DIE KLEINE KRIMI-RUNDSCHAU (9. Lieferung)

Lüg mich nicht an!


und hier die vorherige-Ausgabe


Die lesbische Chefin macht grad 'ne Sinnkrise durch, zu allem Übel stirbt ihre Lebensgefährtin gerade an Krebs, alle fassen einander ständig beruhigend ans Knie, um sich gegenseitig ihrer Zuneigung zu versichern, und wenn eine Polizei-Anwärterin mal aus Versehen ein rassistische Bemerkung macht, wird sie sofort darauf hingewiesen, wie unkorrekt das ist. Keine Frage: Norwegen ist ein sauberes Land. Das weiß Anne Holt sehr gut, schließlich war sie mal Vize-Chefin der Osloer Polizei, und genau so schreibt sie auch. Das achte Gebot, ein weiterer Krimi aus der Reihe um die lesbische Hauptkommissarin Hanne Wilhelmsen, behandelt auch so unkorrekte Dinge wie Pädophilie, Kopfabschlagen, Erpressung und Lüge. Aber man zweifelt keine Sekunde daran, dass das schon alles irgendwie in Ordnung kommen wird.


So muß ein Buch anfangen: "Blutüberströmt liegt der Horizont da und bringt durch einen Kaiserschnitt einen Tag zur Welt, für den sich die Mühe letztlich nicht gelohnt haben wird." Derart depressiv schreibt Yasmina Khadra über das Algerien der 90er. In Morituri bekommen wir eine beängstigende Einsicht in das Wesen des fundamentalistischen Terrors, der nicht so fürchterlich ist, weil ein paar durchgeknallte Bartträger ihre Version von Allahs Wille umsetzen wollen, sondern weil die herrschende Klasse sich dieser Killer so geschickt zu bedienen weiß. Kommissar Llob watet durch ein Meer von Blut, sieht prachtvolle Villen und Elendshütten und weiß genau, wie was zusammenpaßt. Nur ändern kann er gar nichts und muß froh sein, am Abend eines jeden Tages wenigstens noch am Leben zu sein. Hinter Yasmina Khadra verbirgt sich der algerische Offizier Mohammed Moulessehoul, der sein Pseudonym erst lüftete, als er das Land verlassen konnte. Seine Romane sind eine Mischung aus Sinclair Lewis und Mickey Spillane, brutal, schnell, traurig, aufklärerisch. Etwas besseres über das Wesen des islamischen Terrors kann man im Moment nicht lesen.


Elise Title war mal Psychotherapeutin für Schwerkriminelle. Ihr Roman Judas präsentiert als Hauptfigur eine Frau, die eine Reha-Einrichtung für Kriminelle leitet. Erstaunlich nur, wie wenig sie daraus macht. Denn die Heldin wird herumgeschubst, zusammengeschlagen, gebumst, gebeutelt, wieder gebumst - und tut wenig, um die Handlung voranzubringen. Dafür ist ihr Ex-Mann ein Arschloch, die beste Freundin eine Sado/Maso-Prinzessin, und der Mann ihrer Schwester ein Knabenschänder. Das alles wirkt wie aus dem Katalog bestellt und abgearbeit, ist zu keiner Sekunde spannend, und die Mätzchen der Autorin, die Handlung künstlich zu verwirren, nerven bald ebenso wie ihre unsäglichen Sex-Szenen sowie ihre kriminologische Unkenntnis: massenhaft Leichen liegen bei ihr herum, und bei keiner führt die Forensik auch nur einen Millimeter weiter.


Ein Serienkiller, ein Feuerteufel, eine Zigeunerin mit Hang zum Diebstahl und ein Sergeant auf Abwegen: all das verwebt Garry Disher zu einem kunstvollen Plot, der wie durch ein Wunder am Ende alles zusammenbringt und an keiner Stelle forciert oder durch Kolportage-Elemente belastet wird. Drachenmann heißt der erste Roman, in dem Disher aus Polizei-Perspektive schreibt. Seine Wyatt-Romane (erscheinen im Maas Verlag) fanden wir immer etwas zu kalkuliert gebaut, hier fügt sich alles harmonisch und spannend zueinander (auch wenn man den Mörder als geübter Leser nach dem halben Buch eigentlich kennt), der furztrockene australische Sommer trägt seinen Teil dazu bei, dass eine müde Melancholie über der Landschaft liegt. In seiner traurigen Einsamkeit erinnert Dishers Hauptfigur ein bißchen an Camilleris sizilianischen Montalbano, ohne ihm allerdings die Flucht ins Kulinarische zu gönnen. Dishers Inspector Challis bleibt ein einsamer Mann, der wöchentlich die Anrufe seiner Frau aus der Irrenanstalt erwartet; sie sitzt dort, weil sie einen Killer auf ihn angesetzt hatte. Die Frechheit, uns nicht mehr über die Vorgeschichte zu erzählen, zeigt viel vom künstlerischen Mut Dishers.


