DIE KLEINE KRIMI-RUNDSCHAU (10. Lieferung)

»Ich töte nur für Catalaine«


und hier die vorherige-Ausgabe


Bücher, die nur von Rache handeln, kommen meistens über Pamphletistische nicht hinaus. Das ist mit dem 1991 erschienenen Erstling von Helen Zahavi nicht anders: Schmutziges Wochenende ist ein Haßbuch auf die Männerwelt - aber ein wundervolles. Die Dramaturgie stimmt nicht, die Handlung holpert und knarzt - aber wie die Freizeitnutte Bella plötzlich beschließt, sich nichts mehr gefallen zu lassen und die Kerle mit Wollust abmurkst (nachdem sie sich von einem iranischen Guru Absolution besorgt hat), das ist so böse und witzig, dass man die Schwächen des Romans sogar beim Lesen übersieht. Auch, weil die Zahavi ein paar gute Stilparodien eingebaut hat; eine Szene läßt sie wie reinen Peckinpah ablaufen, ein andermal sind wir bei Wedekinds "Lulu". Das intelligenteste Männerhasser-Buch ist bei ut-metro jetzt noch einmal aufgelegt worden.


Yasmina Khadra hat die Reihe um den algerischen Kommissar Llob (Ultimo 21/01) mit Herbst der Chimären abgeschlossen. Das ist nun gar kein Krimi mehr, trotz einiger Morde, weil im Krimi jede Handlung ein sinnvolles, nachvolziehbares Motiv verlangt. Im Algerien von Khadra sind nur noch durchgeknallte Irre tätig. An einer Stelle des Buches beschreibt Llob in wenigen Sätzen den Tod eines Fundamentalisten, und man merkt: es ist kein Mensch, über den er da schreibt, das ist nur noch ein haariges, stinkendes Tier. Andererseits kann er eine Party so beschreiben: "Da gibt's Frauen wie gefüllte Puten. Hier und da lagern ältere Damen mit der Reglosigkeit heiliger Kühe auf dem Diwan, damit beschäftigt, ihr fettes Vermögen wiederzukäuen." Das ist schön.


Der Verdacht, den wir nach dem ersten Band hatten, erhärtet sich: Celil Oker ist ein gewitzter Beobachter der türkischen Gegenwart. Aber ein guter Krimi-Autor ist er nicht. Was er sich in Foul am Bosporus als Plot zusammengezimmert hat, spottet jeder Beschreibung. Eine Melange aus Mode, Dritte Liga Fußball und Sex - und der Mörder ist genau der, den man von Anfang an dafür hält.


Was macht man, wenn man eine gute Geschichte hat, die leider nur 100 Seiten lang ist? Man packt ein paar ähnliche dazu, schon ist's eine Anthologie. Anti-Hero feat. Charles Willeford ist sowas, herausgegeben von Frank Nowatzki. Die Willeford-Geschichte ist gut geschrieben, aber etwas schleppend. Eigentlich will ein leicht psychopathischer Gebrauchtwagenhändler nur eine Frau ins Bett kriegen. Und das auch wieder nur, um sie dann abservieren zu können. Na ja. Die anderen "Anti-Helden" haben da schon mehr Pfeffer. Joe R. Lansdale erzählt, wie man Kinder umbringt, Derek Raymond hat mal wieder einen Serienkiller im Visier, und Buddy Giovinazzo hat mit Ich töte nur für Catalaine eine Geschichte geschrieben, die nicht mal Quentin Tarantino verfilmen wird, schon weil ein junges Mädchen und ein Pferd mit verfänglichen Absichten darin vorkommen ... die letzten Sätze sind: "Für Sheryl brauchte man weder Salz noch Pfeffer, sie schmeckte köstlich, so wie sie war." Das ist, in jeder Hinsicht, Geschmackssache.


Nicht nur im Süden der USA gibt's Rassisten, auch der Nordwesten ist ziemlich reaktionär. Genau dort spielt Medusa Pool von M.K. Wren. Der einzig schwarze Deputy in der Stadt ist eine Frau - und ganz überraschend zum Sheriff gewählt worden. Der alte, weiß, versoffen, korrupt, schwört Rache, und 20 weiße Deputys wollen der "Niggerfotze" das Leben so schwer wie möglich machen. Die allerdings schlägt sich wacker, obwohl gleich nach 20 Seiten ihr Freund ermordet wird, und ohne dass sie's richtig merkt, deckt sie alles auf, was in der Stadt seit Jahren verrottet und verfault war. Ihr höchstes Glück ist es, als ihr Chief of Detectives sie am Ende nicht mehr "Neely" nennt, sondern - Sheriff. Das kann sie noch hören - bevor sie in Ohnmacht fällt, nachdem sie drei schwere Jungs im Alleingang platt gemacht und dabei auch einiges hat einstecken müssen. Abgesehen von ein paar peinlichen Momenten (Neely denkt zu oft darüber nach, was Großmama wohl in dieser Situation getan hätte), ist Medusa Pool eine feinsinnige Reflektion über Rassismus, Nazis und Kleinstadtpolizisten, aber auch ein sehr gut konstruierter Krimi, der vom Hundemord bis zum Zwischenfall im Biologischen Meereslabor alle Handlungsfäden sehr geschickt verzwirbelt und wieder auseinanderbringt.


