DIE KLEINE KRIMI-RUNDSCHAU (14. Lieferung)

Bewegliche Ziele


und hier die vorherige-Ausgabe



Die Lobrede auf das fehlende Teil sieht nur von weitem wie ein Krimi aus. In einer Welt, in der es Weltmeisterschaften im Schnellpuzzeln gibt, geht ein Serien-Mörder um, sägt seinen Opfern Körperteile ab und ersetzt sie durch Polaroids der vermissten Teile. Am Ende kriegen wir ihn. Wortwörtlich wir, denn der Leser tritt als Figur im ersten Roman von Antoine Bello auf. Außerdem jede Menge Puzzle-Werk, wilde Theorien über Erkenntnis und Paßform-Interesse, schräge Debatten zwischen konkurrierenden Schulen in der Puzzle-Szene, komische Typen, die ihren Hochleistungssport wie Pop-Stars ausüben; und er setzt eine Menge Stil-Mittel-Bausteine zusammen, Protokolle, Briefe, multi-perspektivische Erzählweisen ... ein Genuss für Sonderlinge.


Den Namen Richard Dooling werden wir uns merken. Sein Watsons Brainstorm geht mit solchem Karacho und quer zu allen Erwartungen zu Werke, dass man gerne mehr liest. Also: ein tumber Weisser bringt einen schwarzen Gehörlosen-Lehrer und Dichter aus Eifersucht um - das liberale Amerika rast, die Anwaltskanzlei mag den Pflichtfall nicht, aber unser Held mag die strafverschärfende "hate crime"-Klausel nicht. Weil das Konstrukt zum Schutz rassisch unterprivilegierter meist eingesetzt wird, um Handtaschenräubern noch einen extra aufzubrummen. Dazu kommen die neuesten Hirnforschungs-Diskussionen (was ist Hass? kann man ihn ausoperieren?) und etwas zu viele Computer-Metaphern für menschliche Beziehungen (ich wollte ihre config.sys umschreiben). Höhepunkt: eine Sex-Szene mit einer Primaten-Forscherin, vollverkabelt auf dem Hirnstrom-Test-Stuhl.


Obwohl die Italiener seit Berlusconi gut aufgeholt haben, gilt Belgien als europäisches Mutterland der Korruption. Nirgendwo sonst treffen die Intrigen von Flamen und Wallonen, Adel, Königshaus, Katholizismus und organisiertem Verbrechen so schön ungebremst aufeinander wie in Belgien, wo dem Kinderschänder und -mörder Dutroux auch nach sechs Jahren Untersuchungshaft noch nicht der Prozess gemacht werden kann und demokratische Wahlen nur eines garantieren: dass sich nichts ändert. Einer, der seit Jahrzehnten die belgischen Verhältnisse beschreibt, ist Jef Geeraerts, dessen Krimi Der Generalstaatsanwalt jetzt auf deutsch erschienen ist. Der Roman spielt ausschließlich auf der Herrschaftsebene, Bedienstete tauchen nur auf, wenn sie gebraucht werden, als Mietling oder Bettgefährtin. Anonsten ist man unter sich, faßt allenfalls ins Auge, dass diese oder jene Enthüllung ein "Skandal" werden könnte, aber vom Generalstaatsanwalt bis zum Revierchef sind alle eine große Familie der Vertuscher, die sich nicht um Gesetze scheren. In Unordnung gerät das System, als die katholische Edel-Sekte "Opus Dei" eine Intrige einfädelt, um dem Generalstaatsanwalt ein paar Grundstücke und Aktienobligationen sowie sein schweizer Nummernkonto zu entwenden. Höchst kunstvoll werden dazu einige Hebel in ganz Europa in Bewegung gesetzt, Gesetze gebrochen und Telefone abgehört. Es wäre auch alles glattgegangen, wenn der mit einer vertrocknet-katholischen Alt-Adligen verheiratete Generalstaatsanwalt nicht gerade seinen zweiten Frühling erlebte. Er bumst nicht nur heimlich und hingebungsvoll sein ewig nasses polnisches Dienstmädchen - er verliebt sich sogar. Weshalb ihm die ganze Epressung ziemlich am Arsch vorbeigeht. Je realistischer Geeraerts die Verhältnisse schildert, desto heftiger wird die Geschichte zur Kolportage, von der Opus Dei-Zentrale bis zur örtlichen albanischen Mafia haben plötzlich alle ihre Finger im Spiel. Aber man hat nie den Eindruck, dass Geeraerts übertreibt. Zumal er seine Figuren mit süffisantem Zynismus ausgestattet hat. Über die "Neue Politische Kultur", die in Belgien nach dem Dutroux-Skandal beginnen sollte, sagt das Buch nur: Damit ist es wie mit jungem Beaujoulais: Man trinkt ihn - man pißt ihn.


