DIE KLEINE KRIMI-RUNDSCHAU (12. Lieferung)

Außenseiter, Einzelgänger


und hier die vorherige-Ausgabe


Das schöne an Kinky Friedman ist, dass er nur über Kinky Friedman schreibt. Und seine Freunde. Straßenpizza spielt im Tour-Bus der Country-Legende Willie Nelson, im echten Leben ein guter Freund von Kinky Friedman, der sich ja selbst auch als Country-Sänger versucht hat. Jedenfalls: eines Tages überfährt Nelsons Bus mitten in der Nacht einen betrunkenden Indianer. Und seitdem ist Willie mächtig beunruhigt, weil er fürchtet, dass jetzt ein Fluch auf ihm lastet. Und die seltsamen Vorfälle häufen sich seit dem. Auch Straßenpizza ist kein "richtiger" Krimi sondern mehr ein Ansammlung von Straßenweisheiten und Anekdoten, dem letzten wilden Cowboy der Literatur. Über Katzen, Juden, Country-Musik (er zitiert den Jazz-Schlagzeuger Buddy Rich, der sterbenskrank darniederlag, und als die Schwester fragte: "Kann ich noch was für Sie tun?" antwortete: "Ja, schaffen Sie die Country Musik ab"), Espressomaschinen, das Leben, Kris Kristofferson, Charles De Gaulle - es gibt nichts, wozu der Kinkster, wie ihn seine Freunde nennen, nicht was zu sagen hätte. Hier hat er ausgesprochen viel über Willie Nelson zu sagen, dessen lebenslange Tournee (immer unterwegs mit drei Bussen, in Bus 1 ist die Technik, in Bus 2 die Crew und in Bus 3 all das Gras, das in Bus 2 verraucht wird), seine Liebe zur Musik und dass es schlechterdings undenkbar ist, dass jemand dem herzensguten Country-Oldie ans Fell will. Außer vielleicht das FBI, mit dem Nelson im Clinch liegt. Über der ganzen Geschichte liegt wieder die Whisky-selige Schwermut eines Mannes, der fröhlich verliert und trotzdem in all seinen Büchern erklärt, dass der übliche Morgenschiß bei ihm immer noch "einen Nixon abseilen" heißt.


John T. Lescroart ist der Grisham für Leute, die Grisham nicht mögen. Er schreibt seit 1993 jedes Jahr einen Justiz-Thriller, häufig mit einem Anwalt und einem Morddezernats-Chef als Helden, und immer mit Ecken und Kanten an seinen Protagonisten. In Der Schwur zerstreiten sich die befreundeten Verteidiger und Verhafter ernstlich über einen seltsamen Fall. Der Chef einer nahezu bankrotten Krankenversicherung wird beim Joggen von einem Auto überfahren. Fahrerflucht. Das komatöse Opfer stirbt kurz darauf an einer falschen Infusion im Krankenhaus. Und seine Familie wird abgeschlachtet. Dann kriegen wir das amerikanische Gesundheitssystem erläutert. Und die harten wirtschaftlichen Interessen hinter den Kampagnen für Positivlisten und Generika. Die deutsche Ärztekammer wäre vom Aplomb entzückt, nur nicht vom Täter, den die beiden natürlich sich rechtzeitig aussprechenden Männer vom Fach erst kurz vor der letzten Seite fangen. Ordentlich.


Wie so oft bei Eric Ambler ist der Held in Nachruf auf einen Spion ein Staatenloser, hier sogar einer, dessen Land untergangen ist: der Teil Ungarns, in dem er geboren wurde, gehört jetzt zu Jugoslawien. Als Fremdsprachenlehrer in Paris ist Monsieur Vadassy jederzeit von Ausweisung bedroht, ein Spielball der Behörden. Als während seines Urlaubs sein Fotoapparat vertauscht wird, steckt er plötzlich mitten in einer Spionagegeschichte. Die Polizei zwingt ihn, in seinem Urlaubshotel einen Spion zu entlarven. Was Ambler sich an Personal für dieses kleine Hotel Réserve ausgedacht hat, ist von wundersamer Melancholie und Hellsichtigkeit durchdrungen. Halb Europa hat sich da versammelt und wartet auf den Untergang, zwei lustige Aemrikaner beobachten das Ganze amüsiert - der Roman erschien 1938. Von den Ambler-Romanen der ersten Phase ist dies vielleicht der bitterste. Als der Spion, ein wirklich unsympathischer Kerl, am Ende tot ist, denkt der Held: "In meinen Ohren war noch immer dieser grauenhafte Schrei. In Gedanken sah ich Mademoiselle Martin und den Spion eng aneinandergepreßt am Billardtisch stehen ... er war nur ein kleiner Fisch gewesen ... ein Befehlsempfänger ... sie war bloß seine Geliebte. Ja, natürlich. So mußte man es sehen." Diogenes hat den Band, neu übersetzt, wieder herausgebracht.


