DIE KLEINE KRIMI-RUNDSCHAU (21. Lieferung)

Kosmetik des Bösen


und hier die vorherige-Ausgabe



Es ist ja schön, dass es so viele Krimis gibt, in denen souveräne Ermittlerinnen alles im Griff haben. Ebenfalls schön aber ist auch Inspectora Petra Delicado, in den 90ern erdacht von Alicia Gimenez-Bartlett. Die Inspectora hat's nicht leicht - zwei Ex-Männer, alle Vorurteile der Kollegen über Frauen im Kreuz - schlägt sich aber wacker. Vor allem, weil sie eine richtige Zicke ist, ein Miststück, eine, die widerspenstige Verdächtige zwingt, sich im Verhörraum nackt auszuziehen und ihnen so lange auf die Eier starrt, bis sie kleinlaut werden. Gefährliche Riten, der erste Fall, handelt von ritueller Vergewaltigung, und was die Inspektorin wahnsinnig macht, dass der Täter sich schwache, verängstigte, phlegmatische junge Mädchen als Opfer aussucht, deren Leben bereits so zerstört ist, dass sie die Vergewaltigung gar nicht besonders mitnimmt. Solch ein Thema, klar, kann nur von einer Frau behandelt werden, und Frau Gimenez-Bartlett holt erheblich mehr raus, als man am Anfang vermuten könnte.


Seit Die purpurnenen Flüsse weiß man, dass ein Film auch besser sein kann als das Buch. Jean-Christophe Grangé jedenfalls ist ein mittelmäßiger Autor, ein Schwätzer und Kolporteur, der eine unappetitliche Vorliebe für Metzeleien hat. Bei ihm wird nicht einfach gemordet - die Opfer werden regelrecht abgeschlachtet, ausgeweidet, verstümmelt. In seinem neuen Roman Das Imperium der Wölfe muß man sich wirklich Sorgen um den geistigen Gesundheitszustand des Autors machen, der hier drei Frauen auf eine Art und Weise sterben läßt, die wir gar nicht weitererzählen wollen. Die Story ist wüst und lächerlich, Gehirnwäsche, Terror, Drogen und türkische Mafia kommen vor, und wenn der Autor nicht mehr weiter weiß, wechselt eine Figur mal eben die Seiten. Es ist kein Thriller, kein Krimi, nicht mal ein politischer Roman. Das Imperium der Wölfe ist eine ziemlich dumme Männerphantasie von einem, der nicht gut schreiben kann und sich für seine Figuren eigentlich gar nicht interessiert.


Ganz tief Luft holt John le Carré in seinem Roman Absolute Freunde und beginnt bei der Teilung Indiens, um seinen Helden Ted Mundy vorzustellen. Der wurde in Pakistan geboren als Sohn eines britischen Captains, kehrt zurück nach England, kommt ins Berlin der späten 60er Jahre und lernt dort Sascha kennen, den typisch deutschen Idealisten aus protestantischem Hause, der allerdings jede Gewalt gegen das Schweinesystem ablehnt. In kunstvoll verschachtelten Rückblenden führt das Buch durch die wilden Zeiten der Studentenrebellion und läßt die beiden Alt-68er ihr gutes revolutionäres Werk fortsetzen, allerdings im Schatten der Geheimdienste. Mit dem Fall der Mauer wird ihre Arbeit überflüssig, Ted Mundy erföffnet eine Sprachenschule in Heidelberg, Sascha verschwindet aus der Weltgeschichte. Und taucht eines Tages wieder auf mit einem Angebot, dass Mundy nicht ablehnen kann. Über die Jahre hat le Carré sein Mitgefühl für seine armen Helden erweitert, ebenfalls allerdings seine Süffisanz über die Vergeblichkeit allen menschlichen Tuns. Was aber nicht in die Resignation führt, sondern in die Wut. Wut, sagt Sascha, hält uns am Leben. Neben einem diabolisch ausgeführten Plot - am Ende werden wir mitten im "Krieg gegen den Terror" landen, gegen den der Kalte Krieg nur ein Picknick war - zeigt sich le Carré einfach als der beste lebende Thriller-Autor. Wie er Szenen und Figuren hinstellt, politische Geschichte in wenigen Sätzen zusammenfassen kann, das ist ein ganz besonderes Talent. Einen Trupp Leibwächter beschreibt er einmal als "käsige Knaben" in Lederjacken, die "beschlossen hatten, jede Art von Mimik einzustellen". Präziser und knapper geht's kaum.


