DIE KLEINE KRIMI-RUNDSCHAU (19. Lieferung)
Gerechtigkeit siecht und hier die vorherige-Ausgabe Nury Vittachi ist ein ceylonesischer Inder mit London-Studium, verheiratet mit einer Irin und Kolumnist der Hongkong Morning Post. Mit der Übergabe der Stadt an China verlor er seinen Job und fing an, Bücher zu schreiben. Unter anderem die Serie Der Fengshui-Detektiv. Der mit allen Traditionen gewappnete mürrische Chinese klärt mit einer 17jährigen frechen australischen Praktikanten-Göre allerlei Verbrechen auf. Vom Auflagenschwindel einer Stadtillustrierten bis zur Flucht eines Mönchs aus einem Buddhisten-Kloster. Ziemlich komisch und überhaupt nicht esoterisch. Die Westmaus kriegt zwar eine Menge östlicher Weisheit ab, aber der Meister lernt auch, den Buddha in den Reflektionen einer CD zu sehen. Ein harmloses Vergnügen. In Ehrenwerte Leute beschrieb der 1984 ermordete Journalist und Autor Giuseppe Fava, wie die Mafia ihre Macht entwickelt. Eine junge, hübsche Lehrerin kommt in ein gottverlassenes sizilianisches Dorf. Sie scheint unter einem geheimnisvollen Schutz zu stehen, denn wer sie beleidigt, ist kurze Zeit später tot. Die Lehrerin ist nicht nur enorm sinnlich (wofür der Roman sich genüßlich Zeit nimmt) sondern auch sehr revolutionär: sie will, dass das Elend im Dorf ein Ende hat, dass nicht mehr Kinder an Typhus sterben und dass die Bauern nicht nur apathisch vor dem Haus sitzen, weil es nichts zu tun gibt. Wie die romantisch-naive Lehrerin, ohne es zu merken, zum Werkzeug einer Bande von Verbrechern wird, ist eine spannende und lehrreiche Geschichte, die jetzt noch einmal aufgelegt wurde. Kimmo Joentaa ist ein behäbiger Brüter. Der junge Kommissar aus Turku sinniert nächtelang über das Leben, den Tod und die Liebe. Er schweigt so heftig wie die finnischen Wälder um ihn herum rauschen. Er hat allen Grund: Seine Frau ist gerade an einer schweren Krankheit verstorben - und das bereits auf Seite Zwei. Er hat noch dreihundert Seiten Platz herauszufinden, warum er trotz aller Lebensunlust nicht stirbt und sich einem Serienmörder so merkwürdig verbunden fühlt. In Jan Costin Wagners zweitem Roman Eismond suhlt sich Kimmo in Existenzialismus und symbolhafter Romantik. Düster und fesselnd beschreibt Wagner die Parallelwelten von Jäger und Gejagtem. Er erzählt die Geschichte als einfühlsames Psychogramm, man fühlt sich angenehm an Henning Mankell erinnert. Roger L. Simon hat in den wilden 70ern mal den alternativen Detektiv Moses Wine erfunden. Den heute als 49jährigen noch einmal auf die Piste zu schicken, ist mäßig witzig und vollkommen unspannend. Zwar hat Wine stilgerecht unter Öko-Kriegern zu ermitteln, die einen Holzfäller ermordet haben sollen, und er darf noch mal mit seiner Ex-Frau vögeln, aber ansonsten ist Die Baumkrieger ein geschwätziges Buch, das immer wieder mit "es war einmal" einsetzt und dann feststellt, dass die Welt gar nicht so schlecht geworden ist, wie man als wilder Student einst befürchtete. Kein Wunder, dass Moses hier hauptsächlich sein radikales Söhnchen vor Dummheiten bewahren will. Das angehängte Interview, das Herausgeber Wörtche mit Simon führte, leidet ein bißchen unter der Haltung des Fragestellers, der die ganze Zeit auf dem Bauch liegt vor dem doch mäßig talentierten Autor Simon. Es gibt zwei wirklich gute Romane über das Kennedy-Attentat: James Ellroys "Ein amerikanischer Thriller" und Don DeLillos Sieben Sekunden. Während der Thriller-Autor Ellroy eine Kennedy-Verschwörung zusammenbastelte, in die, außer der Heilsarmee, jeder verwickelt zu sein scheint, war der