DIE KLEINE KRIMI-RUNDSCHAU (8. Lieferung)

Die Nackten und die Toten


und hier die vorherige-Ausgabe


Woher David Ambrose seinen guten Ruf hat? Epsilon ist schon wieder schlimmste Kolportage - Gedankenkontrolle durch finstere Mächte - und hat keinen einzigen gescheiten Gedanken zum Thema. Die Figuren stolpern durch die Handlung, sind mal "verwirrt" oder spüren "ein Ziehen in den Lenden". Und überhaupt lehnen wir Romane und Filme, in denen böse Mörder große Künstler sind, wg. struktureller Unglaubwürdigkeit ab. Die Idee, dass jemand morgens drei Leute massakriert und abends malt wie van Gogh, ist einfach kreuzbescheuert.


Wir habens mal wieder zu einem Klappentext gebracht. Mit dem Flaps, Jörg Juretzkas Bücher "sollte jeder im Handschuhfach haben, der seine Autos auf dem Schrottplatz kauft." Sein drittes sollte man gleich da hin bringen: Der Willy ist weg klappert nämlich laut - und kommt nicht von der Stelle. Willy ist hässlich, Millionenerbe, lebt bei Rockern im Ruhrgebiet, fickt alles, was sich bewegt - und ist plötzlich weg. Waren es die Nazi-Skins vom Truppenübungsplatz, war es der Schutzgeld-Pate aus dem Villenviertel, warten wir wirklich, bis Kristof Kryzinski in der Nebenhandlung eine Burger Buden-Eröffnung vor Image Schadens-Anschlägen schützt? Die Milieus sind wieder zum Brüllen komisch getroffen, die Wörter noch etwas alberner und authentischer zugleich gewählt, die Konstruktion folgt einem strengen Plan. Aber: die Handlung tuckert nicht, der dauerorgelnde Anlasser lahmt schon bald, die Spannung fällt über immergleichen Niederlagen von Kris und seiner Gang auf Gähnen ab. Und dann merkt man, dass es zur Handlungszeit doch noch gar keine Handys gab. Dass unser atmosphärisches Lob sich auf den zweiten Kryzinski-Krimi bezog, im dritten aber als schon den ersten meinend überdehnt wird.


Wenn (der Sizilianer) Leonardo Sciascia nicht Lehrer, sondern Polizist geworden wäre, dann hätte er die besten Krimis der Welt geschrieben. Sagt Kommissar Montalbano. Und entschuldigt damit quasi seinen eigenen Autor, denn schließlich ist der Sizilianer Andrea Camilleri auch kein Polizist, sondern "nur" Schriftsteller geworden. Das Paradies der kleinen Sünder ist eine Kurzgeschichtensammlung um den in vielen Romanen längst vorgestellten Kommissar Montalbano, der in einer sizilianischen Kleinstadt für Ordnung sorgt. Diese Kurzgeschichten haben zwar alle Montalbano als Hauptperson, und sie befassen sich auch durchaus mit kriminellen Vorgängen. In Tonfall und Moral jedoch orientieren sie sich viel mehr an einem anderen großen Landsmann Camilleris, an Pirandello und dessen Kurzgeschichten. Eine Geschichte erzählt, wie Montalbano mit dem Zug fährt, grimmig, schlecht gelaunt, unter ihm im Schlafwagenabteil hört der die ganze Nacht einen Mann weinen. Montalbano kauft beim nächsten Stopp eine Zeitung am Bahnhof, steigt wieder ein, und liest, dass in der Stadt X ein Buchhalter seine Frau und deren Geliebten erschossen hat. Montalbano sieht den weinenden Mann, der auf der Zugbank sitzt und Briefe zerreißt. Montalbano weiß: das ist der Mörder. Und steigt einfach aus. Ende der Geschichte. Eine andere Story bedient sich ganz schamlos bei Edgar Allen Poe, andere sind eher drastisch erotisch. Aber keine ist einfach nur eine Kriminalgeschichte. Gut, dass Camilleri nicht Polizist geworden ist.


Schon Christopher G. Moores erster Bangkok-Roman mit dem Detektiv Calvino hatte uns gut gefallen, und der deutsche Nachfolgeband Nana Plaza (O-Titel: Cold Hit) gefällt uns sogar noch besser. Weil er unblutiger ist, der Plot gleichermaßen vertrackt, genial ausgedacht und doch übersichtlich, und weil Moore ein Schriftsteller ist, der Plätze, Landschaften und Figuren beschreiben kann, dass man sich in ihnen zu Hause fühlt. Nur dass der ansonsten hoch zu lobende Schweizer Unions Verlag die dazwischen liegenden vier Calvino-Bände einfach überspringt und mit dem letzten weitermacht - das finden wir nicht so schön. Gerne hätten wir Calvinos Entwicklung verfolgt, sein Universum entstehen sehen. Trotzdem ist Nana Plaza einer der besten Krimi-Neuerscheinungen des ersten Halbjahrs.