Pablo De Santis hört nicht auf, dünne Bücher zu schreiben, die ein bißchen wie Krimis tun und jede Menge dafür, dass man den Autor noch zu Lebzeiten in Borges-Gruft einsperrt. In Voltaires Kalligraph deckt ein Lehrling der aussterbenden Schönschreiberei kurz vor der Französischen Revoluton einen Komplott der alten Mächte gegen die Aufklärung auf. Tote Bischöfe fingieren Wunder und fälschen Reliquien fast schon industriell, ein Schreibautomat verfasst das Buch der Welt mit Blut, mechanische Huren verdrehen mehrere Köpfe, und Plot und Pointe sind zwischen stark verkürzten Rätsel-Epiosoden nur noch zu ahnen. Allein mit De Santis' Nebenbei-Erfindungen (etwa eine Nacht-Taxi-Linie, die Leichen im ganzen Land herum fährt) lassen sich ganze Historienschinken ausstatten, und schon ein Fussnoten-Apparat, der nur erklärt, was Voltaires Kalligraph wo her und wie verschnörkelt hat, wäre ein neues Buch.


Dan Browns neuer Roman stürmt gerade noch vor der Hardcover-Veröffentlichung sogar ernste Feuilletons (eine Leiche im Louvre findet heraus, dass der liebe Jesus mit Maria Magdalena Nachwuchs machte - was für ein Sakrileg), da liegt sein letzter Meteor noch als Thriller-Taschenbuch etwas neben dem Trend, ein Rätsel mit einem Meteor zu beginnen ist nämlich eigentlich out. Wenn der Meteor ein Raumschiff ist, brauchen wir Raketen. Also sind Raketenwissenschaftler schwer verdächtig, was gedreht zu haben. Brown legt eine Intrige über die andere, schreibt nicht gut aber spannend, und bedient Friseurbesucher (die Frau kriegt den Kerl) ebenso wie Technikfreunde; man glaubt fast, Wissenschaft zu lesen.


Aunahmsweise sei mal ein Krimi noch vor dem ersten Toten gelobt. Genauer: Viktoria Platowas Das Taufbecken des Teufels fängt im Holland des Jahres 1499 an, wo möglicherweise ein ganzes Dorf im Meer versinkt, weil ein Künstler das falsche Bild malt. So geht die Sage. Dann springt die russische Besteller-Autorin ins gegenwärtige Moskau mitten unter Kunststudenten. Und entfacht da ein sehr lebendiges Feuer. Kein Gedanke an Krimi oder Thriller, nur schöne, freche und überhaupt nicht gespreizt fantasievolle Literatur. Später gibt es auch noch einen Fall, aber dessen Aufklärung ist so wenig wichtig, dass Platowa sie einfach als Epilog hinten dran hängt. Dies ist der erste Platowa-Roman ausserhalb ihrer "Eva"-Reihe, die für's russische Fernsehen verfimt wurde. Die Romane dazu erscheinen im Aufbau-Verlag.


Da ist sie wieder: Sarah Booth in ihren vierten Fall. Carolyn Haines schickt in Ein jeglicher hat seine Sünde ihre sexuell aktive und politisch eher demokratische Südstaaten-Lady aus zur Rettung eines weißen Blues-Gitarristen, der einen schwarzen Club-Besitzer umgebracht haben soll und sich nicht retten lassen will. Außerdem tritt eine Art schwarzer Ku Klux Klan auf sowie Sarahs verstorbenes Kindermädchen als eine Art Watson-Geist, und Sarah hat Probleme damit, dass die verstocktesten Rassisten manchmal unschuldig sein können. Noch ein bisschen weiter links und sie wird Rita Mae Brown die zweite. Die Tierliebe hat sie schon, vor allem zu Pferden.


Wenn sentimentale Kurzstreckendenker witzig sein wollen, nehmen sie gern weibliche Hauptfiguren (fürs Tragische werden eher Kerle bemüht - siehe Hermann Hesse). Theodor Kallifatides ist solch ein philosophisch angeknackster Witzbold, der seine Kommissarin ständig über die Welt und die Liebe und den Tod grübeln läßt. Dazu schaltet sich noch der allwissende Erzähler ein und streut seinerseits Weltweisheiten ein ("Man kann noch so schnell rennen - vor sich selbst kann man nicht davonlaufen" - von der Preisklasse ist das alles), so daß man richtig erleichtert ist, wenn die Kommissarin einfach mal nur onaniert. Obwohl das den Fall auch nicht weiterbringt. Der ist in Der sechste Passagier so durchsichtig wie die verkorkste Moral des Autors: es geht um Organhandel und ein abgestürztes Flugzeug. Und dass man eine schwedische Kommissarin erpressen kann, wenn man ein Polaroid besitzt, auf dem sie nackt zu sehen ist, mit einem Schwanz im Mund und einem zwischen ihren Brüsten ... Vorurteile über moralische Autoren sind meistens richtig.