Philipp Vandenberg ist furchtbar. Als populärer Archäologie-Autor hat er ein paar Verdienste, als Bestseller historisch verbrämter Krimis ist er einfach eine Zumutung. Im Purpurschatten etwa entdeckt ein Journalist, dass er der illegitime Sohn des Papstes ist, dass eine Vatikan-Mafia den Papa umbringen will, dass korrupte Kardinäle Bilder fälschen lassen, um die Originale an reiche Privat-Sammler zu verscherbeln, dass man Sex-Szenen noch schlechter als in Supermarkt-Heftchen schreiben kann ...


Zu den deutschen Nachkriegs-Mythen gehört auch, dass die Kriminalpolizei unter den Nazis im großen und ganzen "anständig" gearbeitet habe und die ganzen Sauereien auf das Konto der SS oder Geheimen Staatspolizei gehen. Der Freiburger Historiker Patrick Wagner hat in einem schmalen Bändchen Hitlers Kriminalisten diese Behauptung noch einmal untersucht. Von der Weimarer Zeit bis in die 60er Jahre verfolgt er die Entwicklung, und - wen wundert's - entdeckt Kontinuitäten. In den 20er Jahren bildete sich bei der Kripo das Bild des "Berufsverbrechers" heraus, der mit den von den Nazis dann bereitgestellten Mitteln wunderbar bekämpft werden konnte. Das "Konzept" weitete sich schließlich aus, die Kripo konnte als "Asoziale" Titulierte ohne Rückfrage ins KZ schicken; und tat das zehntausendfach. "Asozial" waren Obdachlose, Sinti und Roma, ledige Frauen mit wechselnden Sexualpartnern. Als die Nazi-Bande, die auch für Exekutionen und "Säuberungen" in besetzten Gebieten zuständig war (allein der Kripo-Chef Nebe war für die Ermordung von 43.000 Menschen verantwortlich), nach 1945 wieder in den Staatsdienst drängte (vor allem in das neugegründete BKA), war es ihr wichtigstes Anliegen, die "Sicherheitsverwahrung" wieder einzuführen, ohne richterliche Anordnung, versteht sich. Wagner nimmt es als Beweis für die Stabilität der deutschen Demokratie, dass sie die Nazi-Kripo relativ problemlos integrieren konnte. So kann man das auch sehen.


Philip Jolowicz ist neu in der Branche der Crime-Writer, aber ein alter Hase im Finanz-Dschungel des Welt-Kapitals. Da spielt auch sein Erstling Kartell des Schweigens. Einem Finanz-Anwalt in New York führt ein Freud einen spekatulären Autounfall vor: 15 Tote, Millionen Schaden - und plötzlich gehört dem Helden das Auto und er soll das Oper mit Drogen versorgt haben. Seine Firma schiebt ihn nach Indien ab - aber er hat da noch eine Leiche im Keller, einen mysteriös gestorbenen Vater. Alles entuppt sich als Intrige, mit der der Tote von der ersten Seite Nachforschungen erzwingen wollte. Die führen zu sehr viel Geld, und in den Kinder-Handel zur sexuellen Ausbeutung. Es wird alles immer dunkler und ekliger. Jolowicz schafft glaubwürdige Charaktere, die hier nicht bloss heldenhaft und da nicht nur Schweine sind - und er liefert die Aufklärung, langsam, mit einer von Edgar Allan Poe inspirierten Code-Brecher-Szene, aber er verweigert ein Happy End. So kann er gerne weiter machen.