Literat DeLillo viel mehr an der Frage interessiert: Wie funktioniert eigentlich eine Verschwörung? Und weil die Antwort darauf heute mehr interessiert denn je, hat Kiepenheuer & Witsch Libra - Sieben Sekunden noch einmal aufgelegt. Darin geht es hauptsächlich um den Attentäter Oswald, der von einer CIA-Fraktion als wirrer, verwirrter Attentäter aufgebaut werden soll. Das Problem ist: Oswald ist ein wirrer, verwirrter Attentäter, ein Kuba-Anhänger, guter Soldat, FBI-Spitzel, DeLillo hängt ihm sogar noch bisexuelle Neigungen an. Hier geht es nicht darum, ob diese Version der Geschichte wahr ist, sondern wie sie funktioniert. "Geschichte ist in der Summe das, was sie uns alles nicht erzählen", sagt eine von DeLillos Figuren. Als intelligente Spekulation, fern von aller Paranoia, ist das immer noch ein großes Buch. Gefrorene Seelen ist der ziemlich bescheuerte deutsche Titel von Forty Words for Sorrow des Kanadiers Giles Blunt, der sich einen recht katholischen Cop ausgedacht hat, der seinen Glauben verloren hat und netterweise trotzdem auf den Namen Cardinal hört. Trotzdem ist das weitestgehend kein peinlicher Bekenntnisroman sondern ein Polizeithriller, der in in jeder Hinsicht in der Kälte spielt. Eine in Eis eingschlossene Mädchenleiche wird gefunden, und Detective John Cardinal macht sich große Vorwürfe, weil er das Mädchen einst als Vermißte suchte, dann aber auf Anweisung seines Chefs die Suche einstellen mußte. Bald weiß er, dass er es mit einem sadistischen Serienmörder zu tun hat, dessen Identität Blunt früh enthüllt, weshalb Gefrorene Seelen zur Hälfte aus der traurigen Gedankenwelt des Cops, zur anderen aus den sadistischen Tötungs-Phantasien des Killers besteht. Das wirkt manchmal etwas modisch-gezwungen, ist aber als Plot gut konstruiert und gut erzählt. Der schöne, oben erwähnte Originaltitel bezieht sich auf einen Gedanken von Cop Cardinal, als er der Mutter des Mädchens die Nachricht vom Tod ihrer Tochter überbringen muß: "Von den Inuit heißt es, sie hätten vierzig verschiedene Worte für Schnee. Nichts gegen Schnee, dachte Cardinal, aber was die Menschen wirklich brauchen, sind vierzig Wörter für Kummer, Schmerz, Leid, Gram." Die Romane von Jason Starr sind finster und zynisch, keinesfalls lustig oder satirisch. Hard Feelings handelt von einem recht erfolgreichen Verkäufer in New York, der sich plötzlich daran erinnert, als Kind mißbraucht worden zu sein. Es bleibt offen, ob die Erinnerung "wahr" ist, aber das Leben des Mannes gerät vollkommen aus den Fugen. Den Weg in den Abgrund beschreibt Starr scheinbar unbeteiligt - und hat ein Ende gefunden, das einem das Herz zerreißt. -aco/lip/thf/wing-
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Nury Vittachi: Der Fengshui-Detektiv Aus dem Englischen von Ursula Ballin. Union, Zürich 2003, 254 S., 9,90 ISBN: 3293202640 Giuseppe Fava: Ehrenwerte Leute Aus dem Italienischen von Peter O. Chotjewitz. Union, Zürich 2003, 224 S., 9,90 ISBN: 3293202535 Jan Costin Wagner: Eismond Eichborn, Berlin 2003, 306 S., 19,90 ISBN: 3821807008 Roger L. Simon: Die Baumkrieger Aus dem Englischen von Jürgen Bürger, Union, Zürich 2003, 254 S., 9,90 ISBN: 3293202780 Don DeLillo: Libra. Sieben Sekunden Aus dem Amerikanischen von Hans Herrmann, Kiepenheuer & Witsch 1991/2003, 576 S., 22,90 ISBN: 3462033506 Giles Blunt: Gefrorene Seelen Aus dem Amerikanischen von Reinhard Tiffert. Droemer, München 2003, 431 S., 19,90 ISBN: 3426195933 Jason Starr: Hard Feelings Aus dem Amerikanischen von Bernhard Robben, Diogenes, Zürich 2003, 299 S., 19,90 ISBN: 3250863504 |