Cops als Dealer und Auftragsmörder, FBI-Agenten als Drogenbarone, Mafia-Könige mit Familiensinn und eine rumänische Nazi-Prinzessin mit Herz - der Fiebertraum geht weiter: Immer noch ist Isaac Sidel Polizeichef von New York, und wahrscheinlich der einzige auf der Welt, der sich eine schwarze Maske über den Kopf zieht und höchstpersönlich Mafia-Spielclubs überfällt. An seiner Seite diesmal: Joe Barbarossa, ein Vietnam-Veteran mit indianischen Vorfahren, einer Vorliebe für Tischtennis (wie Manfred "Blue Eye" Coen, über dessen Tod Sidel nie hinweggekommen ist) und verliebt in Sidels Tochter "Marilyn the wild". 1993 in den USA erschienen, kann man Montezumas Mann jetzt endlich auch auf Deutsch lesen, und am besten liest man die 6 anderen Bände von Jerome Charyns "Sidel"-Zyklus gleich noch mal. Nicht, weil man den Überblick verliert, sondern weil alle Romane wie aus einem Guß sind, nahtlos aneinanderpassen. Am Schluß dieses Bandes steht Sidel auf einem Marktplatz in Palermo, zwei große Holzpuppen auf dem Arm, einen Psychopathen mit Messer vor sich, und nur eine Mafia-Schutztruppe bewahrt ihn mit professioneller Lässigkeit vor dem Tod. Dann wird Isaac Sidel als Bürgermeister von New York kandidieren - ein sicheres Zeichen dafür, dass der Irrsinn noch nicht an sein Ende gelangt ist.


Es reicht eben nicht, sich bloß auszukennen; sonst wäre Carlos Broca am Ende noch wirklich der "Krimi-Tipp" zu dem sein Verlag seinen Erstling Wer in den Abgrund blickt ... per Aufkleber schon ab Werk beförderte. Dabei heisst er vermutlich nicht mal Broca. Er ist vielmehr Deutscher, überwintert seit Jahren in Catalunya (deutsche Krimis lassen einheimische Anspielungen immer unübersetzt), und würzt sich nun den Ruhestand mit Lokal-Krimis rund um Lloret De Mar. Broca kennt die Costa Brava wie sein Bücherregal, weiß sich zur speziellen Bratwurst der Gegend kompetent zu äußern, beherrscht Frühstücksrituale alter Männer und komplizierten Polizeidienstgrade von Guardia Civil bis Mossos d'Esquadra. Nur kann er nicht schreiben. Und schon gar nicht erklären, warum er gräßlich komplizierte Serienmorde braucht, um seine ermittelnden Helden einzuführen: einen Orts-Commissario und einen deutschen Polizei-Psychologen, der hier überwintert. Ach, die beiden sollen Serientatermittler werden. Soviel Urlaub kriegen wir nie, derlei weiter zu lesen.


Manuel Vazquez Montalban kann vermutlich schreiben, man merkt es nur nicht durch die neue Übersetzerin hindurch, die sich jedenfalls mit thailändischen Korbstühlen ("im Emanuel-Stil") und Anatomie ("Scheitelbein") nicht besonders auskennt. Montalban macht es in Quintett in Buenos Aires aber auch nicht leicht. Man sollte schon politische und poetische Ahnungen vom Argentinien vor, während und nach Peron haben (der Mann von Evita - für Madonna-Fans). Und eine Meinung zur Antipsyichatrie, handgemachter Ochsenschwanzsuppe und den kulturellen Implikationen, einen irgendwie linken Privatdetektiv nach dem Essen ein Buch im eigenen Kamin verbrennen zu lassen. Und Tangos. Überall Tangos. "Was fällt ihnen zu Buenos Aires ein?" fragen viele Leute an vielen Stellen des Romans; "Tango, Verschwundene, Maradonna" ist die stereotype Antwort, die je nach Kontext mal traurig, mal trotzig, mal total out of date klingt. Fußball kommt im Buch dann nicht mehr vor, aber am Ende ein junges Mädchen, das nur kopfschüttelnd rückfragt: Ronaldinho sei doch der neue König, und was denn der mit Akte X zu tun habe? Wenn nur Montalbán nicht so händeringend auf jeder Seite Kunst machen wollte, wir könnten uns womöglich auch noch an den Fall erinnern.


