DIE KLEINE KRIMI-RUNDSCHAU

Cops & Killer

Wir sichten mal wieder das Verbrechen
und hier die vorherige-Ausgabe


Dass es sowas noch gibt: Serien-Krimis in Standard-Schlamp-Eindeutschung - und so absichtsvoll verzwirbelt, dass die ermittelnde Gerichtsmedizinerin und ihr Dauer-Fast-Freund (der 3. Band mit Fräulein George Barnabas) im Schluss-Dialog (dem Slow-Down, wie wir Naserümpfer sagen) noch mal eben alle Rest-Falten aus der Handlung bügeln müssen. Blutige Spuren von Claire Ryner hinterlässt nichts, was ein feuchter Lappen nicht beseitigen könnte. Am besten hinter die Ohren.


Ob man den Stil mag, diese Mischung aus Sarkasmus, Kargheit und allwissendem Erzähler, ist Geschmackssache. Unbestritten ist, dass Ed McBain geniale Plots entwickelt in seiner fiktiven Stadt mit dem inzwischen legendären 87. Polizeirevier. Big Bad City enthält wieder mal kein Wort mehr, als zur Entwicklung der Geschichten notwendig ist. In drei Erzählsträngen geht es um den Mord an einer Nonne (die seltsamerweise Brustimplantate trug), einen geplanten Cop-Mord und einen mißlungenen Einbruch mit Todesfolge. Alle drei Fälle haben nichts miteinander zu tun - und so hält McBain sie auch schön getrennt, nur verbunden durch das ermittelnde Revier. Und getragen von einem Geist und einer moralischen Direktheit, die irgendwann Ende der 60er auf der Strecke geblieben sind. Seine Cops gehen alle auf die 40 zu, aber sie wirken, als seien sie hundert Jahre alt. Und ihr Autor wird demnächst 80 werden.


Die süße sanfte Mörderin lässt in Helga Glaeseners "historischer Kriminalgeschichte" (Klappentext) viel zu lange auf sich warten. Erst im 7. Kapitel ist die erste Beerdingung, auf Seite 300 haben wir immer noch keinen Fall ... aber wir haben eine schöne Geschichte um eine kluge Frau im Quedlinburg, Anfang des 13. Jahrhunderts. Ein bisschen Romance (am Ende kriegen sich zwei), etwas Genie (Bauwesen), viel Weiberkram (Intrigen und Alleinerziehen im Nonnenkloster) ... bei der Mischung macht es fast gar nichts, dass der Krimi-Anteil so gering ist. Man braucht ja auch nur eine Handvoll Samenkapseln der wilden Birne, um eine Giftmörderin zu stellen.


Es hat schon immer etwas Bauchschmerzen bereitet, Jerome Charyn einfach als Krimi-Autor zu führen. Nicht nur wegen seiner Ausflüge aus dem Genre heraus, auch gerade wegen seiner Genre-Arbeiten, die meistens zwar im Milieu des Krimis siedeln, ansonsten aber den üblichen Realismus verweigern. Der Tod des Tango-Königs ist eher ein fiebriger Albtraum als ein Thriller. Charyn benutzt Versatzstücke aus der Wirklichkeit Lateinamerikas - Koks, Drogenkrieg, Todesschwadronen, Literaten, Straßenkinder und Indios - um daraus ein ganz anderes Bild der Gegenwart zu zeichnen. Der Drogenkönig ist eine Art Robin Hood, der US-Präsident nicht auf dem Laufenden, und eine kleine Hilfskriminelle wird zur Schlüsselfigur eines Geheimdienstes, den es nicht gibt. Nur Charyn konnte daraus ein Buch machen, das man in einem Zug durchlesen muß - und das, wie jedes seiner Bücher, ein Ende verweigert. Ausnahmsweise: ganz wie im richtigen Leben.