Dass sein Buch Big Trouble besser war als der Film kann Dave Barry insofern nicht wirklich als Entschuldigung anführen, weil er einer jener Autoren ist, die glasklar auf eine Verfilmung hinschreiben. Auch Tricky Business, Barrys zweiter Krimi, enthält sozusagen schon die Anweisungen für den Cutter. Im Mittelpunkt steht ein Drogendeal auf einem Casino-Schiff vor Floridas Küste, wirklich alle Figuren und Plotwendungen sind - teils offen - geklaut und abgekupfert. Das macht Barry immerhin mit Charme, und manchmal ist sein Stil auch recht witzig, aber es ist doch durchgehend zweite Ware. Wirklich komisch ist allerdings eine Nebenhandlung, die das große Thema "Ein Sturm zieht auf" behandelt. Obwohl ganz Miami ruhig bleibt, verbreitet ein lokaler Nachrichtensendung Panik und schickt seine Reporter los; am Ende wird der Sturm 9 Tote gefordert haben - alles Mitarbeiter des Senders, die sich unnötig in Gefahr begaben, und der dankbare Sender kann endlich über Tote berichten und kriegt sogar einen Preis für mutige Berichterstattung.


Amélie Nothomb schreibt Bücher, von denen man nicht glaubt, dass sie geschrieben werden können. Kosmetik des Bösen ist eine Dialog-Novelle. Mit wenigen Sätzen werden Ort und Anlaß umrissen - ein Mann sitzt am Flughafen und wartet auf den Abflug seiner Maschine. Da spricht ihn ein anderer Mann an. Und nervt. Und hört nicht auf zu sabbeln, über Katzenfutter, Selbstekel, Liebe, Bestimmung, altkluges, penetrantes, schließlich boshaftes Zeug -auch als Leser möchte man den Kerl einfach erwürgen, die Nothomb trifft da einen Tonfall und einen Menschenschlag, denen nur mit Revolvern zu begegnen ist. Und wenn man denkt, man habe dieses kleine schriftstellerische Experiment begriffen, dreht die Autorin alles um und es wird eine ganz andere Geschichte daraus. Ein Krimi. Und diese Geschichte ist derart übel, dass man sich den Schwätzer des ersten Teils geradezu zurücksehnt ... und das ist immer noch noch nicht das Ende, es wird noch übler. 107 Seiten braucht die Nothomb für diese Geschichte. Es ist nicht zu glauben.
-aco/thf/vl/wing-

Alicia Gimenez-Bartlett: Gefährliche Riten Aus dem Spanischen von Sybille Martin. Neu lektorierte Übersetzung. btb bei Lübbe, Bergisch-Gladbach 2004, 333 S., 8,90 ISBN: 3404921526
Jean-Christophe Grangé: Das Imperium der Wölfe Aus dem Französischen von Christiane Landgrebe, Ehrenwirt/Lübbe, Bergisch-Gladbach 2004, 446 S., 19,90 ISBN: 343103182X
John Le Carré: Absolute Freunde Aus dem Englischen von Sabine Roth, List/Ullstein 2004, 427 S., 22,- ISBN: 347178098X
Pablo De Santis: Voltaires Kalligraph Aus dem Spanischen von Claudia Wuttke, Union, Zürich 2004, 192 S., 16,90 ISBN: 3293003281
Dan Brown: Meteor Bastei Lübbe, Bergisch Gladbach 2003, 622 S., 8,90 ISBN: 3404150554
Viktoria Platowa: Das Taufbecken des Teufels Aus dem Russischen von Hoppman/Kouvchinnikova, Bastei-Lübbe, Bergisch-Gladbach 2004, 463 S., 7,90 ISBN: 3404151151
Carolyn Haines: Ein jeglicher hat seine Sünde Aus dem Amerikanischen von Dietmar Schmidt, Bastei-Lübbe, Bergisch-Gladbach 2004, 476 S., 7,90 ISBN: 3404150686
Theodor Kallifatides: Der sechste Passagier Aus dem Schwedischen von Kristina Maidt-Zinke. Zsolnay, Wien 2004, 286 S., 19,90 ISBN: 3552052941
Dave Barry: Tricky Business Aus dem amerikanischen Englisch von Edith Beleitis, Eichborn, Frankfurt 2004, 293 S., 19,90 ISBN: 3828109388
Amélie Nothomb: Kosmetik des Bösen Aus dem Französischen von Brigitte Große. Diogenes, Zürich 2004, 107 S., 16,90 ISBN: 3257063938