DIE KLEINE KRIMI-RUNDSCHAU (20. Lieferung)
Die Schnellen und die Toten und hier die vorherige-Ausgabe »Woran ist sie gestorben, Doktor?«, fragte Zarco. »An Verletzungen, die mit dem Leben unvereinbar sind«. (Rafael Reig: Überall Blut) Detlef Blettenberg lebt hier nicht mehr. Deutschlands immer noch viel zu wenig berühmter Autor internationaler Thriller hat kurz nach Erscheinen von Berlin Fidschitown wieder das Land verlassen, um als Entwicklungshelfer in Westafrika zu arbeiten. Sein Buch spielt im Untergrund der Hauptstadt, wo die Zigaretten-Schmuggler aus Thailand und Vietnam ein heiss umkämpftes Gegen-Reich aufgebaut haben. Als ganz reales Bild legt eine Figur die Stadtpläne von Berlin und Hanoi/Ho-Chi-Minh-Stadt übereinander und staunt über die Parallelen in Tunneln und Protz-Bauten (dort Tempel, hier Banken). Und mehrmals parallelisiert der Autor "typische" Vietnam-Kriegs-Atmosphären mit anscheinend gut recherchiert erfundenen Kämpfen in der Kanalisation der Moderne. Der "Krimi-Fall" dazwischen ist viel zu lang und verzweigt, aber im Grunde, im Untergrunde (ja, manchmal kalauern die Figuren auch) hat Blettenberg ja einen Gegenwarts-Roman geschrieben. Und in einem kleinen Bielefelder Verlag herausgebracht. Dem mindestens SAT 1, wenn nicht gar Hollywood, die Filmrechte abkaufen sollte - aber sich wohl kaum traut. Wir machen das ja nicht: "Bestes Buch des Jahres" und all dieses Listenzeugs; Literatur ist kein Gewichtheben. Aber sagen wir mal so: wenn man in diesem Jahr nur 1 Buch lesen wollte, wäre es schade, wenn das nicht Überall Blut von Rafael Reig gewesen wäre. Der hat sich nämlich einen Science Fiction-Krimi von ungeheurem Witz und abgrundtiefer Traurigkeit ausgedacht, parodistisch, altklug, weise, lüstern ... es ist alles drin. Der Held - ein heruntergekommener Privatdetektiv, was sonst? - erhält drei Aufträge: eine untreue Ehefrau überwachen, eine verlorengegangene Tochter wiederfinden und eine entflohene Figur aus einem Western-Roman einzufangen. Natürlich hängen alle drei Fälle zusammen, und natürlich führen die Spuren zu einem großen, bösen Konzern, an dessen Spitze ein fetter Mann sitzt, der dem Held ein Angebot macht, das er nicht ablehnen kann. Dazwischen aber, neben der Handlung, geht es um Bücher, Wahrheit, Liebe, Garcia Marquez und woran man eigentlich gute Literatur erkennt. Solche Fragen werden allerdings nicht "erörtert", sondern auf eine Weise eingeführt, wie man es sonst nur von Kurt Vonnegut kennt: "Was ist wichtiger, Shakespeare oder ein Paar Schuhe? - hängt davon ab, ob man barfuß läuft." Und wenn der - natürlich von einer untreuen Frau geschiedene - Held seiner Einsamkeit nachhängt, klingt das so: "Mitten in der Nacht schreckte ich aus dem Schlaf hoch. Es war wieder der Kühlschrank. Zur unmöglichsten Zeit fing er ohne Vorwarnung an zu brummen. Vielleicht würde ich das Gleiche tun, wenn ich geerdet wäre. Was soll ich sagen?" Neben dieser Melancholie hat Reig auch den Mut zur wüsten Kolportage. Als die sexbesessene böse Dee-Dee dem armen an Bett gefesselten Detektiv gerade mit ihren vergoldeten Brustwarzen die Augen ausstechen will, wird sie von ihm runtergeschossen, in letzter Sekunde sozusagen, von dem Westernhelden Spunk McCain, der gerade rechtzeitig seinen Roman verließ, um dem Helden zur