DIE KLEINE KRIMI-RUNDSCHAU (15. Lieferung)

Sprich mit ihr!


und hier die vorherige-Ausgabe



Eines immerhin leistet Stefan Howald in seiner Biografie über Eric Ambler: man kann sich die Lektüre der Romane sparen, weil Howald sie so genau nacherzählt und analysiert, dass da wenig Fragen offen bleiben. Aber trotz einer manchmal zum Geschwätzigen neigenden Ausführlichkeit ist Howald zwei Dingen nicht so richtig auf die Spur gekommen: Amblers politischer Haltung und der handwerklichen Genialität, mit welcher der Engländer in den 30er Jahren den Polit-Thriller recht eigentlich erst erfand. Geradezu albern wörtlich nimmt Howald Eric Amblers ironische Aussage, der Detektiv-Roman sei ja schon "revolutioniert" gewesen (unter anderem durch den "Groschenheftschreiber" Hammett, wie Howald arrogant anmerkt), da sei ihm nur der Spionage-Thriller geblieben. Ein bißchen mehr Engagement darf man bei dem etwas haltlosen jungen Mann schon vermuten, der die Entwicklung des faschistischen Europa präzise voraussah und der auch in seiner zweiten Schreib-Phase (ab den 50ern) noch Thriller schrieb, an die nur le Carré heranreicht. Auch deshalb, und das kommt bei Howald gar nicht vor, weil Ambler gute Plots mit bemerkenswerten Helden verband. Schön ist die Ausführlichkeit, mit der Howald auf Amblers diverse Abstecher in die Filmindustrie eingeht. Das ingesamt etwas gespreizte Werk kommt dennoch nicht umhin, Ambler für einen "exemplarischen aufklärerischen Unterhalter" zu halten. Immerhin.


In Das Russland-Haus hat John Le Carré die Liebe ähnlich in den Mittelpunkt gestellt wie in Der ewige Gärtner (im Englischen viel schöner: The Constant Gardner). Nur dass es hier um die Liebe zu einer Frau geht, die schon tot ist, wenn der Roman beginnt: die Aktivistin Tessa Quayle, Gattin eines britischen Botschaftsangehörigen, wird vergewaltigt und ermordet in der kenianischen Wüste gefunden. Und es braucht - spannende - 100 Seiten, ehe sich der langweilige Gatte, Justin, der ewige Gärtner, aufmacht, den Tod seiner Frau zu untersuchen. Getrieben von Schuldgefühlen, weil er seiner Frau zu Lebzeiten keine Hilfe war, dringt der graue, unscheinbare Witwer ins Geflecht einer Verschwörung ein, an der die britische Regierung und ein Baseler Pharmakonzern beteiligt sind. Es geht um Afrika als Testlabor für neue Medikamente, und so erschütternd und finster das ist, was Le Carré da beschreibt - im Vergleich zur Wirklichkeit, schreibt er in einem Nachwort, sei sein Roman nur eine Urlaubspostkarte. Das Buch, das jetzt als Taschenbuch vorliegt, ist, vor allem formal, eines der besten von le Carré.


Kathy Munger gibt nicht auf beziehungweise ihre dralle Schnalle Casey Jones säuft, frisst und sexualisiert sich in Wort und Tat durch ihren zweiten Fall (Gnadenfrist). Einerseits wie eine späte Chandler-Nichte, andererseits als Donut-Junkie mit EMMA-Abo. Über Übersetzung - und Handlung - kann man streiten, über den Spass daran nicht. Auf der Postkarte, die sie an einen ihren Teilzeit-Lover aus dem Karibik-Urlaub mit einem anderen schreibt, nachdem sie eine angebliche Polizistenmörderin aus der Todeszelle ermittelt hat, steht etwa: "Das Wetter ist hier. Wünschte du wärst wunderbar".


Gayle Lynds gräbt ein altes Motiv in seltsamer Modernisierung wieder aus: ein verpflanztes Herz verursacht Charakter-Änderungen bei der Empfängerin. Die ermittelt daraufhin gegen ihren Spender - und erfüllt damit womöglich dessen letzten Willen, denn er war zu Lebzeiten in eine KGB-Intrige verwickelt. Hui. Robert Ludlum lobt dieses Buch auf dem Umschlag über den Klee - aber dass er mit Frau Lynds zusammen Romane schreibt, steht nicht dabei. Weil sie in einem anderen Verlag erscheinen? Dafür legt der Übersetzer von Das Herz des Bösen (im Original viel anspruchsvoller Mesmerized) die Adresse der deutschen Organspende-Zentrale nach - aber keinen Recherche-Start zum Thema "Zellgedächtnis". Dabei ist nur die Wiederverwertung dieses magischen Topos' interessant: Orlacs Hände des Mörders, das kriminelle Hirn in Frankensteins Monster ... die Thriller-Komponente leidet dagegen unter dem Para-Science-Gebrabbel. Andererseits: es gibt dünnere Bastei-TBs, die teuerer sind.


