DIE KLEINE KRIMI-RUNDSCHAU (26. Lieferung)

Weiber mit Wumm


und hier die vorherige-Ausgabe

Rita ist eine auf den ersten Blick nicht sehr helle Animier-Dame in Frankfurt und steckt mitten im Schlamassel: Zwei tote Kerle liegen bei ihr im Wäschezimmer, dahingerafft von etwas, das eigentlich nur K.O.-Tropfen sein sollten aber offensichtlich ganz anders wirkt. Rita on the run ist mal wieder ein deutscher Versuch, Spaß ins Genre zu bringen. Auf der Flucht vor Kiez-Gaunern, Russen-Mafia und der Polizei entdeckt Rita an sich ganz neue Talente. Das ist lustig. Sogar manche Formulierung hat ihren Witz. Oft aber holpert es über Stock und Stein: "Sie fuhr durch lichte Wälder, die an deutlichem Baummangel litten, so als seien all diese dünnen Stecken aus einer Baumschule ausgebrochen und versuchten, sich auf der Flucht zu Wäldern zu organisieren." - netter Gedanke, aber sprachlich voll vergeigt. Trotzdem liest sich das insgesamt recht angenehm, vor allem, weil Robert Griesbeck vorbehaltlos hinter seiner Hauptfigur steht und sie sehr elegant das ganze Männerpack austricksen lässt. Allerdings ist das Buch, das bei normaler Typographie gerade mal 100 Seiten hätte, ein bisschen teuer.

It's the singer, not the song? Nun, bei Susanne Gogas Debüt Leo Berlin ist es das Setting, nicht der Plot. Und schon gar nicht der Stil. Leo Wechsler, alleinerziehender Kommissar im Berlin der 20er Jahre, ermittelt gegen einen Durchgeknallten, der sich schon auf der ersten Seite tagebuchartig mit einem Jugendtrauma meldet. Wohl weil sich sonst kein Leser für den Fall interessierte. Fürs Drumherum aber schon: die schmuddeligen Hinterhöfe voller kleiner Leute, die nach dem verlorenen Krieg immer noch hochnäsigen Junker, die wilde Schikeria, die gerade Koks und Edelstein-Heiler entdeckt, und der traurige Polizist, der sich in eine Leihbibliothekarin verliebt. Hach, nicht gerade ein Zeitroman, aber doch eine Art Urlaubs-Postkarte von früher.

Wie immer geht es bei Manuel Vázquez Montalbán fast gar nicht um einen Krimi-Plot, sondern um Typen und Stimmungen. Laura und Catalina - Zwei Liebesgeschichten des Pepe Carvalho enthält zwei Kurzgeschichten um den Detektiv Carvalho. Einmal geht es um eine tote Frau, die Carvalho einst aus ihrem "Haustierkäfig" der Ehe befreite und die nun erschlagen in ihrer Wohnung liegt. In der zweiten Geschichte liegt ein 40jähriger Alt-Rocker tot im Müllcontainer, was einerseits natürlich Ermittlungen erfordert, andererseits die Frage aufwirft, warum Rockmusik niemals zur Revolution führt. Die Oberflächlichkeit, mit der Vázquez Montalbán durch den Plot hetzt, ist beinahe arrogant. Die Tiefe der Gedanken, die er dabei absondert, beinahe pathetisch. Erst die durchgehende Melancholie fügt beides nahtlos zusammen.
Der Marlowe Code ist das Debüt der echten Renaissance-Expertin und Wirtschafts-Detektivin Leslie Silbert. Die schickt ihre Heldin Kate Morgan in ein 400 Jahre langes Abenteuer, als hätte Umberto Eco eine Tochter mit der Alias-TV-Agentin. Ein verschwundenes Manuskript aus Shakespeares Tagen hat irgendetwas mit heutigen Geheimdienst-Operationen im Irak zu tun, der Vater hat ein Geheimnis, der Lover hat ein anderes, jeder betrügt jeden, und der raufende Dichter Thomas Marlowe erfindet 1593 Spionage-Taktiken. Das lässt man sich gerne in der gegenüber dem Buch auf 460 Min. gekürzten aber dafür inszenierten Lesefassung von Nina Hoger und Stephan Benson erzählen.

