DIE KLEINE KRIMI-RUNDSCHAU (22. Lieferung)

Dem Täter auf der Spur


und hier die vorherige-Ausgabe



Jamyang Norbu ist Tibeter, Sherlock Holmes- und Kipling-Fan. Um die erfundene Figur "Holmes" machen sich Feingeister ja immer noch ein Vergnügen und "entdecken" verschollene Fälle. Umgekehrt stehen hinter Kiplings Romanfiguren, sagt Norbu, mehr echte Personen als man denkt. Eine davon, der Meisterspion aus Kim, reist in Das Mandala des Dalai Lama um 1893 mit Sherlock Holmes durch Tibet und gerät in ein Abenteuer mit viel intertextuellem Augenbrauenheben und noch mehr tibetischer Mystik. Bis am Ende der heutige Autor in einem tibetischen Kloster im indischen Exil einen Mönch findet, der sich als Reinkarnation von Holmes erweist. Ein Wörterbuch und Adressen von Tibet-Unterstützungsgruppen ergänzen den gebildeten Schmöker.


Der Fengshui-Detektiv und der Geistheiler ist, nach der Story-Sammlung Der Fengshui-Detektiv, fast ein richtiger Roman von Nury Vittachi, der seinerseits ein ceylonesischer Inder mit irischer Frau und Zeitungskolumne in Hongkong ist. Und C. F. Wong ist sein Prophet. Der betreibt ernsthaft Wohnraumberatung mit Amuletten, klärt aber auch Verbrechen unter Verwendung von Mini-Disk-Playern auf. Dabei hilft seine australische Praktikanten-Göre Jo, womit Ost und West, frech und weise, traditionell und trendy aufs Vergnüglichste beisammen sind. Und ein malaiischer Geistheiler, die chinesische Mafia und das Opernhaus in Sidney; der Ort mit dem schlechtesten Fengshui der Welt. "Die Götter", notiert Herr Wong am Ende, "wirken immer durch die Hände der Menschen." Soviel Weisheit muss sein, auch wenn sich Vittachi gern über die Melange aus Moderne und Mystik lustig macht, die etwa im Verband der Berufgszauberer von Singapur zu komischen und kriminellen Verwicklungen führt.


Als Krimi ist Was Gott nicht sah eine ziemliche Pleite. Der schwedischen Autorin Helena von Zweigbergk gelingt es nicht, das richtige Tempo in den Plot zu bekommen. Eine Gefängnispastorin will das Geheimnis einer Mörderin lüften. Nach vielem hin und her finden wir die üblichen Verdächtigen - grausame Kindheit, harte Mutter. Das ist öde. Aber das Portrait der leicht vertrockneten Pastorin, die einsam, sexuell frustriert und mit Gotteszweifeln ihrer Arbeit nachgeht, ist durchaus beeindruckend.


"Hast du Clemens auf seine Affäre mit Alexandra angesprochen?" O ha, so reden sie also beim Münchner In-Frisör, der, natürlich mit russischem Künstlerfreund, nebenberuflich Mord und Totschlag unter seinen Kundinnen aufklärt. Die sitzen übrigens alle bei hippen Frauenzeitschriften oder Werbeagenturen. Potzblitz. Christian Schünemann erfand Der Frisör mal für Poetry Slams. Dass lässt vermuten, er meine es nicht gar zu ernst. Aber halbedelsteingläubige Farbberaterinnen gehen auch als Parodie der Sanftheit kaum noch durch. Es bleibt: ein neues, wenig beschriebenes Sujet, ein Debüt, dass man bei der Pediküre so weg lesen kann.


Wie Chicago in nicht einmal 24 Monaten eine Weltausstellung auf die Beine stellte - das ist spannend wie ein Krimi. Erik Larson hat sich durch die Archive gewühlt und eine sehr damatische und genau recherchierte Geschichte dieser organisatorischen Glanztat verfaßt. Als im Mai 1893 die fast fertige Ausstellung eröffnet wurde, war dort alles zu sehen, was im folgenden Jahrhundert eine Rolle spielen sollte, vom Wechselstrom bis hin zur architektonischen Gigantomanie. Dass sein Buch Der Teufel von Chicago heißt, liegt daran, dass Larson höchst kunstvoll die autentische Geschichte des Serienmörder Holmes eingearbeitet hat, der die Weltausstellung nutze, um junge Frauen in sein Hotel zu locken und dort sadistische Morde an ihnen beging. Ein ausführlicher Quellenteil legt offen, auf welche Dokumente Larson sicht stützt und wo er einfach nur spekuliert hat. Mag auch manches nur - gut - ausgedacht sein: Der Teufel von Chicago ist einerseits ein Stück faszinierender Industrie-Geschichte, andererseits die Geschichte des beginnenden mörderischen Irrsinns, der Allmachtsphantasien des 20. Jahrhunderts.