Wie Dave Barry in seinem Vorwort zu Big Trouble zu Recht erwähnt, gibt es das "In-Florida-wimmelt-es-nur so-von-Verrückten"-Genre. Er erwähnt leider nicht, warum er sich in die Reihe der "Florida ist ja so cool trashig!"-Autoren wie Hias oder Shames einreiht und dem Genre noch einen Roman bescherte, der vor allem darunter leidet, dass die abschließende Verfolgungsjagd das gesamte letzte Drittel des Buches ausmacht. Das ist eine nette Finte, um zu vertuschen, dass Barry, eigentlich Satiriker und Kolumnist,nichts Gescheites eingefallen ist. Ein waffenschiebender Bauunternehmer, der seine minderjährige Tochter lieber vergewaltigt sieht als sie zu beschützen, ein alter Werbefuzzi mit Herz, ein Penner mit Muskeln und eine Polizistin namens Monica mit dicken Möpsen - das gibt nicht mal im Florida-Genre eine gute Geschichte, selbst wenn man am Ende eine dicke Atombombe hochgehen läßt. Das Buch ist so schlecht, dass Barry Sonnenfeld es verfilmt hat; wegen der Anschläge vom 11.9. ist der Film allerdings zurückgezogen worden.


Kinky Friedman ist wahrscheinlich weltweit der letzte Cowboy. Und bestimmt der einzige mit jüdischem Humor. Sein Krimi Der Leibkoch von Al Capone (Original: The Lovesong of J. Edgar Hoover) bietet eine wilde und wirre Geschichte auf, nur in eine lange Hasstirade gegen das FBI münden zu können. Und dann stehen da auch immer wieder Sätze wie: Ich brauchte nicht in den Kühlschrank zu gucken, um zu wissen, dass es in der Welt kalt ist.


Thea Dorn würde Mord wohl gern als schöne Kunst betrachten, wenn es dafür Honorar gäbe. Stattdessen sucht sie in schnurrigen Tagesspiegel-Kolumnen das Verbrechen des Monats, mokiert sich über braune "Terrortubbies" ohne Format, verteidigt Hannibal the Sequel gegen Zimperliesen ... und druckt in ihrem Sammelband Ultima Ratio ein paar Kurzgeschichten dazwischen, manche davon Krimis, die in den letzten Jahren verstreut erschienen. Harter Stoff mit kalten Frauen, einer Curry-Wurst als Liebesorakel ("bei 8 Scheiben kommt er, bei 9 nicht") und oft tödlichen Folgen. Das knallt alles ganz gut, das ist zuweilen etwas gesucht politisch unkorrekt, und lockt mit aufblitzenden Strumpfhaltern und Bildungsresten ("der weitere Verlauf war prästabiliert") vornehmlich Männern ins Verderben. Oder dreht frech vom "Fräulein bekotzt Berlin"-Ton in eine Fantasie mit sprechenden Hunden ab.


Bernhard Schlink ist ein viel gelobter Autor, für seine "richtige" Literatur ebenso wie für seine Krimis; besonders die um den alternden Privatdetektiv Gerhard Selb. Der ist nun, in Selbs Mord, dem letzten Band der Trilogie, weit in den 70ern und wird zwischen patenter Freundin, wiederaufgetauchtem Sohn, verschlepptem Herzinfarkt und einem letzten Fall unendlich müde. Trotzdem tastet sich Selb noch einmal zur Wahrheit vor. Und in die Vergangenheit zurück. Seine eigene als junger Nazi-Staatsanwalt, und unser aller deutsch-deutsche. Auf Recherche in Berlin wird er abwechselnd von Glatzen und Antifas angepöbelt und in den Landwehrkanal geworfen. Ohne die historische Anspielung auszuplaudern. Das vor allem nimmt für Schlink ein: er ist unaufdringlich, beinahe beiläufig. Und überaus menschenfreundlich. Ein Killer von der Russen-Mafia, ein Ex-Stasi-Ermittler, ein Banker mit viel blutigem Geld in der Familie ... Schlink/Selb mag sie alle irgendwie, und am liebsten hätte er alle Welt glücklich. Klappt aber nicht, und am Ende beschliesst Selb, möglicherweise, seinen Auftraggeber, einen Arisierungsgewinnler, umzubringen. Bevor es aber dazu kommt, beendet Schlink seine Selb-Trilogie.