Hilfe zu eilen. Der wird, aus Dankbarkeit, dann McCains Roman zuende schreiben, damit er endlich zur Ruhe kommt. Geradezu genial ist aber, wie Reig bei allem virtuosen Jonglieren mit der Literatur, seinem Roman sein eigenes Gewicht gibt: am Ende hat der Held etwas Gutes getan. Aber die Welt ist davon nicht besser geworden, eher schlechter. Und obwohl das auch wieder nur ein Zitat ist, fühlt man sich am Ende ganz schön mies. Der englische Professor Alexander McCall Smith hat schon vor ein paar Jahren die vermutlich erste schwarze Privatdetektivin in Afrika erfunden. Und, schnell und international gelobt, inzwischen eine ganze Romanserie um Mma Ramotswe, "die afrikanische Miss Marple" (Sunday Times) nachgelegt. Jetzt gibt es die Taschenbuchausgabe ihres ersten Falls Dunkler Zauber. Dabei ist der Fall gar nicht das spannende, eigentlich sind es sowieso eher ein Dutzend kleine Fälle, sondern die ganz unprätentiös in die Kolonial- und Befreiungsgeschichte des modernen Botswana eingebundene Figurenzeichnung. Precious Ramotswe, viel jünger und viel runder als Miss Marple, erzählt in einem Mix aus Sozialreportage, Stammes-Legende und Familienchronik von saufenden Vätern, untreuen Frauen, guten und schlechten Straßen und Missionaren - und wie sie am Ende den Dorf-Mechaniker heiratet. Das ist so würdevoll und kitschig wie der warme Wind, der süße Atem der Rinder, das weite, endlos weite Land und die Tränen der Giraffe. Immerhin will Anthony Minghella ("Der englische Patient") das Buch verfilmen. Tod eines Pornostars (1990) war der schnelle Nachfolger von Manhattan Beat (1989), und vielleicht hätte Jeffery Deaver damals ein bißchen länger warten sollen, bevor er seine Heldin Rune wieder auf die Straßen von New York schickt. Obwohl er einen sehr verzwickten Fall aufbaut (christliche Pornohasser sprengen Kinos in die Luft und ärgern sich, als sich jemand per Bombe an ihrer Kampagne beteiligt; oder sind gar drei Bomber-Parteien unterwegs?) und ein paar schöne Sätze zum New York der späten 80er aufschreibt, scheint es ihm sehr um die Liebesgeschichte zu gehen: Rune verliebt sich in einen viel älteren Cop, der ein bißchen wie Sam Eliott auszusehen und aufzutreten scheint. Und obwohl Rune ihre Sprüche nicht verlernt hat, wirkt sie braver, angepaßter als im Buch davor. Das Straßengirl Rune, inzwischen bei einer Werbefirma angestellt, will ihren eigenen Film drehen, über eine Porno-Queen, die bei einem der Bombenanschläge umkam. Im Minirock (mit aufgedruckten Sauriern), mit Tränengas und Kamera bewaffnet will sie den Täter finden. Die Auflösung zieht sich allerdings hin, drei End-Kapitel hat Deaver gebraucht, um seinen Plot zu erklären. Dafür darf Rune immer noch schöne Sätze sagen. Wie zum Beispiel diese hier über Männer: "Männer haben bei mir immer so komische Ansichten. Die meisten ignorieren mich. Von denen, die mich nicht ignorieren, wollen viele nur Sex, um mich dann hinterher ignorieren zu können. Manmchmal wollen sie mich adoptieren." Bielefeld, einerseits die sicherste Großstadt der Republik, andererseits für seine redefreudigen TV-Polizisten von einigem Ruf, wird jetzt auch richtige Krimi-Stadt. Der richtige Richter Andreas Hoppert nämlich lässt seine immer irgendwie politischen Krimis immer auch ein bisschen an seinem Wohnort