»SPIEL AUF ZEIT«

Tod in der Boxarena

Brian de Palma hat immer noch ein Händchen fürThriller

Es gibt lange Kamerafahrten und extrem lange Kamerafahrten. Brian De Palma eröffnete 1990 mit einer mehrminütigen Sequenz das ansonsten mißglückte Fegefeuer der Eitelkeiten . Für Spiel auf Zeit legte er noch einige Meter mehr Zelluloid in die Kamera von Stephen H. Burum. Satte 20 - in Worten: zwanzig - Minuten ließ er am Stück abdrehen. Allein deshalb atmet der Streifen Filmgeschichte.
In diesen einlullenden Minuten klettet sich unser Blick an Rick Santorro (Nicolas Cage) fest. Mit ihm loten wir die Sportarena aus, gehen in die Katakomben hinab und die Rolltreppe wieder hinauf. Wir verfolgen den örtlichen Cop, wie er von der Tarantel gestochen hin- und herläuft. Kein Wunder. In seiner Stadt boxt Lincoln Tyler um die Weltmeisterschaft im Schwergewicht, der Verteidigungsminister sieht zu, und Santorros alter Freund (Gary Sinise), Sicherheitschef des Ministers, besorgt ihm einen Platz in der ersten Reihe. Ein Glück, das Santorro gar nicht fassen kann. Einige Minuten später trübt sich seine Freude. Der Favorit liegt am Boden des Ringes. Dann durchbrechen Schüsse den Lärm in der Halle. Und endlich: der erste Schnitt.
Ein lähmender Schrecken folgt der furiosen Anfangshektik. Der Verteidigungsminister liegt von den Schüssen dahingerafft am Boden. Tausende versuchen fluchtartig das Gebäude zu verlassen. Das Spiel auf Zeit beginnt. Wer hat den Staatsmann umgebracht? Santorro wittert seine Chance. Er läßt sich die Bänder der Überwachungskameras zeigen. Denn nur wer alles sieht, gewinnt und hat sogenannte Schlangenaugen - Snake Eyes , wie der Film im Original heißt. Aber alles ist eben nicht zu sehen. Wenigstens nicht im ersten Augenblick. De Palma inszeniert seinen Film äußerst spannungsreich, verlegt ihn in einen einzigen Gebäudekomplex und erzeugt damit irrgarten-ähnliche Gefühle beim Zuschauer. Das Modell, das uns Regisseur und Drehbuchautor David Koepp erzählen, erinnert stark an De Palmas letzten Streich Mission: Impossible . Ehemals integere Parteien stehen stark unter Beschuß, sehen sich als Beschützer der Nation über jede Moral erhaben und intrigieren mit mafiösen Ausmaßen. Dazu gibt es abermals einen Konflikt, der den Protagonisten fast zerreißt. Nicolas Cage muß sich entscheiden: Will er die eigene oder die allgemeine Welt retten.
Da die Macher das Komplott in der Mitte des Filmes auflösen, verliert die Spannung gehörig an Fahrt. Das investigative Moment tritt zurück. Packende Parallelmontagen, ein Kameraschwenk über vier Hotelzimmer hinweg, ein erneut hervorragender Cage und einige Kniffe aus dem Handbuch des Filmemachens versuchen, uns bis zum großen Showdown zu halten. Das Fernsehen und ein heftiger Sturm beenden die Geschichte, wie sie mit einer Aufzeichnung und dem drohenden Unwetter begonnen hat. Innerhalb dieser Klammer spielt sich ein brillanter Thriller ab.

Ulf Lippitz