DIE KLEINE KRIMI-RUNDSCHAU (27. Lieferung)
Böse jungs und hier die vorherige-Ausgabe Norbert Horst ist wieder da. Nachdem seine Leichensache neulich den Glauser-Preis für das beste Debüt kriegte, verstrickt Horst, selbst hauptberuflich Kommissar und Stress-Trainer, seinen Mit-Vierziger Helden Konstantin Kirchenberg jetzt in ein Todesmuster. Indizien deuten auf einen grausamen Mord im Wald hin, ein Täter wird am Ende gefasst, eine Leiche nie gefunden. Wichtiger als den Fall nimmt Horst die mühsame Ermittlungsarbeit, die wir durch einen konstanten, wenn auch oft abschweifenden Gedankenfluss Kirchenbergs erleben. Und noch wichtiger ist Horst und Kirchenberg das Umfeld, die Vergangenheit, das Leben ihrer Zeugen. Für Schnellzuordner: als hätte Ani -ky gelesen. Das ist höchstens so spannend wie der Polizeialltag, das ist mindestens so anstrengend, wie sich selbst beim Denken zuhören zu müssen, und das ist schon wieder ein bemerkenswerte deutscher Krimi geworden. Ein 13jähriges Mädchen wird entführt und landet nackt und gefesselt bei drei Leidensgenossinnen. Gleichzeitig findet die Polizei eine 15 Jahre lang vergrabene Leiche. Als die Mutter des entführten Mädchens von der Leiche erfährt, fällt sie in Ohnmacht. Ein ziemlich dichten Plot hat sich Sheila Quigley in Lauf nach Hause ausgedacht, der im Wesentlichen im Slum-Milieu spielt. Quigleys Bewohner einer englischen Armensiedlung haben alle eine grosse Klappe, wenig Kontakt zu den Bullen - aber sie sind keineswegs kriminell. Sie hassen Drogen und Dealer, die ihnen das eh schon harte Leben schwer machen, und verpfeifen sie gnadenlos bei den Cops. So fröhlich jenseits aller Klischees hat Quigley vor allem die Familie des entführten Mädchens gezeichnet, sieben Kinder, alle von verschiedenen Vätern, die neben den täglichen Nervereien (wer darf zuerst ins Bad?) vor allem Solidarität üben. Und die Ermittlungen teilweise selbst in die Hand nehmen. Trotzdem ist das kein Kinder- oder Jugendbuch, eher eine optimistische Sozialstudie mit zusammengebissenen Zähnen. Sherlock Holmes ist tot. Jedenfalls erzählt uns das Dr. Watson in einer Story aus Schatten über Baker Street. Und er bedauert, das Urbild des Detektivs nicht mit einem bestimmten Fall bekannt gemacht zu haben, bei dessen Aufdeckung die Logik nichts half. Im Gegeteil. Wieder mal taten sich Genre-Schreiber aus Comic (Neil Gaiman), Trek-TV (Michael Reaves), Fantasy (Barbara Hamblyn), Horror (Richard Lupoff) oder SF (Brian Stableford) zusammen, um Holmes-Geschichten in den offiziellen Kanon einzuschmuggeln. Diesmal vor dem Hintergrund des Chtuluh-Mythos von Howard Lovecraft. Amerikanische Gothic trifft englische Vernunft, dunkle Götter versuchen den Geist der Gaslight-Aufklärung. Alles sehr elegant, aber nichts für Holmes-Newbies oder Authentiker. Wenn er über seinen Cop Hal Challis schreibt, nähert Garry Disher sich dem australischen Heimatroman. In Flugrausch (der nahtlos an Drachenmann anschließt) passiert kaum etwas, das aber ununterbrochen. Ins ländliche Gefüge brechen Drogenkriminalität, Kredit-Haie und mordsüchtige Irre ein, was aber kein Grund für die Ortspolizei ist, die Nerven zu verlieren; es ist ein bißchen wie Fargo in der Wüste. Stilistisch ist das gerade, direkt, schnörkellos angelegt und gut zu lesen. Nur überraschend ist es an keiner Stelle. Wenn schon mal ein Krimi-Autor wiederentdeckt wird, muss es ja nicht gleich ein verkannter Meister sein. Trotzdem wird im Vorwort zu PJ Wolfsons Roman Bodys are Dust mächtig die Trommel geschlagen für den verstorbenen Drehbuch- und Krimi-Autor. Unter dem deutschen (und kreuzbescheuerten) Titel Geißel der Niedertracht erscheint der 1931 veröffentlichte Roman erstmals auf Deutsch. Darin wird seltsam unbeholfen und dialoglastig die Geschichte eines üblen Polizeichefs ausgebreitet, der als Ich-Erzähler seine traurige Amoralität präsentiert. Das ist ungewöhnlich, aber manchmal geht die Zeit ungerührt selbst über Ungewöhnliches hinweg. Jim Thompson zum Beispiel hat das Genre "Psychopath als Held" in ganz andere Höhen geführt. Es beginnt damit, dass einem Fisch in den Kopf geschossen wird und endet mit einem toten Elefanten. Menschliche Leichen kommen nicht vor in Der falsche Liebreiz der Erinnerung, drei Erzählungen um den Commissario Montalbano des Italieners Andrea Camilleri. Darin geht es um Sizilien, Rache, Allzumenschliches und manchmal auch Politik. Camilleri hat seine Szenerie so souverän im Griff, das jede Geschichte, wie in einer großen Soap, zum großen Sozialroman um das fiktive Städtchen Vigata beiträgt. Wie in jedem Roman gibt es auch hier eine starke Frauenrolle und viel Kulinarisches - die Ermittlungserfolge des Kommissars scheinen mehr und mehr davon abzuhängen, ob er vorher gut gegessen hat. -aco/vl/wing-
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Norbert Horst: Todesmuster Goldmann, München 2005, 283 S., 7,95 ISBN: 3442459125 Sheila Quigley: Lauf nach Hause Aus dem Englischen v. Monica Bachler, dtv, München 2005, 356S., 14,- ISBN: 3423244623 Sherlock Holmes: Schatten über Baker Street Bastei, Bergisch-Gladbach 2005, 541 S., 8,00 ISBN: 3404153871 Garry Disher: Flugrausch Aus dem Englischen von Peter Torberg, Unionsverlag, Zürich 2005, 285 S., 19,90 ISBN: 3293003524 PJ Wolfson: Geißel der Niedertracht Aus dem Amerikanischen von Conny Lönsch, Angelika Müller, Maas, Berlin 2005, 269 S., 12,- ISBN: 3929010577 Andrea Camilleri: Der falsche Liebreiz der Erinnerung Aus dem Italienischen von Christiane v. Bechtolsheim, editionLübbe, Bergisch-Gladbach 2005, 347 S., 19,90 ISBN: 378571565X |