spielen. Bei Der Erbfall wird sein Held, ein verkrachter Anwalt, im Testament eines unbekannten Frontsoldaten bedacht, die Viking-Jugend will ihren Anteil, Leichen pflastern den Weg der privaten Ermittlungen, ein nettes Gör und weniger nette Glatzen tauchen mal als Gute mal als Böse auf, und ganz nebenbei wird ein perfekter Mord vorgeführt (man braucht dafür 2 Jahre Blutspenden und eine Tiefkühltruhe), mit dem sich die Hauptperson samt Erbe am Ende der Verfolgung entzieht. Der englische Polizist John Coffin ist vielleicht eine der unauffälligsten Serienfiguren, die je erfunden wurden. Der Mann hat ein paar Ecken und Kanten, eine gut funktionierende Selbstbeobachtungsgabe und eine etwas exaltierte Schauspielerin zur Ehefrau, die sein Leben noch mehr erfreut als sein Hund Gus. Ausgedacht hat sich das Gwendoline Butler, und das Szenario um John Coffin wird immer unspektakulärer, je länger Frau Butler es beschreibt. Dass dabei die Romane immer realistischer und spannender werden, kann man in Schwarze Fracht nachlesen, ein Buch der gezielten Andeutungen und über die Mühsal der Polizeiarbeit. Es geht um vier tote Kinder und um gefälschte Medikamente. Und obwohl mit allen modernen Mitteln der Kriminologie zugeschlagen wird, ist es letztlich Coffins Instinkt, der ihn zur Wahrheit führt. Um derlei glaubwürdig wirken zu lassen, muß man gute literarische Vorarbeit leisten, Gwendoline Butler gelingt das beinahe mühelos. Münster kommt nicht nur in 2 TV-Krimi-Reihen ständig vor, sondern jetzt auch bei einem zweiten Lokal-Krimi-Verlag: neben Kehrer und Güsken satt bei Grafit gibt's neuerdings beim Kölner Emons Verlag Heimat-Krimis, die aus einem Leser-Wettbewerb der "Münsterschen Zeitung" stammen. Martin Scholz schnodderte in Blutsbrüder, seinem Erstling, einen komplizierten Plot um Studentenlieben, eine reiche Erbtante und betrogene Betrüger zusammen, der am besten wirkt, wenn man Münster etwa Ende der 70er kennt. Obwohl der Autor seine Story in die Achtziger rüberlügt. Gisela Pauly besucht als alles schreibende Ex-Lehrerin das moderne Münster und prockelt in Schlafende Hunde etwas beflissenes über Frauenhandel, die Obdachlosenszene und eine mutige Journalistin zusammen, was man immerhin als Stadtführer gut verwenden kann. Und zum Nestbeschmutzen. Eigentlich ist es nur eine Psychose: als sie 19 ist, gerät Val recht heftig mit Drogen aneinander. Und sieht sich plötzlich in eine andere Zeitzone gestellt. Für sie läuft dann alles in Zeitlupe ab, Gerüche, Geräusche, Farben und Geschmacksempfinden werden intensiver, und wenn Val aus dieser Zone wieder auftaucht, sind drei Monate vergangen. Val nimmt Medikamente und ordnet ihr Leben. Aber die Psychose ist zu verlockend, freiwillig kehrt Val in ihr Reich der Slow Motion zurück - und sieht darin plötzlich Menschen, die sich mit normalem Tempo durch die Zeitlupen-Settings bewegen. Und ihr freundlich zulächeln. Val nennt diese Menschen "die Schnellen" und hat Angst vor ihnen. Du bist zu schnell wäre bis dahin ein beeindruckender und beklemmender Roman über Psychosen und ihre Folgen. Aber der in Berlin lebende Kroate Zoran Drvenkar baut um Val herum einen ungemein spannenden Krimi auf: eines Tages liegt Vals beste Freundin ermordet in Vals Badezimmer. Und Val sagt: das waren "die Schnellen". Ihr Freund