hat. Dort läßt sie auch einen Teil ihres zweitens Romans Schönheitskorrekturen spielen. Schon um sich köstlich darüber zu beschweren, was dort als Kaffee oder Mettbrötchen durchgeht. Ansonsten gibt es einen internationalen Fall, der von einem toten Ehepaar in Südafrika über Wien bis ins Sauerland führt. Und über einen nahe an der Realität erfundenen Bauskandal zurück zur jüdischen Geschichte Bielefelds in den 30er Jahren. Unter den historischen und kulinarischen Nebenhandlungen gehen mehrere Leichen ein bisschen verloren, aber die knorrigen Kommissare aus Wien und Bielefeld halten mit ihrem gegenseitigen Unverständnis das Buch am Leben.
Sheila Quigley hat ihr Personal aus Lauf nach Hause für ihren nächsten Roman Ein Mörder in unserer Stadt einfach übernommen und entwickelt offensichtlich eine Mischung aus "Unsere kleine Stadt" und "Polizeirevier Hillstreet". Diesmal geht es um einen brutalen Frauenmörder, einen unter Verdacht geratenen Jungen vom Rummelplatz und eine Kindesentführung, alles keine besonders originellen Themen. Quigleys Stärke liegt in der Beschreibung des Milieus. Ihre Figuren sind Sozialhilfeempfänger, Hobby-Huren und Punks auf Droge. Alles bewegt sich am Rande der Legalität, manches weit daneben, und trotzdem präsentiert sie nicht einfach Bösewichter, sondern Menschen, die versuchen, das Richtige und wenn möglich sogar etwas Gutes zu tun. Dabei kommt es durchaus zu Heldentaten, die seltsam anrührend wirken. Obwohl die Ermittlungen der Polizei eine große Rolle spielen, lösen, ähnlich wie im Vorgängerband, die Bewohner des Viertels den Kindesentführungs-Fall auf eigene Faust. Den Frauenmörder, immerhin, schnappt die schöne Polizistin Lorraine Hunt persönlich. Allerdings sollte Quigley das Setting "Polizeichefin und schwarzer schöner Polizist schmachten sich an" nicht zu weit treiben. Es nervte schon im ersten Band.
Jürgen Siegmanns Tote Träumer spielt in Hamburg, und in zwei Prologen (Prolog zwei steht vor dem achten Kapitel) vor über 30 Jahren. Damals war grad RAF-Saison. Und die Musik war besser. Das findet jedenfalls Siegmanns Kommissar Schmitz, der in der Gegenwart am Anfang voller Nostalgie den Soundcheck für "Junimond" machen darf. Er singt einen Ton Steine Scherben-Song. Solche Reminiszenzen füllen den ganzen Fall. Bei Abriss-Arbeiten wird ein Toter gefunden, der mal ein gesuchter Terrorist war. Natürlich sind höchste Kreise auf undurchsichtige Weise darin verwickelt, und wie es sich im Polit-Krimi gehört, werden nebenbei ordentliche Linksalternative als Ex-V-Leute des Verfassungschutzes entlarvt.
Auch so ein Milieu-Beschreiber: Garry Disher hat mit Schnappschuss den bisher besten Roman über den melancholischen Cop Hal Challis vorgelegt. Seine Frau hatte sich (im letzten Buch) in der Gefängnispsychiatrie umgebracht, die Beziehung zu der Journalistin Tessa Kane war in die Brühe gegangen, und auch hier wird es nicht fröhlicher um den australischen Ermittler. Es geht um die Swinger-Szene der Provinz, eine tote Therapeutin (die ein echtes Luder gewesen ist) und um Kids, die ihre Rauschgiftsucht durch Einbrüche finanzieren. Alles hängt plötzlich irgendwie zusammen, und zwar nicht, weil Disher einen besonders trickreichen Plot erdacht hätte, sondern weil sich in der Provinz sowieso früher oder später alle über den Weg laufen. Das ergibt, zusammen mit den sparsamen, aber eindringlichen Beshreibungen des australischen Winters, einen wunderbar unprätentiösen Heimatroman - der halt zufällig hauptsächlich auf dem Polizeirevier spielt.
Matthias Eßling hat scheinbar sein Studium in Münster nicht so gut vertragen. Würde er sonst in seinem Debüt-Krimi Falsche Spuren das Germanistische Institut mit der Schweinepest, Arno Schmidt mit der Mafia und eine Muckibude mit allem zusammenbringen? Oder war es die Droste und das Kälbersterben? Was genau passiert ist und wer warum den toten Studenten ins Kreuzviertel gelegt hat, muss der Kommissar am Ende unglaubwürdig seitenlang zusammenfabulieren. Bis dahin bleibt aber wohl nur dabei, wer die erwähnten Straßen und Kneipen kennt. Oder ein Hühnchen mit der Germanistik zu rupfen hat
Hans-Dieter Otto hat sein Leben dem Irrtum geweiht, vor allem dem Justiz-Irrtum. »Im Namen des Irrtums« - Fehlurteile in Mordprozessen versammelt Fehlurteile, geordnet nach Ursachen: lausige Ermittlung, blutrünstige Staatsanwälte, Druck durch die Medien. Was auch geschieht, nie dürfe man das Prinzip "Im Zweifel für den Angeklagten" mißachten, schreibt Otto, nur dann sei es möglich, die schlimmsten Fehler zu verhindern. Eher süffig als analytisch geschrieben, ist das Buch eher unterhaltend als erkenntnisfördernd, zumal es die Kategorie der politischen Mordprozesse nur streift.
-aco/thf/vl/wing-
Marc Cohen: Todessplitter Aus dem amerikanischen Englisch von Gabi Reichart. Bastei Lübbe, Bergisch-Gladbach 2006, 396 S., 7,95 ISBN: 3404155432
Patricia MacDonald: Das Mädchen von nebenan Aus dem Englischen von Nina Pallandt. dtv, München 2006, 316 S., 14,50 ISBN: 3423245417
Manfred Bomm: Schusslinie Gmeiner, Meßkirch 2006, 570 S., 9,90 / 4 CD, 14,90 ISBN: 3899777018
Jean-Christophe Grangé: Das schwarze Blut Aus dem Französischen von Barbara Schaden, Ehrenwirt, Bergisch-Gladbach 2006, 541 S., 19,90 ISBN: 3431036767
Eva Reichmann: Schönheitskorrekturen Dahlemer Verlagsanstalt, Berlin 2006, 311 S., 19,00 ISBN: 3928832220
Sheila Quigley: Ein Mörder in unserer Stadt Deutsch von Monica Bachler. dtv, München 2006, 339 S., 14,50 ISBN: 3423245360
Jürgen Siegmann: Tote Träumer KBV, Hillesheim 2006, 331 S., 9,50 ISBN: 3937001735
Garry Disher: Schnappschuss Aus dem Englischen von Peter Torberg, Union, Zürich 2006, 382 S., 19,90 ISBN: 329300363X
Matthias Eßling: Falsche Spuren Jacoby Verlag, Münster 2006, 152 S., 10,- ISBN: 393643414X
Hans-Dieter Otto: »Im Namen des Irrtums« - Fehlurteile in Mordprozessen Herbig, München 2006, 399 S., 22,90 ISBN: 3776624639