DIE KLEINE KRIMI-RUNDSCHAU (11. Lieferung)

Mord in Serie


und hier die vorherige-Ausgabe


Carolyn Haines ist eine ulkige Nudel. Und lässt sich am Ende ihres zweiten Romans um die Dixie-Ermittlerin Sarah Booth Delany (Kein Friede seiner Asche, nach Wer die Toten stört) von einer ihrer Nebenfiguren interviewen. Und ihre Detektivin vom Geist des Kindermädchens ihrer Ururgrossmutter begleiten. Und einen alten Bestseller-Autor ermorden, der noch ein Manuskript in der Schublade hat, vor dem sich jeder fürchtet. Das wird ganz ohne parabolischen Anspruch gut gelaunt so herunterfabuliert, wie es den vielen handelnden Damen gefällt. Und es gefällt sicher allen, die an Rita Mae Brown nur die Katzen störten. Vieleicht sollte man ein Sub-Genre aufmachen: Patente Südstaatlerinnen.


Ein Serienmörder geht um. Und nur der pensionierte Ermittler Gurko, der in seiner Wohnung eine Tierpension betreibt, erkennt das. Anna Dankowtsewa ist in So helle Augen redlich bemüht, einerseits westliche Standards zu erfüllen, wenn es um durchgeknallte Serienkiller geht, andererseits einen persönlichen Erzählstil zu entwickeln, der mehr Wert auf die Beschreibung der Welt der "Normalen" legt als auf die des Killers. Das Ergebnis liest sich ein wenig altbacken und umständlich, der Schluß ist dafür ein bißchen an den Haaren herbeigezogen. Das Buch soll der erste Teil einer Trilogie sein; vielleicht wird's ja noch was.


Mark Chisnell kann Segeln und Bücher darüber schreiben. Jetzt versucht er, einen Segler-Krimi zu schreiben, und Europas grösster Wassersport-Fach-Verlag Delius Klasing eröffnet mit Chisnells Gnadenloses Spiel seine neue Windkraftkahnkrimireihe. Netter Einfall. Leider bedankt sich Chisnell im Vorwort für seine leitende Idee bei "William Hofstadters" Prisoners Dilemma-Essays. Autsch, es war aber Douglas R. Hofstadter, und was der kompliziert-kluges zu dem Konflikt sagte, lässt Chisnell sowieso weg. Nur das Grund-Drama bleibt: Kooperieren mit kleinen Kosten für alle versus Nicht-Kooperieren mit Gewinn für das Schwein. Der fiese Möpp spielt mit Held, Heldenfrau, Freund und Feind das Dilemma durch: das Schwein kommt frei, ein einsamer Guter wird erschossen, zwei Kooperierende kriegen eine gute Russisch Roulette-Chance, zwei Schweine eine schlechte. Ja, doch, das spannt. Da sollte mal einer einen Roman drüber schreiben; aber nicht Chisnell.


Pablo De Santis tut nur so, als ob er Krimis schriebe. Vielmehr macht er richtige Literatur, die in Argentinien nur eben öfter auch mal als Krimi auftritt. Und eigentlich immer als Parabel. Zwei Romane mit herbeigeführten Leichen und ziemlich nutzlosen Ermittlungen gibt es von De Santis auf deutsch: Die Übersetzung und Die Fakultät. Schon die Titel verraten, es geht akademisch und apodiktisch zu: in der Übersetzung fallen mehrere Übersetzer auf einem Kongress am Ende der Welt tot um, während der Protagonist sich ablenkend in eine wiederaufgetauchte Jugendliebe verguckt. Dann aber doch herausfindet, dass scheinbar eine unübersetzbare "Sprache des Todes" die Tatwaffe ist. Ideenliteratur über Wort und Welt, Zeichen und Bedeutung, für Leute, denen Umberto Eco zu aufregend ist. Und Jorge Louis Borges zu versponnen. Die Fakultät (ein Jahr vor der Übersetzung geschrieben) ist dunkler, dramatischer und beinahe filmreif: im langsam verfallenden Labyrinth einer Bibliothek suchen verfeindete Forschergruppen nach einem wichtigen Buch, locken sich gegegseitig auf falsche Fährten, schreiben Fälschungen, finden heraus, dass es gar kein Buch gibt ... und dann kommt der echte Autor und bringt alle um. Bis auf den Erzähler, weil wir es sonst ja nicht lesen könnten. Und die Bibliothek versinkt in einem gigantischen Wasserschaden.