Witzig, witzig, dieser Christoph Güsken. In Der Papst ist tot lässt er in Münster einen Literatur-Papst mit dem BH erwürgen, einen Möbel-Mafiosi mit "den Schweden" kämpfen und einen Volkshochschulkurs den trojanischen Krieg als Krimi rekonstruieren. Von irgendwas muss sein Detekiv Henk Voss ja leben, bei dem es zu ordentlichen Ermittlungen nie reicht. Aber zu viel Lokalkolorit und Alberei: es geht um das verschwundene Manuskript einer Studie, die das Hörspiel zur Kunstform der Hypermoderne kürt. Was natürlich nicht stimmt, aber notorischen U-Schund-Schreibern sicher ein inneres Betriebsfest ist. Den "Papst" könnte man glatt mit Ingolf Lück verfilmen.


Rockstar Darlis Diller umgibt sich mit den branchenüblichen Mythen: Erst seine Begegnung mit dem teuflischen Dhuul habe ihn zum Sänger werden lassen. Solchen Unsinn glaubt kein Mensch, außer Fans. Der 17-jährige Johnny ist ein Fan. Ehrensache, dass Johnny auch bei Dillers Deutschlandtournee dabei ist. Unterwegs ruft er seine Mails ab, und eines Abends passiert's: Johnny erhält mysteriöse fehlgeleitete Post aus Schweden. Die Nachricht stammt von kriminellen Hackern, ihnen erscheint Johnny als potenziell gefährlicher Mitwisser. Mit enormem Tempo und schnellen Schnitten entspinnt Thomas Feibel in Black Mail ein spannendes Szenario. Mit Leichtigkeit verschmelzen Handlungsstränge, ohne dass das Buch inhaltlich überfrachtet wirkt.


Das kleine Label Meteor produziert seit Jahren eine Unmenge von Hörspielen auf den Spuren des Trash-Kults der Drei Fragezeichen. Nach allerlei ernstem, gar gruseligem Zeugs erfanden Sascha Gutzeit und Nikolaus Hartmann die deutlich als Parodie gemeinte Serie Die 3 Klammeraffen. 2 CDs mit den ersten 20 5-Minuten-Fällen des komplett bekloppten Jugendermittler-Trios liegen jetzt vor. Auf der 1. helfen bekannte Synchronstimmen als Gäste aus, auf der 2. wirken sogar die auf der Bühne stummen Darsteller des Vollplaybacktheaters mit, die die Fragezeichen-Originale schon seit Jahren live vom Cassettenrekorder durch den Kakao ziehen. Ziemlich komisch. Und glücklicherweise genau so kurz wie kurzweilig. Die dritte Staffel ist schon fertig und auf Hörspieltournee durch Planetarien und Multiplexxe der Republik.


Der Ex-Werbetexter Wolf Serno schreibt Bücher, die man früher "Professorenromane" nannte: kenntnisreich, voller Detailwissen, und in der Handlung arg übersichtlich. Die Hitzekammer ist ein schnörkellos und angenehm unambitioniert erzählter Krimi aus dem 16. Jahrhundert. Alchemist Lapidius ist einem Serienmörder auf der Spur, der in Teufelsmaske junge Frauen gefügig macht, vergewaltigt und ermordet. Serno weiß und erzählt, wie viele Temperaturstufen die Alchemie kannte, wie Syphilis behandelt wurde und dass es damals schon Lupen und Zahnersatz gab. Wie ungemein ungewöhnlich es war, dass jemand Lesen und Schreiben konnte - das läßt er außen vor, weil es seine Geschichte stören würde. Aber Typen und Atmosphäre sind gut getroffen.


Auch seltsam: Josaphat Peabody geht fischen von Patrick Boman. Das setting: Indien um 1900, eine fetter, zynischer englischer Ermittler, der notfalls die Ehefrau eines Beschuldigten vögelt, die sich damit die Freiheit ihres Gatten erkauft. Ein Roman mit viel Kolorit und witzigen Dialogen, aber ohne jeden Rhythmus, ohne jedes Gefühl für seine Figuren - und einem vollkommen wirren Plot, der an jeder Ecke neue Tatsachen einführt, um die Handlung voranzubringen. Wenn Boman beweisen wollte, dass man postkoloniale Krimis so zynisch wie ermüdend schreiben kann, ist ihm das gelungen.


