DIE KLEINE KRIMI-RUNDSCHAU (25. Lieferung)

Eiskalte Kerle


und hier die vorherige-Ausgabe

ALASKA (1)

Wenn man Blutiges Eis von Giles Blunt gelesen hat, weiß man, wie treffend und poetisch "The Delicate Storm" als Original-Titel war (gibt es irgendwo eine geschlossene Anstalt, wo sich deutsche Verlage deutsche Buchtitel ausdenken lassen? - viele klingen jedenfalls so, als kämen sie aus ein und derselben Deppen-Quelle). Die Handlung spielt wieder im nördlichen Kanada, wieder ist Detective John Cardinal die Hauptfigur. Und besser als im Vorgänger-Roman hält Blunt hier die Schwebe zwischen Komik und Krimi, Blut und Politik. Dabei hat er alles sparsam dosiert, Blutiges Eis ist ein eher realistischer, leiser Krimi, in dessen Mittelpunkt ein langes, anrührendes Geständnis einer alten Dame im letzten Drittel des Romans steht. Es geht um einen Toten im Wald, aber auch um Kanada in den 70ern, um Terror und CIA, offene Rechnungen und Korpsgeist bei den Cops. Die Leiche im Wald führt schließlich 30 Jahre zurück und mitten in eine finstere Phase der Trudeau-Epoche, als Kanada seinen eigenen "home security act" durchsetzte. Wie Blunt im Verlauf der Story von einem einfachen Provinzmord in die große Politik rüberlangt, ist ungewöhnlich souverän.

ELEGANT

Was "Der dünne Mann" fürs Kino war, das ist Philip Odell fürs Radio. Jedenfalls in Deutschland. Die Dame im Nebel von Lester Powell wurde 1956 vom Saarländischen Rundfunk als Hörspiel aufgenommen, 10 Jahre nach dem englischen Original. Die ganze Serie um den smarten Ex-Geheimdienstler Philip Odell, der nur zum Damen-Beeindrucken Privatdetektiv wird, wurde seit dem immer wieder irgendwo gesendet. Jetzt übernimmt der Hörverlag den Durbridge für die mittleren Stände. Hier reden sich Verabredungen noch mit "Sie" an, hier gelten Männer Mitte 30 noch als "jung", hier wird bei jeder Gelegenheit erstmal eine geraucht ... die Fälle sind beinahe elegant und die Dialoge stellenweise sogar witzig. Das beste: sie sind nicht zu lang. Vier CDs reichen für einen Whodunnit mit schnell wechselnden Hauptverdächtigen durchaus.

LOKALE MORDE

Seit kurzem wird man schier erschlagen von "Themen-Krimis mit Lokal-Kolorit". Diese Marke soll den Gmeiner Verlag aus der etwas angestaubten deutschen Lokalkrimi-Ecke bringen. Und in die weite Welt hinaus. Beim Nashorn-Fieber gar von Tübingen nach Kenia. Eine vermeintliche Sexualstraftat hängt mit der Großwilderei zusammen, die Ermittler müssen sich gegen Krokodile wehren, und im Grunde bringt Edi Graf nur Leute um, um einen Anlass für seine dem vom Aussterben bedrohten Schwarzen Nashorn gewidmete Afro-Dia-Show zu haben. Manfred Bomm lappt in Trugschluss mehr ins Thriller-Genre: rund um die Jubiläumsfeierlichkeiten in Einsteins Geburtsstadt Ulm türmen sich Leichen, die immer in der Nähe militärischer Anlagen vom Blitz getroffen werden. Allerlei Geheimdienste mischen mit, der Irak-Krieg sollte eine Geheimwaffe ausschalten, deren Existenz niemand zugeben mag ... Akte X auf schwäbisch, durchaus interessant.

JAPAN

Ein Haus wird versetzt: weil eine breitere Straße gebaut wird, muss ein Frauenwohnheim um vier Meter versetzt werden. Nach dem Krieg gebaut und eröffnet, um alleinstehenden Frauen ein unverdächtiges Heim zu geben (bewacht von Pförtnerinnen, die auf Ehre und Sittlichkeit achten), ist das Haus in den 60ern nurmehr ein Palast der verlorenen Träume. Aus den jungen Frauen mit hochfliegenden Träumen sind einsame Damen, böse alte Jungfern geworden. Es geht buchstäblich um Leichen im Keller, die jetzt, wegen der Bauarbeiten, ans Tageslicht kommen in Masako Togawas brillantem Psychothriller Der Hauptschlüssel. Aus wechselnder Perspektive werden Intrigen, Tränen und Morde beschrieben; allein der geniale Aufbau des Romans rechtfertigte diese Neuauflage.