Als Film wäre Das Leben war schneller womöglich ganz nett, als Stoff taugt Xavier Morets Erstling durchaus, aber als Roman? Ein abgehalfteter, verstrohwittwerter Zeilenknecht in Barcelona wird plötzlich von einem vergessenen Schulfreund und Geldsack beauftragt, eine TV-Krimi-Serie zu schreiben. Zugleich häufen sich unterprivilegierte Leichen rund um die Placa Reial. Und während das erfundene Drehbuch nicht vom Fleck kommt, bäumt sich im Leben noch einmal das alte Barcelona der Huren, Trinker und Schachspieler gegen die Schickeria und die Wohnumfeldverbesserer auf. Leider in Form einer albernen Soap-Parodie, leider in einer farblosen Sprache, die man bestenfalls für Treatments verwenden darf, und leider mit einem halben Happy End. Das Schwein fällt aus seinem Hochhaus, der Autor kriegt sein Honorar nicht, aber die Geliebte zurück. Als wäre nichts geschehen. Dabei hat ein gewisser Andrés Gómez inzwischen das Buch verfilmt. Vielleicht schreibt Moret rund um den Dreh eine Fortsetzung?


Anastasija Kamenskaja ist die meistverkaufte Romanfigur im modernen Russland (Auflage: 15 Millionen), Alexandra Marinina ist ihre mittlerweile zwanzigfache Mutter, und Donata Höffer ihre deutsche Stimme. Der WDR produzierte aus dem in Deutschland fast unbemerkt erschienenen Roman Auf fremdem Terrain (Argon Verlag, 1999) ein Hörspiel, das von uns aus gerne auch hier einen Kult auslösen darf. In einem abgelegenen Kurort wird die rückenleidende Kriminalistin ausgerechnet von der örtlichen Mafia gebeten, einen Mord aufzuklären. Der zu einem Mädchenhändler-Ring führt. Der für die Autorin viel Gelegenheit bietet, die seltsam zersprengten Menschen fern von Moskau zu porträtieren. Die Hörspielfassung hängt dabei ein bisschen viel akustische Kunstfertigkeit und abrupt wechselnde Perspektiven heraus, aber man darf ruhig etwas auf die Tube drücken, um "die russische Donna Leon" hier erstmal bekannt zu machen.
-aco/thf/vl/wing-
Anne Holt: Das achte Gebot Aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs, Piper, München 2001, 444 S., 36,- DM ISBN: 3492042503
Yasmina Khadra: Morituri Aus dem Französischen von Bernd Ziermann und Regina Keil-Sagawe. Union metro TB 209, Zürich 2001, 156 S., 16,90 DM ISBN: 3852183073
Elise Title: Judas Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Scherz, Bern/München/Wien 2001, 383 S., 44,90 DM ISBN: 3502117632
Garry Disher: Drachenmann Aus dem Englischen von Peter Friedrich. Unionsverlag, Zürich 2001, m.e. Nachwort von Thomas Wörtche, 302 S., 34,- DM ISBN: 3293002927
Dave Barry: Big Trouble Aus dem Amerikanischen von Edith Beleites, Eichborn, Frankfurt 2001, 323 S., 39,80 DM ISBN: 3821830824
Kinky Friedman: Der Leibkoch von Al Capone Aus dem Amerikanischen von Ulrich Blumenbach, Heyne TB 13303, München 2001, 205 S., 15,55 DM ISBN: 3453189779
Thea Dorn: Ultima Ratio Rotbuch, Hamburg 2001, 128 S., 28,01 DM
Bernhard Schlink: Selbs Mord Diogenes, Zürich 2001, 267 S., 39,90 DM ISBN: 325706280X
Xavier Morets: Das Leben war schneller Aus dem Katalanischen von Theres Moser. DTV, München 2001, 278 S., 28,-DM ISBN: 3423242582
Alexandra Marinina: Auf fremdem Terrain Heyne Hörbuch, München 2001, 90 Min., 29,90 DM ISBN: 3453188950