Werner Schmitz ist wieder da. Anfang der 80er erfand er den Lokalkrimi, später ging er zum stern, machte seinen Jagdschein und erzählt nun, wie sein mitgealterter Romanheld an der polnischen Grenze einen toten Wolf zur Story machen will. Er denkt ein bißchen über seine dumme Jugend nach, nimmt der DDR immer noch übel, sich dem Dicken an den Hals geworfen zu haben, hat viel Verständnis für Vereinigungsverlierer, einigen Spott für die Bundeswehr und den Orts-Jagdverband sowie ein paar müde Frechheiten gegen jedermann. Ein paar Tote fallen auch an und werden aufgeklärt, eine Frau springt für die Hauptperson heraus, und am Ende schmuggelt er einen neuen Wolf von Polen nach Deutschland. Mehr kann er nicht tun. Ausser vielleicht ein TV-Skript aus Schreiber und der Wolf machen.


Garry Dishers "Crossfire" ist unter dem Titel Willkür mit 10 Jahren Verspätung jetzt auf Deutsch erschienen. Das macht aber nix, denn was wir vor 4 Jahren über Disher und seinen kriminellen Helden Wyatt schrieben, gilt hier auch schon: ein letzlich eindimensionaler Held plant einen Bruch und führt ihn aus. Das ist solide und direkt beschrieben, leidet allerdings manchmal darunter, dass Disher sich immer wieder in sprachliche Abgründe stürzt und Personen etwa mit "markantem Gesicht" ausstattet oder man bei Luxus-Tussis schon mal das "leise Rascheln von Seide auf ihren Oberschenkeln" geboten bekommt. Puuh. Außerdem muß es gerade anläßlich dieses Romans mal gesagt werden: Dishers Plots haben Löcher als ob ne Magnum reingeballert hätte.


Fors ist ein fleißiger und systematischer Ermittler; er macht ganz unspektakulär seinen Job. Im Wald findet man die Leiche des Schülers Sirr, der mit Drogen dealte und seine Mitschüler terrorisierte. Ist hier das Tatmotiv zu suchen? Oder war der Mord das Werk ausländerfeindlicher Gruppen? Obwohl die Handlung fast nur im Polizeibüro oder in Wohnzimmern spielt, baut sich Spannung auf. Zeugenbefragungen und Verhöre sind das A und O bei Fors' Arbeit. Zugleich machen sie den Reiz dieses Krimis aus: Wen bringt der Kommissar durch Schmeicheleien zum Reden? Wann packt er jemanden hart an? Mats Wahl nimmt sich als Erzähler ganz zurück, lässt allein seine Dialoge wirken und überzeugt durch die realistische Wiedergabe polizeilicher Arbeit mit all ihren Pannen und bürokratischen Hemmnissen, gesellschaftliche Probleme bleiben nicht außen vor.
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Jamyang Norbu: Das Mandala des Dalai Lama. Aus dem Englischen von Stefan Bauer, Bastei Lübbe, Bergisch Gladbach 2004, 334 S., 7,90 ISBN: 3404151283
Nury Vittachi: Der Fengshui-Detektiv und der Geistheiler Aus dem Englischen von Ursula Ballin, Union, Zürich 2004, 252 S., 9,90 ISBN: 3293202942
Helena von Zweigbergk: Was Gott nicht sah Aus dem Schwedischen von Dagmar Lendt. Krüger, Frankfurt 2004, 301 S., 19,90 ISBN: 3810526304
Christian Schünemann: Der Frisör Diogenes, Zürich 2004, 254 S., 18,90 ISBN: 3257064578
Erik Larson: Der Teufel von Chicago Aus dem Amerikanischen von Bernhard Robben. Scherz bei S. Fischer, Frankfurt 2004, 447 S., 22,90 ISBN: 3502153957
Christoph Güsken: Der Papst ist tot Grafit, Bochum 2004, 210 S., 8,40 ISBN: 389425288X
Thomas Feibel: Black Mail Sauerländer, Düsseldorf 2004, 244 S., 12,90 ISBN: 3794170245
Sascha Gutzeit & Nikolaus Hartmann: Die drei @@@ und ihre 5-Minuten-Fälle 1. & 2. Staffel. Meteor, Wuppertal 2003, ISBN: 3935796374
Wolf Serno: Die Hitzekammer Droemer, München 2004, 350S., 18,90, ISBN: 3426195941
Patrick Boman: Josaphat Peabody geht fischen Aus dem Französischen von Regina Keil-Sagawe, Zebu, Frankfurt 2004, 192 S., 12,90 ISBN: 3937663010
Werner Schmitz: Schreiber und der Wolf Grafit, Dortmund 2004, 190 S., 7,90 ISBN: 3894252871
Garry Disher: Willkür Aus dem Englischen von Bettina Seifried. Pulp Master bei Maas, Berlin 2004, 252 S., 12,- ISBN: 3929010542
Mats Wahl: Kaltes Schweigen Aus dem Schwedmschen von Angelika Kutsch. Hanser, München 2004, 266 S., 16,90 ISBN: 3446204431