DIE KLEINE KRIMI-RUNDSCHAU (16. Lieferung)
Do Not Cross! und hier die vorherige-Ausgabe Als der Kalte Krieg zuende und der Ostblock zusammengebrochen war, tauchte in einem Roman von John le Carré das schöne Apercu auf, dass damit wohl die richtige Seite verloren und die falsche gewonnen hätte. Was sich sonst so in le Carrés Romanen abspielt, hat Jost Hindersmann in dem schmalen Bändchen John le Carré: Der Spion, der zum Schriftsteller wurde zusammengefaßt. Die Ideenwelt des Thrillerautors ist dort gut und knapp zusammengefaßt, seine literarischen Techniken kommen allerdings nicht vor. Immerhin: le Carrés Entwicklung vom Antikommunisten zum zornigen Antikapitalisten wird nachvollziehbar dargestellt. Natürlich kann man Bücher eigentlich nicht ernst nehmen, deren Held "Richard Steele" heisst. Andererseits ist der bloß ein versoffener Arzt, der zum Kämpfen erst getragen werden muss. Und was Peter Clementi in Der unsichtbare Feind jenseits der Helden-Kolportage (mit gut modernisierter screaming blonde) an Gen-Techno-Thrill ausbreitet, kann einem schon nachhaltig auf den Magen schlagen. Öko-Terrorist fummelt Ebola in Popcorn, damit die UNO endlich mal Kontrollen einführt für den erbgutsherrlichen Umgang der Industrie mit unserer Unversehrtheit. Kitsch-Action im Dienste Greenpeaces. Die Geschichte des US-Geheimdienstes CIA ist eine Geschichte der Mißerfolge. So sieht es jedenfalls Robert Littell in seinem Buch Die Company, einem dieser seltsamen Roman-Bastarde zwischen Fakt und Fiktion: die politische Geschichte ist echt (Ungarn-Aufstand, Putsch gegen Gorbatschow), manche der Figuren sind es ebenfalls (der englische Spion Kim Philby, der CIA-Counterspy James Angleton), und dazwischen tummeln sich jede Menge erfundenes Personal und erfundene Geschichten. Dass etwa der Hitler-Sekretär Martin Borman ein KGB-Agent war ist zwar lustig ausgedacht, aber eben nur eine Idee. Und dass der 34 Tage-Papst Johannes Paul I. vom sowjetischen Geheimdienst mit einem Glas unbekömmlicher Milch vergiftet worden sei, ist ebenfalls nur eine (gewagte) Annahme. Das beschädigt das Werk insofern etwas, weil sich daraus eine seltsame Mischung aus CIA-Chronik und politischer Spekulation ergibt, deren Komponenten für den ungeübten Leser nicht ohneweiteres zu unterscheiden sind. Littell, der in den 80ern einigen Erfolg mit Thrillern hatte, bleibt in seinem Buch weit unter den Möglichkeiten eines Le Carré oder Ambler, seine verschiedenen Kapitel sind brav und spannend erzählt, ein Gefühl für die handelnden Personen und was sie wirklich antreibt, entwickelt man nicht. Nach 800 Seiten weiß man immerhin, dass Gut und Böse nicht so leicht zu unterscheiden sind. Und dass der Krieg der Spione ein Krieg der Idealisten war. Wie überhaupt nach Littells Ansicht die Geheimdienst-Gemeinden, hüben wie drüben, sich geradezu glänzend edelmütig von den durchweg zynisch-bekloppten Politikern abheben. Yasmina Khadra schrieb drei illusionslose Anti-Terror-Krimis aus der algerischen Hölle. Der dritte und bitterste, Herbst der Chimären ist jetzt als Taschenbuch erschienen. Die Plots der Brasilianerin Patricia Melo sind meistens banal, ihre Sprache ist es nicht. Das führt manchmal zu Ungleichgewichten, die irritieren. Gelungen ist ihr die Balance in Ich töte, du stirbst, zwei sehr locker miteinander verbundenen Storys über den Zwang, Morde zu begehen. Eine junge Frau entdeckt nach und nach, dass ihr Gatte ein Serienmörder und Vergewaltiger ist. Und fühlt sich zurückgesetzt: nur Frauen, die ihm was bedeuten, ermordet er; warum also ist sie noch am Leben? Die zweite Geschichte handelt von einem 50jährigen, der seine fette Nachbarin Celia so haßt, dass