Der (für sein 12 Jahre altes Roman-Debüt Freigang) Aspekte-Literaturpreis-Träger Ulrich Woelk hat schon wieder keinen Krimi geschrieben. Auch wenn Die letzte Vorstellung anfängt wie ein TV-Tatort: Mozart dröhnt aus einem norddeutschen Haus hinterm Deich, der Orts-Pfarrer joggt daran vorbei, findet sich stapelnde Post vor dem Eingang seltsam und hat "Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen" so im Ohr wie verquollende Politiker-Fratzen auf der verregneten Zeitung im Auge. Ein Ex-RAF-Terrorist wurde da ermordet. Hingerichtet. Und eine junge Ex-DDR-Polizistin mit BKA-Karriere muss mit dem trüben Land-Kommissar das Rätsel lösen. Beide ermitteln relativ ausgewogen zwischen Stasi und V-Männern in der deutschen Geschichte herum - und es nieselt Sentenzen wie "Und im Übrigen ist es immer leicht, alt gewordenen Weltverbesserern einen Widerspruch in ihrer Biografie nachzuweisen, wenn man sich selbst auf den ungefährlichen Standpunkt des zynischen Beobachters stellt." Oha. Aber die Naturlyrik ist recht einfühlsam. Und die Berlin-bei-Nacht-Passagen freuen Großstadt-Feinde. Nur blöd, dass sich die Personen allesamt anhören wie tot. Da muß man gar nicht wissen, wer es war; es steht ja vorne drauf: der Autor.


Die ersten 40 Seiten von Kjell Ola Dahls Debutroman Sommernachtstod sind ganz hervorragend. Mit wenig Aufwand, aber ganz dicht dran an der Figur zeichnet er das Bild einer jungen Frau, Ex-Junkie, Ex-Hure, die ihr Leben in den Griff kriegen möchte. Zwischen einem dummen Freund, einem geilen Ex-Freier und einem etwas zu verständisvollen Softie sucht sie ihren schwierigen Weg - und liegt dann, nackt, vergewaltigt und ausgeraubt, tot an einem See - Auftritt der Komissare, Ende des Vergnügens. Denn was jetzt folgt an ermüdend-altkluger Ermittlerei fällt vollkommen ab. Außerdem ist die Auflösung dre wirren Geschichte schlecht - der Mörder muß der sein, der am wenigsten aufgefallen ist.


Der nordisch-sozialdemokratische Krimi droht an seiner Klugheit zu ersticken: Karin Fossum, norwegische Erfinderin des Kommissar Sejer, hat in Dunkler Schlaf dermaßen viele innere Monologe platziert, dass wir nun wirklich wissen, wo das alles herkommt: die Gewalt, Orientierungslosigkeit, Homosexualität, Einsamkeit - es könnte einem durchweg das Herz zerreißen, wenn die endlos gedehnte Geschichte nicht so sterbenslangweilig verquasselt wie eine "Derrick"-Folge wäre: Junger Schnösel überfällt alte Frau, kriegt dabei eins über die Rübe, liegt fortan lebend, aber mit gebrochenem Wirbel, im Keller und muß sich mit der Alten Dialoge liefern, die besser nie geschrieben worden wären.
-aco/vl/wing-
Stefan Howald: Eric Ambler Diogenes, Zürich 2002, 593 S., 29,90 EU ISBN: 3257063253
John Le Carré: Der ewige Gärtner Aus dem Englischen von Werner Schmitz. List, München 2002, 558 S., 9,95 EU ISBN: 3548602290
Kathy Munger: Gnadenfrist Aus dem Englischen von Tom Appleton, Unionsverlag, Zürich 2002, 365 S., 9,90 EU ISBN: 3293202470
Gayle Lynds: Das Herz des Bösen Aus dem Amerikanischen von Rolf Tatje, Bastei, Bergisch-Gladbach 2002, 638 S., 7,90 EU ISBN: 3404148258
Ulrich Woelk: Die letzte Vorstellung Hoffmann und Campe, Hamburg 2002, 304 S., 19,90 EU ISBN: 3455079113
Kjell Ola Dahl: Sommernachtstod Aus dem Norwegischen von Kerstin Hartmann-Butt. Ehrenwirt, Berg.-Gladbach 2002, 475 S., 19,90 EU ISBN: 343103425X
Karin Fossum: Dunkler Schlaf Aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs, Piper, Münchern 2002, 263 S., 18,90 EU ISBN: 3492042236