Sarkastische und emanzipierte Ermittlerinnen gibt es viele, aber keine ist so klug und grimmig wie Petra Delicado, eine Erfindung der Spanierin Alicia Giménez-Bartlett. In Samariter ohne Herz geht es um einen toten Bettler, der seltsamer Weise erschossen und dazu noch erschlagen wurde. Im Zuge der Ermittlungen lernt Petra Delicado einen Mann kennen, in den sie sich nicht gerade verliebt, der ihr aber schmeichelt, sie begehrt und sehr bald mit ihr zusammenziehen will. Deshalb geht es hier nicht nur um Morde im Bettler-Milieu Barcelonas, sondern auch um die Vorstellung von Glück. Nach zwei Scheidungen und inzwischen über 40, überlegt Senora Delicado, was eigentlich aus ihr zu werden droht, eine Frau nämlich, die alt, enttäuscht und verbittert ihren Job abreisst, weil die Jahre einfach über sie hinweggegangen sind, weil man älter wird und sieht, wie immer Jüngere nachwachsen. Und dass man seine Träume vergessen hat, weil man mit den Schmerzen sonst nicht leben könnte: "Die Männer sind eine Katastrophe in letzter Zeit. Wenn einer nicht seine Frustrationen loswerden will, muss er mit seinen Eroberungen öffentlich angeben, oder er will dich zu seiner Mutter machen oder deinen Vater spielen... Nein, der Mann als guter Partner ist eine Erinnerung an andere Zeiten." Dennoch stellt sie fest, dass sie "kaum ein Tier so interessiert wie der Mann - ausser dem Kolibri". Wie sie ihre persönlichen Probleme sehr kess und sehr souverän löst - das ist viel schöner als die etwas holperige Plot-Auflösung.
Friedrich Ani schreibt ziemlich dünne Bücher. Voller kurzer Sätze. In denen man sich dann doch meist länger aufhält als bei den Krimi-Kollegen. Tabor Süden ist sein Kommissar auf der Münchner Vermisstenstelle, und in Süden und der Mann im langen schwarzen Mantel quittiert er den Dienst. Wohl weil ihm vorher eine Reise in die eigene Vergangenheit (Mutters Grab, Vaters Verschwinden, früher, die erste eigene Party) gründlich schief ging. Oder einfach, weil er beim aktuellen Fall "das bezahlte Scheitern so satt hat". Friedrich Ani schreibt über kleine Leute, oder über das Kleine in den Leuten. Wer wen warum umbrachte, ist da schon egal. Auch deshalb kündigt er wohl. Ob er nach 10 "Süden"-Büchern noch mal eines schreiben wird?

Jean Abel ist ein Anwalt im Fernsehen (Ein Fall für Abel), Fred Breinersdorfer ist Anwalt im wirklichen Leben. Und Autor. Von 15 "Tatort"-Krimis, 7 "Abel"-Romanen und zuletzt dem Kinofilm "Sophie Scholl". Der Bielefelder Pendragon-Verlag bringt die Abel-Bücher neu und wesentlich überarbeitet, allerdings nicht in der richtigen Chronologie heraus. Noch Zweifel, Herr Verteidiger? ist der 2. neue bei Pendragon, der 4. Original-Abel, und der 1. mit einem Nachwort des Autors: wie er zum Schreiben kam, wie Abel geboren wurde, wie junge Rechtsanwälte so drauf sind. Auch der Bearbeitung merkt man noch den Früh-80er Furor an, für Gerechtigkeit zu streiten - aber leider nicht den Zynismus, den einer wie Abel längst hätte entwickeln müssen, wäre er nicht so gut beim TV untergekommen.
Martina Cole schreibt Trivialromane knapp an der Schmerzgrenze. Aber sie kann gut Geschichten erzählen. Das Gesicht (im Original mal wieder schöner und treffender: The Know) spielt im eher ärmlichen Huren- und Gangstermilieu Londons, es gibt nur Elend, Gewalt und billigen Sex. Eines Tages verschwindet ein 11jähriges Mädchen, und plötzlich fühlt sich ein ganzes Stadtviertel, wo sonst jeder gegen jeden kämpft, an der Ehre gepackt und ermittelt auf eigene Faust: Skins neben Punks, Gauner neben Polizisten. Es gibt keine strahlenden Helden in diesem Buch, aber auch keine Sozialarbeiter-Wehleidigkeit, nur toughe Typen und harte Huren, die versuchen, sich einen Rest an Moralität zu bewahren. Psychologisch ist das eher dürftig beschrieben, als Blick auf ein Milieu unterhaltsam.

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Robert Griesbeck: Rita on the Run Europa, Leipzig 2005, 187S., 17,90 ISBN: 3203775018 / Susanne Goga: Leo Berlin dtv, München 2005, 279 S., 14,00 ISBN: 3423244682 / Manuel Vázquez Montalbán: Laura und Catalina - Zwei Liebesgeschichten des Pepe Carvalho Wagenbach, Berlin 2005, 113 S., 13,90 ISBN: 380311229X / Leslie Silbert: Der Marlowe Code Übersetzt von Klaus Berr. Random House Audio, München 2005, 6 CDs, 24,95 ISBN: 3898309479 / Alicia Giménez-Bartlett: Samariter ohne Herz Aus dem Spanischen von Sybille Martin, editionLübbe, Bergisch-Gladbach 2005, 413 S., 18,- ISBN: 3785715552 / Friedrich Ani: Süden und der Mann im langen schwarzen Mantel Droemer Knaur. München 2005, 187 S., 7,95 ISBN: 3426623897 / Fred Breinersdorfer: Noch Zweifel, Herr Verteidiger? Pendragon, Bielefeld 2005, 199 S., 9,90 ISBN: 3865320104 / Martina Cole: Das Gesicht Aus dem Englischen von Anja Schünemann, Heyne, München 2005, 528 S., 10,- ISBN: 345343028X