er sie umbringen will. Einfach so. Aber um sich ihr nähern zu können, muß er ihr den Hof machen. Und nett zu ihr sein. Was seine Verwirrung - und die des Lesers - nur steigert. Beide Geschichten leben von der abgehackten, ungeordneten Erzählweise, die scheinbar elliptisch um das immer gleiche Thema kreist, um plötzlich auszubrechen und den Weg ins Freie zu suchen. Was in Kolumbien (und der einst gewalttätigsten Stadt der Welt, Medillin) passierte, ist von hier aus kaum zu verstehen. Der Kampf gegen die großen Drogenkartelle scheint vorbei zu sein, der Bürgerkrieg ist es nicht. Auch Jorge Franco kann nicht viel erklären, nur beschreiben: Rosario Tijeras erzählt die Geschichte einer schönen gefährlichen Frau, die als Killerin und Hure für die Kartelle arbeitet. Ohne zu idealisieren beschreibt Franco die Faszination dieser Frau - und wie sie alles in ihrer Umgebung zerstört, auch die, die sie lieben. Aus der Perspektive eines verschmähten Liebhabers wird von einem Mädchen erzählt, das mit acht von ihrem Stiefvater vergewaltigt wird. Als Rosario mit 13 wieder zwei Vergewaltigern in die Hände fällt, kann sie sich rächen und schneidet einem der Kerle die Eier ab. Von nun an wird Rosario gefürchtet und geliebt. Dass sie in dieser Männerwelt trotzdem nie eine Chance hatte, erzählt Franco gleich im ersten Satz: "Weil Rosario geküsst wurde, als der Schuss sie aus nächster Nähe traf, verwechselte sie den Schmerz der Liebe mit dem des Todes". Auch wenn - nicht nur - dieser erste Satz gut bei Garcia Marquez abgeguckt ist, hat Franco einen eigenen, vorantreibenden Tonfall für seine "Rosario" gefunden. Dafür gab's 2000 den "Dashiell Hammett"-Preis. Auch wenn er monatelang auf Platz 1 der Bestseller-Zähler steht: Henning Mankells Roman Die Rückehr des Tanzlehrers ist eines seiner schwächsten Bücher. Der wehleidige Ermittler Stefan Lindner (er leidet an - obacht, Sümboll: Zungenkrebs), die starke Ausrichtung auf ein unsägliches Nazi-Verbrechen (das sich dann als ziemlich "normaler" Mord entpuppt), die schwankende Erzählperspektive - all das hat ein richtiges Gutmensch-Buch hervorgebracht, voll lauterer Absichten und ehrlicher Empörung. Aber es ist sterbenslangweilig. Für schwedische oder historisch ungebildete Leser mag die langsame Aufdeckung einer schwedischen Nazi-Szene und der schwedischen Verwicklungen in der Hitler-Zeit einen gewissen Kick haben. Wer aber schon vorher wußte, dass es SS-Freiwillige aus dem neutralen Schweden gab und dass schwedische Stahllieferungen der Wehrmacht mächtig beim Panzerbau halfen, wird auch das nicht wirklich spannend finden. Wie das alles mal anfing mit dem unlizensierten anarchischen Privatdetektiv Kinky Friedman und seiner Katze und wie der Kinkster mal schwer eins über die Rübe bekam und wie das überhaupt war mit den wilden 70ern - das steht in Kinky Friedmans feinem Comedy-Krimi Ohrensausen, der jetzt als Taschenbuch erschienen ist. Jeffrey Archer hat einen durchschnittlichen Ruf als Thriller-Autor. Jetzt will er auch noch Dickens werden. 14 "Erzählungen", zum Teil bestenfalls Plot-Notizen, zeigen sein Interesse an moralischen Parabeln - und sein Desinteresse an Pointen. Am liebsten sitzen die Protagonisten in Verbrechen lohnt sich am Kamin und erzählen sich sacht kriminelle Begebenheiten. Carolyn Haines pflegt ihren kraus modernen Dixie-Krimi-Stil weiter: Erdbeertorte und Emails, tiefe Südstaaten-Tradition und transsexuelle Nebenfiguren, der Geist von Großmamas Kindermädchen als beständiger Dorn in der Seite der unbemannten Mitdreissiger-Ermittlerin Sarah Booth ... und diesmal ist der "wir augenzwinkern über den Literaturbetrieb"-Trick: Kinky Friedmann schaut