DIE VERDAMMTEN DES KRIEGES Mord im Krieg ist strafbar Brian De Palma verfilmt Michael Verhoeven? Die Geschichte wiederholt sich ausnahmsweise einmal andersherum: zuerst als Farce (Michael Verhoevens bayrische Version des Vietnamstoffes vom Mord im Krieg, über die 1970 die Berlinale stolperte) und jetzt als Tragödie. Das Original spielte während des Vietnam-Krieges: ein Spähtrupp entführte eine junge Vietnamesin, vergewaltigte und ermordete sie, wurde von dem einen, der nicht mitgemacht hatte, vor's Kriegsgericht gebracht, und alle kamen ins Gefängnis, wurden aber sämtlich auch vorzeitig wieder entlassen. Diese Geschichte erzählt Brian De Palma nicht. Stattdessen läßt er Michael J. Fox als grundgütigen Milchbart (in der Original-Fassung weit hämisch-sinniger "Jungfrau" gehänselt) auf Sean Penn als fiesen Zugführer kurz vor Dienstende treffen. Und tut so, als ob es um naive Unschuld und abgebrühte Verdorbenheit ginge. Aber auch diese Geschichte erzählt er nicht. Stattdessen rutscht Michael (er gibt sich große Mühe, nicht wie Marty Mc Fly auszusehen, aber er bleibt auch im Dschungel noch der Fox den wir kennen) in einen Vietcong-Tunnel und Sean (der sich so sehr in seine Rolle hängt, daß man die beiden nicht mehr auseinanderhalten kann) zieht ihn heraus bevor ein böser Charly von unten zustechen kann. Das könnte der Beginn einer wunderbaren Freundschaft sein, und wird so altmodisch-klassisch auf Spannung parallel-montiert und mit retardierenden Momenten auf den Punkt genau verzögert, wie man es im amerikanischen Trauma-Dschungel der mehr metaphysischen "Platoon"-Gesten nicht erwartet hätte. Geht es am Ende bloß um ein Drama vor ungewohnter Kulisse? Oder sind wir in einem effektiven Thriller? Als später eine subjektive Kamera des nachts, zur Befriedigung des Geschlechtstriebes und suchend durch ein Vietnamesendorf fährt und schwenkt, würde einen auch ein plötzlich auftauchendes "Phantom in der Oper" nicht mehr überraschen. Es ist aber der böse Sergeant, der für den nächsten Einsatz eine Braut "als eine Art zusätzlicher Marschverpflegung" kidnappt. Das überrascht, weil die subjektive Entführung direkt an eine Großaufnahme von Michaels Gesicht anschließt, der den Plan seines Zugführers gerade für einen schlechten Scherz hält. Für eine Sekunde schwankt die Orientierung: wer entführt da, ist Michael Sean oder umgekehrt, was ist denn hier überhaupt los? Aber die Zerlegung der objektiven Geschichte in subjektive Erlebnis-Fetzen funktioniert nicht, weil sie beliebig erscheint, bloß auf eine kurze Erschütterung der Standpunkte hinausläuft, ja gegen Ende gar frech zur bewußten Nicht-Information des Zuschauers eingesetzt wird. Und vor allem funktioniert sie nicht, weil De Palma sehr langsam seinen Höhepunkt vorbereiten will; die Mordwaffe wird eingeführt, das Opfer wird eingeführt, die möglichen Rettungsvarianten werden eine nach der anderen verunmöglicht, der Konflikt spitzt sich zu, als wären wir in den Straßen von San Francisco statt in den Dschungeln von Vietnam. Die Konflikte aber, die über den bloßen Krimi-Kern hinausweisen sollen (Gibt es einen Unterschied zwischen Vergewaltigen und Bomben werfen? Hintergeht man seine Kameraden, wenn man sich an deren Unrecht nicht beteiligt? Ist es Fahnenflucht, mit dieser "Gefangenen" zu fliehen?) kommen fast sämtlich nur in den Dialogen vor (manchmal sogar völlig hilflos im Beiseite-Monolog) und nicht in den Bildern. So schleppen sich denn die Trooper durch den Dschungel und die Story auf die Vergewaltigung zu; nach der De Palma wieder einen Versuch macht, einen optischen Einfall sinnvoll zuende zu bringen: Vergewaltiger und Verweiger stehen im Regen, in Groß- und Nah-Aufnahmen völlig von ihrer Umwelt isoliert, orientierungslos, nur auf sich selbst konzentriert ... nur taugt Michaels Milchgesicht noch nicht dazu, ein inneres Drama zu spielen, und das Drehbuch taugt nicht dazu, solche Wendepunkte in der Inszenierung mit der Handlung zu begleiten. Immer wieder schwankt De Palma so zwischen durchaus intelligenten Bild-Arrangements (schiefer Kamera, Einbettung verschiedener Handlungsorte über Spiegel und Schärfenverlagerung) und einem Buch, das ihn immer dann allein läßt, wenn er damit etwas sagen will. So kann es denn auch dazu kommen, daß die eine Hälfte der Kritiker einen widerlich patriotischen Film über die Selbstreinigungskräfte der Army sieht (die Bösen kommen alle für lange Jahre in den Knast), die Veteranenverbände dagegen einen widerlich nestbeschmutzenden Film, der den armen, durchgedrehten Jungs im Krieg mit einer Schreibtisch-Moral daherkommt, wieder andere ein großes Drama von Gut und Böse oder sogar den ersten Film, der dem Leiden Vietnams ein Gesicht gibt: das des Mädchens. Nachdem ein Gefolgsmann des Sergeants ihm schon zweimal sein Buschmesser in die Brust gejagt hat, wankt es blutüberströmt über eine zerstörte Brücke, gerät zwischen die Gruppe ihrer Peiniger (die sich auf der einen Seite gegen vietnamesisches Feuer wehren müssen, auf der anderen Seite ihre Untat vor der herbeieilenden Luftkavallerie verbergen wollen) und wird zwischen zwei amerikanischen Fronten erschossen, wobei die verzweifelten Täter deutlich sichtbar auf sich selber anlegen. Diese Sequenz ist die einzige, bei der De Palma alle seine Mittel zusammenbringt, und zusammenhält. Der ganze restliche Film davor und dahinter fällt inhaltlich und formal völlig auseinander. Wenn ein schlechterer Regisseur den Stoff verfilmt hätte, wäre es einfach nur ein schlechter Film geworden, aber weil es Brian De Palma war, ist es diese Katastrophe geworden; bzw. eine Tragödie, weil ein ausgewiesener Handwerker an überzogenen Ansprüchen und schlechtem Material versagte. Und auch nicht mehr durch einen Rahmenerzählungstrick zu retten ist. Der ganze Film nämlich ist als Tagtraum Michaels angelegt, der in der U-Bahn eine vietnamesische Studentin sieht - und übergangslos, sogar ohne die übliche Titelei des Vorspanns, sind wir in Vietnam. Am Ende, nach einer überstilisierten Urteilsverkündung (die Richterstimme kommt aus dem Nichts wie bei Charly Brown die des Lehrers, die Täter werden übereinandergeblendet und einmal ist kurz auch Michael darunter, aber wieder macht es keinen tragbaren Sinn), wacht er schweißgebadet auf, spricht die Vietnamesin an, bringt aber nur Stottern heraus. Sie haben schlecht geträumt, sagt sie nett, aber jetzt sei ja alles vorbei. Sie geht und Michael bleibt verdattert zurück. Wird jetzt alles gut? So jedenfalls nicht. WING
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