AFRIKA

Mma Ramotswe ist die erste schwarze Privatdetektivin Afrikas, allerdings im dritten Buch von Alexander McCall Smith: Ein Koch für Mma Ramotswe endgültig nicht mehr die einzige. Ihre Assistentin kriegt jetzt mehr Raum, überzeugt aber vor allem in der Reorganisation einer Autowerkstatt. Und die Geschichte überzeugt besonders da, wo sie nicht mal mehr vorgibt, ein Krimi zu sein. Es gibt am Ende überhaupt kein Verbrechen, aber wieder schön volkstümlich gehaltene Überlegungen zur Moral im Nach-Kolonialismus, speziell in Botswana und der Kalahari. Man muss Dienstboten halten, von was sollen die sonst leben? Man soll lieber arbeiten als faulenzen, weil fahrende Autos allen mehr nützen. Eine altmodische, langsame Völkerkunde-Story voller Respekt vor den wirklichen Menschen und voller bodenständiger Skepsis gegenüber Wohlfahrtsverbänden und allen Ideologien. Der vierte Band wird gerade für die Hardcover-Ausgabe übersetzt.

ALASKA (2)

Manches bleibt in unserer Warteschleife hängen (es gibt einfach zu viele Krimis). Zum Beispiel Stan Jones' Schnee-Thriller Schamanenpass, erschienen im Juli 2004, eine weitere Geschichte um den sarkastisch-melancholischen Eskimo-Cop Nathan Active. Und wieder geht es einerseits um Traditionen, Legenden der Altvorderen, andererseits um die Landschaften Alaskas, die Jones nicht müde wird zu beschreiben.

AUSTRALIEN (1)

Mitten auf einem australischen Highway, im absoluten Niemandsland steht ein kleiner Junge und hat das Gedächtnis verloren. Es dauert lange, bis Inspektor Shane O'Connors begreift, dass der kleine Junge was mit dem Mord zu tun hat, den er gerade untersucht: die Leiche einer junge Frau wurde im Wüstensand gefunden. Und es ist nicht die erste Tote in dieser trocken-heissen Provinzgegend um Brisbane... Dead End heißt der dritte Roman um O'Connor, den die deutsche Wahlaustralierin Manuela Martini sich ausgedacht hat. Neben einer gut geführten Figuren-Psychologie hat es Martini vor allem die australische Landschaft angetan. Wenn man diesen überaus spannenden Pageturner durch hat, braucht man erst mal ein großes Glas kaltes Wasser.

MATTE MORDE

Seit Sakrileg ist der Mann heiss, weshalb jetzt auch ältere Thriller von Dan Brown aufgelegt werden. Diabolus aus dem Jahr 1998 (und keinesfalls "Der neue Bestseller", wie der Rückentext wohl bewusst irreführend behauptet) ist ein solider Computer-Thriller mit absehbarem Ende, gutem Aufbau, schlichtem Stil und manchmal puberär-erotischen Fantasien. Es geht um einen Verschlüsselungscode, der angeblich nicht zu knacken ist und deshalb dem US-Geheimdienst NSA Sorgen bereitet. Deshalb laufen die Rechner heiss, ein Professor jagt in Spanien einem Fingerring hinterher, der angeblich den Knack-Code enthält, und die Chef-Kryptologin hat nicht nur schöne Beine sondern auch Köpfchen. Weshalb sie dann so lange braucht, um das End-Rätsel zu lösen (jeder halbwegs wache Leser ist da drei Buchseiten schneller als sie), ist eine der vielen inneren Schwächen eines durchschnittlichen, manchmal etwas ermüdenen Thrillers.

MATHE-MORDE

Die Idee, Morde nach einem logischen Prinzip anzuordnen, ist nicht neu. Sympathischerweise versucht Guillermo Martínez auch gar nicht, seine Novelle Die Pythagoras-Morde als originell zu verkaufen. Geradezu provozierend langsam und durchgehend unaufgeregt berichtet ein argentinischer Mathematiker, zu Gast in Oxford, von einer seltsamen Mord-Serie, die er an der Seite eines berühmten Logik-Professors erlebt. Nebenbei kommen vor: die Pythagoräer, Gödel, Fermat, Ockham, Wittgenstein... es wird einiges fürs Hirn und die Allgemeinbildung geboten (was der Verlag in einem kurzen Anhang gut, wenn auch zu knapp erläutert). Und am Ende geht es weniger um die Morde als um Logik. Und darum, dass wir nichts wissen. Das ist für einen Krimi immer eine gute Ausgangsbasis.

KNARZIG

Dies ist ein Scherz, eine "Gauner"-Parodie aus der Frühzeit der Republik. Über 50 Folgen der Revolver-Groteske Dickie Dick Dickens produzierte der Bayerische Rundfunk ab 1957, jetzt liegt die dritte Sammlung als Hörbuch vor. Dickie, erst Taschendieb, dann Super-Mobster im Chicago der 30er, wird als verdienter Ganove im Ruhestand gefeiert und erinnert sich, wie er mal in die Revolutionswirren in Canastanica geriet. Die deutschen Autoren Rolf und Alexandra Becker legen eine überschäumende Tour-de-Force vor, bei der knarzige Stimmen (Carl Heinz Schroth) und allerlei Bildungsbürgerverhaue eine wunderbare, literarisch durchaus wertvolle Atmosphäre machen. Bloß nicht im Auto hören, man fährt dabei garantiert giggelnd in den Graben.