persönlich vorbei und rettet der Dame das Leben. Lauter Vergnüglichkeiten, über die man den Fall in Und führe uns in Versuchung glatt vergessen kann. Völlig zurecht brüstet sich der Distel Verlag damit, die Romane von Jean-Patrick Manchette herauszubringen. Der in den 90ern früh verstorbene Franzose war eine klassenkämpferische Mischung aus Mickey Spillane und Jim Thompson, ein sachlicher und wütender Berichterstatter von der Front des Kapitals und dem alltgälichen Irrsinn in den Städten. Manchettes Figuren, so sie die Bösen sind, haben meistens zu viel Geld und zu wenig Moral. Dass der Rest der Welt nicht viel besser ist, erfahren wir im Laufe des Plots. In Tödliche Luftschlösser flieht ein frisch aus der Psychiatrie entlassenes Kindermädchen vor einem magenkranken Killer, in Westküstenblues gerät ein Bourgeois unverschuldet in eine mörderische Intrige, was auf ihn langfristig eher befreiend wirkt, seinen neuen Fluchtpunkt, irgendwo im Wald bei portugiesischen Holzfällern, will er jedenfalls gar nicht mehr verlassen. Sieben Bände sind bisher bei Distel erschienen, für die ordentlich betreute Manchette-Werkausgabe gibts in diesem Jahr sogar eine "besondere Anerkennung" durch die Jury des Deutschen Krimipreises; bei soviel Ehre wäre es durchaus angemessen, wenn der Verlag erwähnte, dass Manchette schon einmal in Deutschland herausgebracht wurde, vor 10 Jahren in Basteis "Schwarzer Reihe. April Christofferson hat was gegen Organhandel. Und häuft in Das Protokoll derart böse Biotech-Labors, geheime Klonbabies in Pavian-Leihmüttern und smarte Industrie-Spione mit Liebesaffären darauf, dass der Spannungs-Vorwand sofort wieder als "alles völlig übertrieben" verpufft. Am schlimmsten aber ist die völlig unzureichende Schreibe, für die der Übersetzer sogar seinen akademischen Titel ablegte. -aco/thf/wing-
|
Jost Hindersmann: John le Carré: Der Spion, der zum Schriftsteller wurde NordPark Verlag, Wuppertal 2002, 108 S., 11,- EU ISBN: 3935421125 Peter Clementi: Der unsichtbare Feind Aus dem Amerikanischen von Dr. Rolf Tatje. Bergisch Gladbach 2003, 476 S., 7,90 EU ISBN: 3404148444 Robert Littell: Die Company Aus dem Englischen von Ulrike Wäsel und Klaus Timmermann. Scherz, Bern/ München/Wien 2002, 791 S., 28,- EU ISBN: 3502104301 Yasmina Khadra: Herbst der Chimären Aus dem Französischen von Regina Keil-Sagawe. UT metro, Union, Zürich 2002, 141 S., 8,90 EU ISBN: 3293202403 Patricia Melo: Ich töte, du stirbst Aus dem Brasilianischen von Barbara Mesquita. Klett-Cotta, Stuttgart 2002, 150 S., 16,- EU ISBN: 3608935592 Jorge Franco: Rosario Tijeras Aus dem Spanischen und mit einem Nachwort von Susanna Mende. Union, Zürich 2002, 189 S., 14,80 EU ISBN: 3293003036 Henning Mankell: Die Rückehr des Tanzlehrers Aus dem Schwedischen von Wolfgang Butt. Zsolnay, Wien 2002, 507 S., 24,90 EU ISBN: 3552052054 Kinky Friedman: Ohrensausen Aus dem Amerikanischen von Ulrich Blumenbach, Heyne, München 2003, 240 S., 7,95 EU ISBN: 3453865057 Jeffrey Archer: Verbrechen lohnt sich Aus dem Amerikanischen von Lore Strassel. Bergisch Gladbach 2003, 318 S., 7,90 EU ISBN: 3404148495 Carolyn Haines: Und führe uns in Versuchung Übersetzt von Dietmar Schmidt. Bergisch Gladbach 2003, 445 S., 7,90 EU ISBN: 3404148525 Jean-Patrick Manchette: Tödliche Luftschlösser Aus dem Französischen von Stefan Linster, Distel, Heilbronn 2002, 194 S., 10,80 EU ISBN: 3923208634 Jean-Patrick Manchette: Westküstenblues Aus dem Französischen von Stefan Linster, Distel, Heilbronn 2002, 169 S., 10,80 EU ISBN: 3923208626 April Christofferson: Das Protokoll Aus dem Amerikanischen von Rolf Tatje. Bergisch Gladbach 2002, 524 S., 7,90 EU ISBN: 3404147804 |