PLEASANTVILLE

Der Horror der Idylle

Die 90er übernehmen die 50er, das es kracht

In Pleasantville ist die Welt noch in Ordnung: Papa Parker kommt jeden Tag zur gleichen Zeit nach Hause, hängt den Hut an den immer gleichen Haken und flötet in den Hausflur: "Honey, I'm home". Die reizende Gattin schwebt im ebenfalls reizenden Petticoat herbei und lädt lächelnd zum reichhaltigen Abendessen. Das halbwüchsige Geschwisterpaar hört Vati aufmerksam zu, wenn er Langweiliges aus der überschaubaren Welt berichtet und trinkt dabei Milch aus großen Gläsern. In Pleasantville scheint bei angenehmen 25 Grad immer die Sonne. Die Feuerwehr rückt nur aus, um Katzen vom Baum zu holen, denn in Pleasantville hat es noch nie gebrannt, weil hier selbst Taschentücher kein Feuer fangen. Pleasantville ist Fiktion. "Pleasantville" ist eine Fernsehserie aus den 50ern und in Schwarzweiß.
David (Tobey Maguire) ist ein typischer Teenager der Jetzt-Zeit und er kennt jeden Satz der zuckersüßen Familien-Soap in- und auswendig. Ein Streit um die Fernbedienung mit seiner Zwillingsschwester Jennifer (Reese Whitherspoon) endet mit einer Reise "Zurück in die Zukunft" und beamt die beiden mitten hinein in die heile Welt von Pleasantville. Während David als echter Fan sich gut in der schwarzweißen Idylle zurechtfindet, gerät Jennifer schon bei der ersten Mahlzeit am Tisch der Familie Parker in Konflikt mit importierten Diätvorstellungen. Schon bald bringen die auf- und abgeklärten End-Neunziger-Kids das hermetische Ordnungssystem der Fernsehserie durcheinander. Jennifer vernascht einen gutaussehenden Mitschüler und weiht ihre neugewonnene Mutter (Joan Allen - Der Eissturm ) in die Techniken sexueller Selbstbefriedigung ein. Mit Muttis erstem Orgasmus fängt sogar der Baum im Vorgarten Feuer, was die örtliche Feuerwehr vor unlösbare Probleme stellt. Der einfältige Diner-Angestellte (Jeff Daniels) bricht aus seinem Fast-Food-Trott aus und greift zu Farbe und Pinsel. In den Bibliotheken füllen sich die bis dahin weißen Seiten der Bücher mit Buchstaben und alle, die vom Virus der neuen Entdeckungen befallen sind, wechseln vom Schwarzweiß ins farbenfrohe Technicolor. Zunächst ist es nur eine rote Rose, eine rote Zunge, ein buntes Auto, später wechseln ganze Bevölkerungsteile ins farbige Lager. Der Rat der Stadt sieht die saubere Idylle bedroht, das örtliche Basketballteam trifft zum ersten Mal nicht den Korb, Papa Parker (William H. Macy - Fargo ) hat kein Abendessen auf dem Tisch, und in den ewigen Sonnenschein mischen sich bis dato unbekannte Regenschauern. Man organisiert eine schwarzweiße Bürgerwehr, verbrennt Bücher, erläßt Apartheids-Gesetze gegen die bunten Mitbürger, und schon bald steht Pleasantville vor einem Bürgerkriegà
<$TVJAbove=0;VJBelow=0;VJInterLn=0;>Mag sein, daß Pleasantville seine durchaus sympathische Botschaft gegen Ende etwas aufdringlich formuliert, aber solche emanzipatorischen Grobheiten verzeiht man Regisseur und Drehbuchautor Gary Ross gerne. Denn mit viel Liebe zum Detail hat er hier die Kluft zwischen den verrotteten 90ern und den idealisierten 50ern in Szene gesetzt und daraus einen Haufen komischer Einfällen entwickelt. Mit ausstatterischer Sorgfalt (Design: Jeannine Oppewall - L.A. Confidental ) wurde hier eine blitzblanke Spießeridylle geschaffen, die mit technischer Perfektion vom Schwarzweiß- ins Technicolor-Zeitalter überführt wird. Die zielsicher gecastete Darstellerriege (v.a. William H. Macy als ewig lächelndes Familienoberhaupt) veredelt Pleasantville schließlich zu einem höchst originellen cineastischen Leckerbissen.

Martin Schwickert