Marek glaubt ihr halb und fährt mit Val zu Theo, dem Freund der toten Freundin. Auch Theo scheint ihr zu glauben. Alle drei machen sich auf die Suche nach "den Schnellen" ... Die notwendige Glaubwürdigkeit dieser eigentlich abstrusen Story entsteht dadurch, dass alle Protagonisten, Val, Marek und Theo, jeweils in der Ich-Form kapitelweise die Geschichte erzählen. So können wir sicher sein, dass wir uns nicht einfach in Vals Wahn-Welt befinden, immerhin haben wir zwei weitere Zeugen dafür, dass da wirklich etwas nicht stimmt. Bis zur letzten Seite hält Drvenkar die Spannung aufrecht. Vor allem sein Stil, sachlich, ungemein bildhaft und sanft trägt diese verrückte Geschichte. Drvenkar kann eine Szene aufbauen, in der nichts weiter passiert als das zwei nebeneinander einschlafen - und doch hat sich da ein kleines Universum ausgebreitet. Was in Matrix die "bullett time" optisch erreicht, stellt er mühelos mit Sprache her: zwei Zeitzonen laufen aneinander vorbei, innerlich und äußerlich. Deshalb wirkt Du bist zu schnell trotz seines bedächtigen Stils eher gehetzt, atemlos. Es ist eines der Bücher, bei denen man Angst vor der Lösung hat - wie sich am Ende herausstellt: zu Recht. "Easy Rawlins" war schon mal ein Kino-Held (Denzel Washington in "Teufel in Blau") und gilt als authentischster schwarzer Detektiv seiner Zeit, geschrieben in den 90ern (von Walter Mosley), spielend in den 60ern. In Auf Abwegen will Easy, der Ex-P.I., eigentlich bloß als Hausmeister seine Ruhe und Familie haben, aber seine Vergangenheit (wegen ihm ist ein Kumpel erschossen worden) und die zerbröselnde Gegenwart scheuchen ihn wieder auf (früher spielte Jelly Roll Morton in der Suburb-Bar, heute halten Neo-Afrikaner da politische Versammlungen ab). Mosely schreibt unkompliziert, eher müde als abgefuckt, und aus einer sehr grundlegenden moralischen Haltung heraus. Das Gesetz ist weiß, das Leben ist schwarz, vor allem das der Schwarzen. Und wenn ein Mann etwas richtig macht (etwa den Sohn des Freundes aus der Scheisse holen), dann soll er nicht erwarten, als Dank zum Barbecue eingeladen zu werden . -aco/thf/vl/wing-
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Detlef Blettenberg: Berlin Fidschitown Bielefeld 2003, Pendragon, 334 S., 12,80 ISBN: 3934872565 Rafael Reig: Überall Blut Aus dem Spanischen von Susanna Mende. Rogner & Bernhard bei 2001, Hamburg 2003, 221 S., 14,90 nur bei 2001 www.zweitausendeins.de Alexander McCall Smith: Dunkler Zauber Aus dem Englischen von Gerda Bean. Bastei Lübbe, Bergisch Gladbach 2003, 269 S., 6,90 ISBN: 3404149181 Jeffery Deaver: Tod eines Pornostars Aus dem Amerikanischen von Gerold Hens, Rotbuch, Hamburg 2003, 348 S., 21,90 ISBN: 3434531211 Andreas Hoppert: Der Erbfall Dortmund 2003, Grafit, 286 S., 9,40 ISBN: 3894252812 Gwendoline Butler: Schwarze Fracht Aus dem Englischen von Matthias Fienbork, Diogenes, Zürich 2003, 352 S., 9,90 ISBN: 325723337X Martin Scholz: Blutsbrüder Köln 2003, Emons, 176 S., 9,- ISBN: 3897052903 Gisela Pauly: Schlafende Hunde Köln 2003, Emons, 223 S., 9.- ISBN: 3897053071 Zoran Drvenkar: Du bist zu schnell Klett-Cotta, Stuttgart 2003, 287 S., 19,- ISBN: 3608936238 Walter Mosley: Auf Abwegen Aus dem Amerikanischen von Rainer Schmidt. Berlin 2003, Argon, 320 S., 19,90 ISBN: 387024612X |