Mit Verspätung hat dtv jetzt auch eine Krimi-Reihe aufgelegt, die ersten Veröffentlichungen sind allerdings enttäuschend. Halbwegs nett: Held der Arbeit von Thomas Niermann und Christos Yiannopoulos, die sich als Held einen Ex-Kripomann aus der Ex-DDR ausgedacht haben. Der Kerl, früher der "Sachsen-Schimi" genannt, also Typ: alte Lederjacke, coole Sprüche, fährt Taxi in Düsseldorf. Und gerät in einen Fall, der 1988 in Leipzig begann. Der Plot ist gut ausgedacht, ein bißchen Historie und ein bißchen Moral spielen herein, und wenn gar nichts weiterhilft, hat der Held seine rothaarige, sommersprossige Komissarin Valerie, die's auch mit Über40jährigen treibt. Nur leider können Niermann und Yiannopoulos überhaupt keine Dialoge schreiben, und die Auflösung des Falles mündet in einem doppelkrawalligen Finale, das nichts mit Logik zu tun hat.


Thomas W. Simpson ist ein fieser Kerl. Fängt er doch Tödliches Spiegelbild mit einem schön entspannt zurückdatierten Prolog aus den 80ern an - um den dann plötzlich, möglicherweise kurz vor einem Mord, abzubrechen. Und das ganze dicke Buch danach im nervösen Präsens zu erzählen. Gedankensprünge, Szenenwechsel, Rückblenden, alles in der Gegenwart aufgeschrieben, bis man ganz atemlos wird davon. Zwei Brüder treiben es wild, teilen sich eine Ehefrau und ein Doppelleben, der eine wird Schriftsteller, der andere wahnsinnig. Einer von beiden hat natürlich auch das Buch geschrieben, das wir gerade lesen, und ihre Frau hat zwei Söhne, Zwillinge, mit denen es vermutlich genau so weiter gehen wird. Und so böse enden, wie dieses interessantre Experiment.


Die zur Zeit beste Krimi-Reihe "metro" aus dem Unions Verlag scheint in der Krise zu stecken. Mindestens ist das an den Covern zu sehen, die eher auf Kaufanreiz als inhaltliche Anbindung setzen. Jon Ewo zum Beispiel hat mit Rache einen wahrlich finsteren Unterwelt-Thriller geschrieben. Vergewaltigung, Mord, Erpressung, Sex mit Minderjährigen - in distanzierter Lakonie schreibt Ewo über ein Norwegen ganz unten. Sein Held Alex Hoel, immerhin, ist ein Ex-Krimineller, der den Absprung schaffen will und eine Bar eröffnet hat. Aber am Ende steckt er mitten in einer Geschichte, an deren Ende ein Mann erschlagen, ein anderer erwürgt, eine vorwitzige Hure erstickt und eine Vietnamesin zu Tode vergewaltigt wird; hard stuff. Und was packt der Verlag aufs Cover: ein paar nackte Damenfüße in edlen High Heels. Also wirklich!


Paul Carson ist Ire und einmal zitiert er heimlich Flann O'Brian; mehr Lokalkolorit gibt's aber nicht in Tod in Dublin. Das ist Carsons zweiter Medizin-Thriller (nach Das Skalpell) und wieder gilt: die ersten 30 Seiten kann man vom Blatt weg verfilmen, später stolpert der Erzähler mit Gedanken-Sätzen immer ungelenker in die spannend ausgedachten und geschickt arrangierten Szenen-Bilder. Eine Arzt-Tochter wird im Park erstochen, in einem Herz-Zentrum häufen sich Medikamenten-Opfer, und ein hinkender Bulle führt uns durch die Eingeweide des Körper-Reparatur-Betriebs, von der Pathologie bis zur Bypass-Operation, bis zum Skandal in höchsten Kreisen. Alles etwas überm guten Durchschnitt, wenn nur die Sprache nicht wäre; oder der des irischen Englisch wohl nur begrenzt mächtige Übersetzer, der "er merkte die Seite ein" sagt, wenn er "ein Eselsohr machen" meint.
-aco/thf/vl/wing-
Kinky Friedman: Straßenpizza Aus dem Amerikanischen von Ulrich Blumenbach. Heyne Nr. 13434, München 2002, 286 S., 7,95 EU ISBN: 3453198948
John T. Lescroart: Der Schwur Aus dem Amerikanischen von Karin Dufner. Heyne, München 2002, 440 S., 22,- EU ISBN: 3453214064
Eric Ambler: Nachruf auf einen Spion Aus dem Englischen von Matthias Fienbork. detebe 23250, Diogenes, Zürich 2002, 312 S., 9,90 EU ISBN: 3257232500
Thomas Niermann & Christos Yiannopoulos: Held der Arbeit dtv Nr. 20519, München 2002, 250 S., 9,- EU ISBN: 3423205199
Thomas W. Simpson: Tödliches Spiegelbild Aus dem Amerikanischen von Karen Meddekis. Bastei, Bergisch Gladbach 2002, 509 S., 8.90 EU ISBN: 3404147413
Jon Ewo: Rache Aus dem Norwegischen von Christel Hildebrandt. ut metro Nr. 233, Union, Zürich 2002, 269 S., 9,90 EU ISBN: 3293202330
Paul Carson: Tod in Dublin Aus dem Englischen von Hubert Straßl. Bastei, Bergisch Gladbach 2002, 333 S., 8.90 EU ISBN: 3404147308