Stumme Schreie ist ein Thriller, der kein Ende hat. Zwar wird jemand vor Gericht gestellt werden, aber ob er wirklich der brutale Mörder der zarten Inderin Poona ist, daran läßt die Autorin Karin Fossum einige Zweifel bestehen. Stumme Schreie ist wieder ein Fall des norwegischen Kommissars Konrad Sejers, der, wie Mankells Wallander, ein bißchen ältlich, ein bißchen schwerfällig, ein bißchen melancholisch ist. Aber Sejer hat die Grenzen seines Berufes akzeptiert, er geht nicht mehr, wie Wallander, zur Arbeit, um die Welt zu verstehen, sondern um seinen Job zu machen. Dass er dabei nicht immer Gerechtigkeit herstellen kann, weiß Sejer. Der Ermittler ist bei Fossum nur eine von vielen Figuren. Der Mord, der hier in einem Dorf geschieht, ist Anlaß, das Sozialgefüge auseinanderzunehmen. Das macht die Fossum unaufgeregt, präzise beobachtend, manchmal beinahe kalt. Und obwohl der Stil jede Sentimentalität verweigert, ist die Kerngeschichte eine, die einem das Herz zerreißt: wie und warum Poona am ersten Tag ihres neuen Lebens sterben mußte, ist so absurd, tragisch und sinnlos, wie ein Mord nur sein kann. Wallander hätte die Welt auseinandergenommen, um das "Warum" zu verstehen. Für Sejer ist das "Warum" nur ein Mittel, um das "Wer" rauszubekommen. Dass nicht einmal das eindeutig geklärt werden kann, ist eine der großen Stärken dieses Romans.


Der schwarze Mann ist wieder da, ehemals böse, heute, nach Jahrzehnten im Knast, immer noch jähzornig, aber ebenso wild entschlossen, ein guter Mensch zu werden. Walter Mosley, der Renommier-Neger für das liberale Amerika (was bei denen liberal heisst, fasst hier kein FDPler an) setzt mit Socrates' Welt seine Story-Sammlung Socrates in Watts mit einem Episoden-Roman fort. Und kriegt nach dem deutschen Taschenbuch-Start das zweite richtige Hardcover-Buch im krimimässig weiter auftrumpfenden Schweizer Unionsverlag. Das erste war ein Roman um seinen, ebenfalls schwarzen, Serien-Detektiv Easy Rawlins, der es sogar bis ins Kino schaffte (Teufel in Blau, mit Denzel Washington). Socrates wird nicht mal ins Fernsehen kommen: zwar gibt es Leichen und Bullen, aber keinen richtigen Krimi-Fall; zwar gibt es moralische Momente in Mengen, aber auch viel mehr abgewrackte Sub-Suburbia-Realität, als in ein Format passt. Dass die Übersetzerin Pieke Biermann dann auch noch Sonnenauf- und Untergang verwechselt soll keinen stören, der sich ernsthaft auf das harte Leben als Tütenpacker am Rande Amerikas einlassen will.


Noch ein Krimi ohne Fall, fast. Katrin Kremmler erzählt in Blaubarts Handy lieber von Budapest, der Doktorarbeit ihrer Heldin über Kommunikationsformen in der schwul-lesbischen Szene, über schräge Typen und Frauen mit kurzen Haaren, und immer wieder Budapest. Die Stadt ist der Held, wenn man das von einer dezidiert lesbischen Story so sagen darf. Die pseudo-wissenschaftlichen Einsprengsel sind bestenfalls Binsenweisheiten, aber es gelingt Frau Kremmler immerhin, den Kommunikations-Knochen als Plotmaschine und Metapher auf allen Ebenen einzusetzen. Und ganz kurz vor Ende doch noch ihre kommunikationsoziologischen Studien mit einem Mord zu verbinden. Etwas gestolpert zwar, aber am interessantesten sind sowieso die beiseite abfallenden Beobachtungen. Wie Heteras mit Bademeisterinnen umgehen (in Budapest gibt es noch Kabinenpersonal für die Sauna - und unglückliche Lift-Boys im Foyer), wie Transen am Telefon ohne Ansehen des Geschlechts einem direkt ins Herz heulen ... wer nach diesem Buch nicht nach Ungarn fahren will, hat keines - wer's ohne das tut, verpasst ziemlich sicher den Puls.
-aco/thf/vl/wing-
Helen Zahavi: Schmutziges Wochenende Aus dem Englischen von Mechtild Sandberg-Ciletti, metro 216, Union, Zürich 2001, 205 S., 8,90 EU ISBN: 3293202160
Yasmina Khadra: Herbst der Chimären Aus dem Französischen von Regina Keil-Sagawe, Nachwort von Beate Burtscher-Bechter. Haymon, Innsbruck 2001, 157 S., 29,80 DM ISBN: 3852183588
Celil Oker: Foul am Bosporus Aus dem Türkischen von Ute Birgi-Knellessen, metro Nr. 210, Union, Zürich 2001, 251 S., 16,90 DM ISBN: 3293202101
Charles Willeford u.a.: Anti-Hero feat. Charles Willeford Aus dem Englischen von Gabriele Bärtels, Ango Laina. Pulp Master Bd. 10, Maas, Berlin 2001, 247 S., 19,80 DM ISBN: 3929010666
M.K. Wren: Medusa Pool Aus dem Englischen von Anette Blum. metro Tb Nr. 211, Union, Zürich 2001, 286 S., 8,90 EU ISBN: 329320211X
Karin Fossum: Stumme Schreie Aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs. Piper, München 2001, 318 S., 19,90 EU ISBN: 3492043623
Walter Mosley: Socrates' Welt Übersetzt von Pieke Biermann. Unionsverlag, Zürich 2001, 271 S., 17,- EU ISBN: 3293002900
Katrin Kremmler: Blaubarts Handy Argument Verlag, Hamburg 2001, 224 S., 9.90 EU ISBN: 3886198618