AUSTRALIEN (2)

Die Krimis aus dem Zebu-Verlag haben eines gemein: einen schlecht platzierten Satzspiegel, der viel zu nah am Bund liegt, was das Lesen schwierig macht. Kanguroad Movie des jüngst verstorbenen A.D.G. (das ist Alain Fournier) hat zudem den Makel, ein bisschen zu lang zu sein. Ansonsten ist die Stimmung im australischen Outback gut getroffen, der Ich-Erzähler, ein tougher, aber eigentlich knuffiger Ex-Soldat, der jetzt Zäune repariert, tobt durch eine ziemlich wahnsinnige Mordgeschichte, begleitet von einem Aborigine, der viel mehr drauf hat als es scheint, und einer schweizerischen Naturschützerin, deren Brüste etwas zu oft betont werden. Weil der lakonische Stil und die gut getroffenen Typen über manche Schwächen hinweghelfen, merkt man gar nicht, dass der eigentliche Plot erst nach 200 Seiten beginnt. Der handelt von geschmuggelten Sittichen, Uranminen und Geheimagenten und wird routiniert und mit den üblichen Gewaltanteilen abgewickelt. Die vielen Fußnoten der ansonsten guten Übersetzerinnen stören bisweilen und wirken manchmal etwas vorlaut.

INDIEN

Bollywood, die indische Filmindustrie in Bombay, erzeugt seit Jahrzehnten mehr Filme und erreicht im Lande mehr Publikum als Hollywood weltweit. Schon Mitte der 70er schrieb der englische Autor H.R.F. Keating darüber seinen Serien-Krimi Inspector Gothe geht nach Bollywood. Für die metro-Reihe des Unionsverlags wurde die alte Übersetzung gerade renoviert neu aufgelegt: ein kleiner Beamter stolpert staunend durch die Traum-Manufaktur, macht alles falsch und findet doch den Täter, der den berühmtesten Film-Schurken seiner Zeit mit dem Scheinwerfer erschlug. Wenn auch versehentlich. Die etwa 20 Gothe-Romane spiegeln durchweg Agatha Christie in die Kolonial-Gebiete, für einen Ethno-Krimi ist Keating viel zu distinguiert, mit Sozio-Ökonomie hat der Altmeister nichts am Hut, aber er verrät sein längst untergegangenes Indien auch nicht an den schieren Tourismus.

-aco/thf/vl/wing-

Giles Blunt: Blutiges Eis Aus dem Amerikanischen von Anke Kreutzer. Droemer, München 2005, 397 S., 19,90 ISBN: 342619662X
Lester Powell: Die Dame im Nebel Aus dem Englischen von Marianne de Barde. Hörverlag, München 2005, 4 CDs, 24,95 ISBN: 3899404998
Edi Graf: Nashornfieber Gmeiner, Meßkirch 2005, 375 S., 9,90 ISBN: 3899776348
Manfred Bomm: Trugschluss Gmeiner: Meßkirch 2005, 419 S., 9,90 ISBN: 3899776321
Masako Togawa: Der Hauptschlüssel Aus dem Englischen von Helma Giannone, Reihe metro bei Union, Zürich 2004, 156 S., 8,90 ISBN: 3293202926
Alexander McCall Smith: Ein Koch für Mma Ramotswe Aus dem Englischen von Gerda Bean. Bastei Lübbe, Bergisch Gladbach 2005, 237 S., 7.90 ISBN: 3404152638
Stan Jones: Schamanenpass Aus dem Englischen von Peter Friedrich, Union, Zürich 2004, 285 S., 19,90 ISBN: 3293003400
Manuela Martini: Dead End Bastei, Bergisch Gladbach 2004, 431 S., 7,90 ISBN: 3404152441
Dan Brown: Diabolus Aus dem Amerikanischen von Peter A. Schmidt. Lübbe, Bergisch-Gladbach 2005, 542 S., 19,90 ISBN: 3785721943
Guillermo Martínez: Die Pythagoras-Morde Aus dem Spanischen von Angelica Ammar. Eichborn, Frankfurt 2005, 205 S., 17,90 ISBN: 3821809507
Rolf und Alexandra Becker: Dickie Dick Dickens, der Revolutionsheld Hörverlag, München 2005, 6 CDs, 34,95 ISBN: 3899404270
A.D.G.: Kanguroad Movie Aus dem Französischen von Ute Goridis und Nicole Gabriel. Zebu, Frankfurt 2004, 358 S., 14,80 ISBN: 3937663045
H.R.F. Keating: Inspector Gothe geht nach Bollywood Aus dem Englischen von Edda Janus. reihe metro, Union, Zürich, 2005, 204 S., 9,90 ISBN: 329320323X