Wenn Journalisten dicke Bücher schreiben ... Jess Walter ist einer in Washington und hat sich für Sündenfall 500 Seiten ausgedacht, von denen man die Hälfte besser weggelassen hätte (vor allem in der deutschen Übersetzung: "Die Straße wogte vor Menschen" - also bitte!). Der Rest ist eine durchschnittlich spannende Cop-Geschichte mit einer desorientierten Heldin (nie gut: ihre Mutter ist gerade gestorben) und einem Frauenkiller, der eine Menge Bücher über Frauenkiller gelesen hat. Drolligster Einfall: Vom FBI kommen gleich zwei Profiler, die sich ständig in den Haaren liegen und einander mit "Bettnässer!" und "Säufer!" beschimpfen. Der Fall wird dann eher zufällig gelöst, was der gesamten Intention des Buches entspricht, weil der Autor diesem neumodischen Kram wie Profiling und Computern skeptisch gegenübersteht. Einmal äußert er den Verdacht, das jemand, der im "Penthouse" blättert, unter Umständen schon auf der dunklen Straße dorthin ist, an deren Ende man Wagenheber in eine Vagina schieben möchte. Jess Walter scheint mehr Probleme zu haben, als ihm selbst bewußt ist.


Mit Andrea Camilleri und seinem neuen Buch Die Nacht des einsamen Träumers hat es endlich mal einer auf die Bestsellerlisten geschafft, der's auch verdient. Der Band enthält wieder Kurzgeschichten mit Kommissar Montalbano, schnurrig, lehrreich, mit viel sizilianischem Lokalcolorit und literarischen Anspielungen. In einer Geschichte geht es um Mädchenmörder. Der Kommissar entdeckt ein leerstehendes Haus, in dem zwei junge Männer auf einem Campingkocher etwas braten. Der Kommissar schleicht in den ersten Stock, wo die Leiche eines jungen Mädchens liegt, grauenvoll geschändet und zerstückelt. Der Kommissar schleicht wieder aus dem Haus, nimmt einenm Bezinkanister, schüttet Benzin vor der Haustür aus, geht zum Wagen, nimmt seine Pistole, lädt sie durch - und dann fällt ihm ein, dass er ein paar hundert Meter weiter eine Telefonzelle gesehen hat. Er geht hin - und ruft Camilleri an und sagt: Hey, was schreibst du für einen Scheiß zusammen!? Und Camilleri sagt: Na ja, so blutiges Zeug, das ist grad Mode. Kann sein, sagt der Kommissar, aber nicht mit mir als Hauptfigur. Schon verstanden, sagt Camilleri, aber wie soll die Geschichte jetzt enden? - Genau so! sagt Montalbano und legt auf.


Sprache, Dramaturgie, Personenzeichung, Übersetzung auch ... alles ist Krawupp-Kradatsch-Fürn-Arsch. Aber die Idee hinter Mark Fisher: Die Klippen der Furcht verdient eine Sekunde Aufmerksamkeit: ein über die Rentenlücke besorgter CIA-Administrator lockt reiche Alte erbschleichend auf eine Kreuzfahrt und lässt sie dann irgendwie bermuda-dreieckig-rätselhaft verschwinden. Um eine schwarze Sozialkasse damit zu füllen. Bis die aufklärende Heldin den irre-rationalen Menschenfeind stoppt - und zum Sieg auch noch eine Erbschaft kriegt. Pshaw! Das gesellschaftsvirulente Problem lösten deutsche Kabarettisten schon in den frühen 80ern eleganter: Arbeitslose dürfen bei Rot über die Kreuzung gehen, Rentner müssen. Ungeklärt bleibt: warum müssen Deutsche so einen Scheiss aus dem kanadischen Französisch übersetzen? Nur weil Fischer hier schon zwei noch irrelevantere Goodseller hatte?


Ein Marokkaner kommt nach England: Inspektor Ali im Trinity College ist eine etwas dralle Beweisführung des marokkanischen Schriftstellers Driss Chraibi, der einerseits ironische Spitzen gegen sein Heimatland, andererseits schweres Geschütz gegen die muffelige Elite-Kultur Englands auffährt. Irgendwo liegt eine tote Prinzessin herum, und irgendwie kommt Inspektor Ali ganz schnell darauf, wer der Täter war. Die entlarvende Schlußrede ist ein Meisterstück der Deduktion - und ohne einen einzigen Beweis. Aber so kommt einem das ganze Buch vor: auf Wüstenwind gebaut.