Francisco José Viegas kann Schreiben. Und Kochen. Und der eine Held seines ersten in Deutschland erschienenen Romans Das grüne Meer der Finsternis friert ein am Anfang aufwendig zubereitetes Festessen für eine Geliebte ein (Krötenfisch in Mehlschwitze - Portugiesen sind so scheinbar unraffiniert), weil sie plötzlich absagt. Der zweite Held kann auch Kochen, ist auch Kriminalkommissar, nur aus einer anderen Provinz, und ebenfalls in dem "Alter, in dem man sich nicht mehr beschweren kann"; Portugiesen meinen damit 45 - Mid-Life-Krisen sind dort unbekannt. Beide ermitteln, zunächst ohne es zu wissen, von zwei Seiten an dem Fall eines toten Mannes, der ihr gemeinsames Problem hatte: den kultivierten Vorgeschmack der Verzweiflung (nur am Leben, Politik kommt nicht vor). Und eine tote Geliebte in einer anderen Provinz. Nach vielen Landschafts- und Seelenlagen-Schilderungen, nach mancherlei Köchelei und erstaunlich wenig Musik ist der Fall gelöst. Aber beide Detektive tröstet das bißchen wiederhergestellte Ordnung weniger als ein heisses Bad. Oder eine gute Zigarre. Die man auf der iberischen Halbinsel (Montalbán erwähnt das auch beiläufig - Broca hat keine Ahnung) immer lose und in gemischten Sorten kauft.


Wenn die richtig harten Kerle ihrer großen Liebe begegnen, stammeln sie nur noch sinnlos-kitsches Zeug. Das ist bei Mickey Spillanes Mike Hammer so, und das ist bei John D. MacDonald und seinem Helden Travis McGee genauso. MacDonalds The Quick Red Fox erschien erstmals 1964, jetzt ist es als Leidenschaft in Rot zu haben: der Lebenskünstler McGee wird von einer Monroe-ähnlichen Schauspielerin engagiert, Fotos wieder einzusammeln, die während einer sommerlichen Sexparty einst entstanden. McGee hält Sexpartys für "würdelos" (was für ein Aspekt!) und Lesben für Perverse. Mit einem derart überschaubaren Weltbild ausgestatt, reist er durchs Land, haut Leuten auf die Nase und faselt blödes Zeug, wenn er sich verliebt. Das alles ist derart pure 60er-Spießerei, dass es schon wieder recht lustig ist. Und ein schöner Markstein im Sand, um zu sehen, wie der Kriminalroman sich seit damals weiterentwickelt hat.
-aco/thf/vl/wing-
David Ambrose: Epsilon Aus dem Englischen von Stefan Bauer. Ehrenwirt/Lübbe, Bergisch Gladbach 2001, 350 S., 39,80 DM
Jörg Juretzka: Der Willy ist weg Rotbuch Verlag, Hamburg 2001, Rotbuch Nr. 1118, 286 S., 22.90 DM
Andrea Camilleri: Das Paradies der kleinen Sünder Aus dem Italienischen von Christiane von Bechtholsheim. edition Lübbe, Bergisch-Gladbach 2001, 410 S., 39,80 DM
Christopher G. Moore: Nana Plaza Aus dem Englischen von Peter Friedrich, UT metro 204, Union, Zürich 2001, 315 S., 19,90 DM
Jerome Charyn: Montezumas Mann Aus dem Amerikanischen von Jürgen Bürger, Rotbuch 1070, Hamburg 2001, 294 S., 22,90 DM
Carlos Broca: Wer in den Abgrund blickt Bastei Lübbe, Bergisch Gladbach 2001, 348 S., 14,90 DM
Manuel Vazquez Montalban: Quintett in Buenos Aires Ein Pepe-Carvalho-Roman. Aus dem Spanischen von Theres Moser. Piper, München/Zürich 2001, 537 S.,
Francisco José Viegas: Das grüne Meer der Finsternis Jaime Ramos und Filipe Castanheira ermitteln. Aus dem Portugiesischen von Sabine Müller-Nordhoff. edition Lübbe, Bergisch Gladbach 2001, 411 S., 39,80 DM
John MacDonald: Leidenschaft in Rot Aus dem Amerikanischen von Gerold Hens, Rotbuch Nr.1121, Hamburg 2001, 208 S., 24,90 DM