DIE KLEINE KRIMI-RUNDSCHAU (6. Lieferung)

Put the blame on mame

Alte Schweden, kriminelle Musik und das Wesen des Kapitalismus
und hier die vorherige-Ausgabe


Henning Mankell erobert die Welt. Und zählt zu den eigenen Krimi-Vorläufern Shakespeares "Macbeth" und Conrads "Herz der Finsternis". Da ahnt man schon, dass auch Die falsche Fährte ziemlich blutig und düster wird. Und wie bei den frühen Schimanskis ärgert man sich bald, wie stereotyp jeder politische Ton (bei Mankell immer global, hier von Schweden über den Mädchenhandel bis Mittelamerika ausgreifend) in bloß persönliche Probleme besserer Kreise sich auflöst. In einer Art inszenierter Lesung für ein Dutzend Stimmen löst Mankells Kommissar Wallander auch diesen Fall und wird am Ende so klug wie der Hörer. Weshalb eben der nicht klüger wird.


Unterabteilung: Krimis und Musik. Nicht nur Krimis ... und nicht nur Jazz. Aber meistens. Und erstmal als Sampler: Blue Lightning versammelt in der zur Zeit verlässlichsten, besten Krimi-Reihe (ut/metro im Unionsverlag) 9 amerikanische Gegegenwartsautoren (Drehbuchschreiber, Dichter, Songtexter, Krimi-Routiniers und Hifi-Rezensenten) und mindestens 23 Stile (viel Blues und Jazz, etwas Rap und Rock, und ein Spritzer Paganini). Und in allen Geschichten klingt hinter der Musik jede Menge Leben mit, genau beobachtet, in exakt phrasierten Dialogen. Eigentlich müsste dem Buch eine CD beiliegen


Für Philip Delelis' Die letzte Kantate müsste es schon ein ganzes Regal sein. Denn es beginnt im Wien des Jahres 1791, an Mozarts Sterbebett, und spielt meistens im heutigen Paris, unter Studenten der Musikwissenschaft. Die finden einen Fehler bei Johann Sebastian Bach ... und plötzlich sterben Leute. Möglicherweise um ein musikalisches Staatsgeheimnis zu schützen, dass von Bach über Mozart, Beethoven, Wagner, Mahler und Webern bis in die heutige Musik weitergegeben wurde. Alles erfunden, aber amüsant, wenn man sich für Kontrapunkte und klassische deutsche Komponisten-Schicksale interessiert. Ein Fouceaultsches Pendel für Klavierlehrer.


Den Soundtrack zu Solo Hand gibt es gar nicht. Bill Moody, selbst Jazz-Bop-Schlagzeuger, hat ihn sich nur ausgedacht, um darauf einen grossen schwarzen Soul-Sänger und einen rotnackigen Country-Star zusammenzubringen (wie Marvin Gaye uns Willie Nelson in Wirklichkeit). Die mit Sex-Fotos voneinander erpresst werden. Was ein Jazz-Pianist (der Bill Evans ähnelt) nun aufklären soll, weil er die Branche kennt. Und weil er, mit einer Lähmung in der rechten Hand, eh nichts vernünftiges mehr spielen kann. So schleppt sich der Held duch das Buisness, quetscht seinen Reha-Gummiball, und begegnet so ziemlich allen Unsauberkeiten von Payola bis Remissions-Betrug. Demnächst auch in vier Folge-Bänden. In diesem gibt es als Zugabe einen Aufsatz Moodys über Jazz und Literatur


Weihnachten ist vorbei. Die 70er sind vorbei. Aber Tony Fennelly erweckt mit Leichen zum Fest (geschrieben 1998) beides zu neuem Leben. In schnellen Cross-Cuts führt ihre Serien-Heldin Margo Fortier vor, wie sie damals als Stripperin mit Herz in der Gosse begann (ganz wie ihre Autorin), und heute als Gesellschaftsreporterin dem Geldadel eine X-Mas-Party organsiert. Auf der soll es ein Live-Theater-Krimi-Spiel geben - nur plötzlich ist die Waffe scharf, und damals täuschten die Bar-Girls einen Totschlag vor, um den "Täter" aus dem Ort zu verjagen. So spiegelt sich auch der Rest der erfundenen Handlung über die Zeiten hinweg; sehr clever gemacht. Und die wirkliche Gegenwart kommt auch vor: Bill Clintons Impeachment, ein Star Trek Treffen ... bei Margo/Tony ist alles echt, ein bisschen links, ein bisschen albern, und ebenso klug wie frech ... da muss es ja nicht unbedingt durchgehend spannend sein


Der Titel ist das schwächste Stück in Die letzte Wette. Im Original heisst Jason Starrs zweiter (nach Top Job) auf Deutsch erschienener Roman "Nothing Personal" - und handelt davon, wie zwei ganz normale Männer sich und ihre Familien ins Unglück stürzen, Leute entführen, erpressen, ermorden ... nun ja, nicht ganz normale Männer. Einer bringt sich mit Pferdewetten in Schwierigkeiten, einer mit Bürobekanntschaften ... aber lange leiden wir mit ihnen einfach alltags-traurig mit. Es könnte halb-gut ausgehen ... wenn sie sich nur nicht mit aller Gewalt retten wollten. Und in völliger Blindheit ihren Mitmenschen gegenüber immer schneller in den Abgrund rasen. Am Ende haben sie ihre Probleme gelöst - und alles um sie herum ist in Scherben. Aber nicht mal das merken die Kerle. Nach einem Jason Starr Buch könnte man ernstlich am Leben verzweifeln ... wenn man nicht hoffte, das er noch eins schreibt.