"Autobiografien sollte man Leuten aus dem Showgeschäft überlassen, alternden Schurken, die auspacken wollen, und Politikern." - schrieb Eric Ambler im zweiten Teil seiner Autobiografie Wer hat Blagden Cole umgebracht? (im Original schöner: "The Story So Far. Memories and Other Fictions"). Und nach dem ersten Teil Ambler by Ambler (Original: "Here Lies") ist auch diese kein Selbstbekenntnis, sondern eine locker zusammengefügte Ansammlung von Erzählungen, die Ambler um Anekdoten ergänzt. Diese "Lebens- und Kriminalgeschichten" (Untertitel) sind jetzt als Tashenbuch erschienen. Ebenfalls gerade in einer Neuübersetzung erschienen: Amblers wunderschöner Intrigen-Thriller Das Intercom-Komplott (detebe 23154, 280 S., 17,90 DM)


Im Genre geht das eigentlich schwer gegen den Ehrenkodex, wenn ein Privatdetektiv mit Drogendealern zusammenarbeitet. Celil Oker läßt seinen Helden Remzi Ünal genau dieses tun, und das wundersamste an dem türkischen Krimi Schnee am Bosporus ist vielleicht, wie wenig der Held moralisch beschädigt wird. Er soll einen Neffen suchen, aber bald geht es um Koks, Porno, Mord und Lügen. Detektiv Ünal ist ein Ex-Pilot mit einem Ex-Alkoholproblem. Er verhaftet niemanden, verprügelt keine Zeugen und arbeitet auf gar keinen Fall mit der Polizei zusammen; überhaupt scheint die Mafia im Vergleich zur Polizei das kleinere Übel zu sein. In einem sehr dichten, unsentimentalen Plot erfahren wir einiges über die Türkei der Gegenwart und das vertrocknete Seelenleben des Helden, der Entspannung sucht, in dem er immer wieder eine Cessna im Flugsimulator seines PC zu landen versucht. Meistens ohne Erfolg.


In Die Stimme der Violine überwindet Kommissar Montalbano sein sizilianisches Phlegma und wehrt sich gegen seine Vorgesetzen. Eine schöne junge Frau wurde ermordet, und als Montalbano zu lange und zu behutsam ermittelt, wird ihm der Fall weggenommen. Der forsche Chef der Mordkommission übernimmt, und bald darauf hat man den angeblichen Täter, der leider tot ist und nicht mehr widersprechen kann. Andrea Camilleri hat in diesem Montalbano-Fall wieder einiges über Italien und Sizilien mitzuteilen, allerdings in wundervoll versteckten Anspielungen. So etwa, wenn der Kommissar im Wartezimmer seines Chefs zum "Osservatore Romano" greift, einen Artikel von Susanna Tamaro liest - und darüber tief und fest einschläft. Da Die Stimme der Violine von 1997 stammt, steckt da mehr Bosheit drin als der deutsche Leser annehmen möchte. Die Idee, dass die sizilianische Polizei nichts mehr zu tun hat, seit sich reuige Mafiosi reihenweise als "pentiti" melden und sich gegenseitig in den Knast bringen, war 1997 hübsch boshaft. Auch ohne Kenntnis solche Anspielungen ist Camilleri einfach wieder ein kluger, satirischer Krimi gelungen, dessen Plot und Motive sehr bodenständig sind.
-aco/wing/vl-
Claire Ryner : Blutige Spuren. Übersetzt von Michael Kubiak, Bastei 2000, TB 14425, 415 S., 14.90 DM
Ed McBain: Big Bad City Aus dem Amerikanischen von Uwe Anton, Europa Verlag, Hamburg/Wien 2000, 334 S., 32,50 DM
Helga Glaesener: Die süße sanfte Mörderin List 2000, 429 S., 39.80 DM
Jerome Charyn: Der Tod des Tango-Königs Hg. und mit einem Nachwort von Thomas Wörtche, Deutsch von Jürgen Bürger, UT Metro 180, Unionsverlag, Zürich 2000, 254 S., 18,90 DM
Eric Ambler: Wer hat Blagden Cole umgebracht? detebe 23153, 296 S., 17,90 DM
Eric Ambler: Das Intercom-Komplott detebe 23154, 280 S., 17,90 DM
Celil Oker: Schnee am Bosporus Aus dem Türkischen von Ute Birgi-Knellessen. UT Metro Nr. 181, Union, Zürich 2000, 154 S., 14,90 DM
Andrea Camilleri: Die Stimme der Violine Aus dem Italienischen von Christiane von Bechtolsheim. editionLübbe, Lübbe Verlag, Berg.- Gladb 2000, 251 S., 34,- DM