Dass Schwestern der Nacht von Masako Togawa noch einmal aufgelegt wird, ist schön. Noch schöner ist, dass Herausgeber Thomas Wörtche endlich mal wieder ein kluges Nachtwort geschrieben hat, in dem er die Bedeutung dieser Autorin und ihres Romans aus dem Jahr 1963 ins rechte Licht rückt. Tatsächlich ist Schwestern der Nacht unerhört modern, düster, zynisch: Die eigentliche Hauptfigur bleibt im Dunkeln, wir sehen nur, wie ein Frauen-Erleger, ein Don Juan in ein Mordkomplott vertrickt wird: hinter ihm sterben die Damen weg wie nichts, und alles deutet darauf hin, dass er der Mörder ist. Er ist aber nur ein dummer, unsensibler Stecher, an dem eine auserlesene Rache vollzogen wird. Mit kalter Distanz und viel psychologischem Beiwerk beschreibt Togawa diese Reise in den Untergang.


Alex Cross hat es bisher zu zwei Filmen gebracht, als Morgan Freeman, aber der Auftritt des schwarzen Kriminalpsychologen in Rosenrot Mausetod wird kaum ins Kino kommen. Zu deutlich setzt Autor James Patterson darauf, dass wir den Killer von Anfang an sehen und denken hören können, aber nicht erkennen. Erst auf der letzten Seite wird er enttarnt, vor uns, nicht von Cross. Bis dahin klappert das Handwerk: ein Superverbrecher macht sich einen Spaß daraus, Spuren zu legen und seinen Jäger persönlich zu demontieren. Alles klappt, nichts hat einen Subtext, und über die Welt lernen wir auch nicht viel. Simples Spannungs-Futter.
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Antoine Bello: Lobrede auf das fehlende Teil aus dem Französischen von Claudia Kalscheuer, Hofmann & Campe, Hamburg, 288 S., 18.95 EU ISBN: 3455003400
Richard Dooling: Watsons Brainstorm aus dem Amerikanischen von Giovanni und Ditte Bandini, dtv Nr. 20540, Deutscher Taschenbuch Verlag, 551 S., 12.- EU ISBN: 3423205407
Jef Geeraerts: Der Generalstaatsanwalt Aus dem Niederländischen von Hans-Ulrich Jäckle. Unionsverlag, Zürich 2002, 316 S., 19,80 EU ISBN: 3293003001
Philipp Vandenberg: Purpurschatten Bastei-Lübbe Nr. 14771, Bergisch Gladbach, 541 S., 8.90 EU ISBN: 3404147715
Patrick Wagner: Hitlers Kriminalisten. Die deutsche Kriminalpolizei und der Nationalsozialismus beck'sche reihe 1498, C.H. Beck, München 2002, 218 S., 12,90 EU ISBN: 3406494021
Philip Jolowicz: Kartell des Schweigens übersetzt von Rainer Schumacher, Bastei-Lübbe, Bergisch Gladbach, 542 S., 19.90 EU ISBN: 3785720890
Masako Togawa: Schwestern der Nacht Aus dem Japanischen von Carla Blesgen. Union TB 246, Zürich 2002, 191 S., 8,90 EU ISBN: 3293202462
James Patterson: Rosenrot Mausetod Aus dem Amerikanischen von Edda Petri, Ehrenwirt, Bergisch Gladbach 2002, 302 S., 19,90 EU ISBN: 343103313X