Kayankaya is back. Der deutsch-türkische Privat-Schnüffler des türkisch-deutschen Jakob Arjouni hat es im 4. Serien-Band mit Kismet zu tun. Einem Schicksal, dass ihn mitten in die multi-ethnischen Konflikte in Frankfurt und drumrum führt. Kayankaya erschiesst aus Versehen Schutzgelderpresser einer neuen Mafia ... und zettelt einen blutigen Bandenkrieg an, um einem Kosovo-Flüchtlings-Mädchen die Mutter zu retten. Dass die schon auf Seite 12 tot ist, was wir aber erst auf Seite 257 erfahren, gibt der Tour-de-Force durch so ziemlich alle hessischen Volksgruppen und Abhängigkeiten einen überaus tragischen Unterton. Dabei schreibt Arjouni schnell, schnoddrig, scharf, und er ist längst über den Chandler von der B-Ebene hinaus. Und dass Kayankaya die Fakten des Lebens eher bei Pommes-Buden-Besitzern als bei Politikern recherchiert, könnte ja durchaus Realismus sein.


Pierre Bougarde ist stolz darauf, jedes Jahr drei Bücher zu veröffentlichen. Von uns aus kann er zwei davon weglassen. Zum Beispiel Das rosa Telefon, ein Paris-Krimi, von dem man nicht weiß, ob man seine Einfallslosigkeit oder seinen flachen Zynismus mehr verachten soll. Herausgeber und Autor halten das für witzig, aber ein Gerichtsmediziner, der seinen Finger in das Hirn eines aufgesägten Schädels steckt und ihn dann lustvoll ableckt, finden wir nicht einmal albern.


Zwei Dinge kann man bei Eric Ambler lernen wie bei keinem anderen Thriller-Autor: Wie Kapitalismus funktioniert, und wie man aus einer einfachen Erzählsituation heraus sehr komplizierte Dinge erklärt. Doktor Frigo ist in beiderlei Hinsicht ein gutes Beispiel: Ein südamerikanischer Arzt, im Exil auf den französischen Antillen, soll einen Exil-Politker behandeln, der den nächsten Putsch inszenieren wird, gesponsert von einem Erdölkonsortium, das sich bevorzugte Profitmöglichkeiten davon verspricht. Der politisch naive und desinteressierte Arzt gerät dabei in eine Intrige, die streckenweise an Woody Allens "Bananas" erinnert, aber toternst gemeint ist. In den 70ern geschrieben, verarbeitet Doktor Frigo die Lateinamerika-Politik der USA von den 30er bis 70ern. Neu übersetzt von Matthias Fienbork ist der Thriller jetzt noch einmal aufgelegt worden.


Wir machen das schon zu lange, um auf solche Zitate 'reinzufallen: "Disher versteht es, den Dreck der Großstadtsümpfe ins literarische Licht zu ziehen" - schreibt die "Junge Welt" 1999. Oder, noch schöner, die Bielefelder "NW" im letzten Jahr: "Gier nennt Disher seinen Roman. Gier - das gibt dem Roman eine gewisse philosophische Weite" - was den NW-Schreibern wohl zu Dishers Roman Dreck einfällt ("eine gewisse philosophische Tiefe"?) ... Der Australier Disher ist ein solider Pulp-Schreiber mit Hang zur Brutalität. Dreck ist die Geschichte einer Planung und einer Durchführung. Die Spannung entsteht, wie immer, aus den Differenzen beider Pole. Dishers Held Wyatt, ein unerträglich flacher Supermann, schießt den Bösen die Mädels aus dem Arm und bleibt immer cool. Die Bösen sind perverse Kinderficker, korrupte Bullen, miese Dealer. Wyatt ist einfach nur ein Gauner. Aber einer mit Ehrgefühl. Das hat so den Genre-Level der 50er Jahre, mehr nicht. Dass es für so etwas den Deutschen Krimipreis gibt, sagt auch einiges.
-aco/vl/wing-
Henning Mankell: Die falsche Fährte. 3 MC, 210 Min., HörVerlag München, 42.- DM
John Harvey (Hg.): Blue Lightning Unionsverlag Taschenbuch 189, Zürich 2000, 203 S., 16.90 DM
Philip Delelis: Die letzte Kantate Hoffmann & Campe, Hamburg 2000, 304 S., 39.90 DM
Bill Moody: Solo Hand Unionsverlag Taschenbuch 198, Zürich 2001, 238 S., 16.90 DM
Tony Fennelly: Leichen zum Fest Rotbuch Taschenbuch 1114, Hamburg 2000, 245 S., 18.90 DM
Jason Starr: Die letzte Wette Diogenes, Zürich 2001, 293 S., 39.90 DM
Jakob Arjouni: Kismet Diogenes, Zürich 2001, 265 S., 36.90 DM
Pierre Bougarde: Das rosa Telefon Aus dem Freanzösischen von Stefan Linster, UT 188, Unionsverlag, Zürich 2000, 156 S., 16,90 DM
Eric Ambler: Doktor Frigo detebe Nr. 23268, Diogenes, Zürich 2001, 404 S., 19,90 DM
Garry Disher: Dreck Aus dem Australischen von Bettina Seifried, Maas, Berlin 2000, Pulp Master 11, 204 S., 19,80 DM