Während Chraibi im - für arabische Verhältnisse - recht aufgeklärten Marokko mit Ironie die Verhältnisse angeht, hat sein algerischer Kollege Mohammed Moulessehoul schweres Geschütz im Gepäck. Der zweite Band der Inspektor Llob-Trilogie, Doppelweiß, erschien ursprünglich 1997, als der Terror in Algerien seinen Höhepunkt erreicht hatte. Dementsprechend geht Llob zwar auch einem Mord nach - ein Schriftsteller wurde gefoltert und enthauptet - stößt aber recht bald auf eine der vielen Verschwörungen, die das Land umklammern. Nach wie vor schreibt Moulessehoul unter dem Namen seiner Frau Yasmina Khadra. Eine Lesetournee in Europa kurz nach dem 11. September sagte Moulessehoul ab; er hatte Angst vor islamischen Fundamentalisten. Wenn man seine düster-aggressiven Krimis liest, weiß man: er hat Gründe dafür. Die Taschenbuchausgabe enthält ein gutes Nachwort, das in die politische Situation und die literarischen Antworten darauf einführt.


Einen gar nicht dummen Polit-Thriller hat Christian von Ditfurth vorgelegt: Der 21. Juli geht von der Idee aus, Hitler sei 1944 beim Stauffenberg-Attentat getötet worden. Die SS übernimmt die Macht, schließt ein paar KZs, entmachtet die schlimmsten Finger wie Goebbels, Gestapo-Chef Müller flieht nach Moskau - und dann wirft die neue deutsche Regierung unter Goerdeler eine Atombombe auf Minsk. Und erzwingt so den Frieden. So pervers das alles klingt, ist es in den historischen Details gut ausgedacht und fortgesponnen und nicht mal unglaubwürdig. Das eigentliche Buch spielt 1953, Deutschland ist ein Stände-Staat, der ehemalige Hühnerzüchter Himmler treibt Blut & Boden-Forschung auf der Wewelsburg, Ludwig Erhard ist Wirtschaftsminister, und demnächst soll ein junger, begabter Nationalist in die Regierung eintreten, ein gewisser Franz Josef Strauß ... der Held, SD-Offizier Werdin, geflohen in die USA, erhält den Auftrag, Heinrich Himmler zu ermorden. Dieser Teil ist der schwächste des Buches, aber die Nazi-Phantasie zwischen 44 und 54 ist nett ausgedacht. Wenn Ditfurth jetzt noch drüber wegkommt, Russen als fröhliche Säufer, Nazis als sexbesessene Schläger und Frauen als willige Fickobjekte sehen zu müssen, schreibt er eines Tages vielleicht doch noch ein richtig gutes Buch. In dem dann nicht solche Sätze stehen wie der: "Er schmeckte das Salz seiner Tränen"
-aco/es/thf/wing-


Carolyn Haines: Kein Friede seiner Asche Aus dem Amerikanischen von Dietmar Schmidt. Bastei-Lübbe, Bergisch Gladbach 2002, 447 S., 7.90 EU ISBN: 3404146786
Anna Dankowtsewa: So helle Augen Aus dem Russischen von Christa Vogel, Diogenes, Zürich 2001, 225 S., 36,90 DM ISBN: 3257062842
Mark Chisnell: Gnadenloses Spiel Aus dem Amerikanischen von Änne Troester. Delius Klasing, Bielefeld 2002, 320 S., 18.- EU ISBN: 3768813150
Pablo de Santis: Die Übersetzung Aus dem Spanischen von Gisbert Haefs. Union, Zürich 2002, 156 S., 8.90 EU ISBN: 329320225X
Pablo de Santis: Die Fakultät Aus dem Spanischen von Claudia Wuttke. Union, Zürich 2002, 224 S., 16.80 EU ISBN: 329300296X
Jess Walter: Sündenfall Aus dem Amerikanischen von Wolfgang Müller. Heyne, München 2002, 495 S., 21,- EU ISBN: 3453214080
Andrea Camilleri: Die Nacht des einsamen Träumers Aus dem Italienischen von Christiane v. Bechtolsheim. Lübbe, Bergisch-Gladbach 2002, 379 S., 19,- EU ISBN: 3785715293
Mark Fisher: Die Klippen der Furcht Aus dem Französischen von Bettina Bach. Bastei-Lübbe, Bergisch-Gladbach 2002, 300 S., 7.90 EU ISBN: 3404147073
Driss Chraibi: Inspektor Ali im Trinity College Aus dem Französischen von Regine Keil, Metro 226, Union, Zürich 2002, 120 S., 7,90 EU ISBN: 3293202268
Yasmina Khadra: Doppelweiß Aus dem Französischen von Regina Keil-Sagawe, Metro 224, Union, Zürich 2002, 156 S., 8,90 EU ISBN: 3293202241
Christian von Ditfurth: Der 21. Juli Droemer, München 2001, 413 S., 20,50 EU ISBN: 3426271990